Analysemethoden
[engl.: analysis methods]
Qualitative Analysen beziehen sich auf verbale Daten, wie z. B. Texte, Interviews und Diskussionen (Transkripte), Beobachtungsprotokolle und Beschreibungen. Sie haben einen hohen Stellenwert in den Geistes-, aber auch den Sozialwissenschaften. Es gibt zahlreiche Analysemethoden, die sich in ihren Erkenntniszielen und ihrem erkenntnistheoretischen Hintergrund unterscheiden.
Grundsätzlich lassen sich inhaltsanalytische und hermeneutische Verfahren unterscheiden. Auch die Grounded Theory wird teilweise den Analysemethoden zugeordnet, ist aber streng genommen eine Forschungsmethodologie zur Theorienentwicklung, die verschiedene Methoden beinhaltet.
Für alle Analysemethoden gilt, dass ein regelbasiertes Verfahren Transparenz und Intersubjektivität bzw. Objektivierbarkeit herstellen und subjektive Einflüsse durch die Forschenden kontrollieren soll. Intersubjektivität ist ein zentrales Gütekriterium qualitativer Forschung und stellt das Pendant zur Reliabilität bei der quantitativen Forschung dar. Es bedeutet, dass qualitative Analysen nachvollziehbar sein müssen, d. h. dass andere Forschende mit denselben Daten, derselben Methode und demselben theoretischen Rahmen zu vergleichbaren Ergebnissen kommen müssen.
Hermeneutische Verfahren
Hermeneutik ist die Lehre des Verstehens und Deutens von Texten oder anderen (sprachlichen) Äußerungen. Hermeneutische Verfahren zielen darauf ab, Sinnzusammenhänge zu verstehen, beispielsweise Bedeutungs-, Handlungs-, kulturelle, soziale oder biographische Zusammenhänge.
Beispiele für die Anwendung hermeneutischer Verfahren:
- Ein Unternehmen möchte eine neue Zielgruppe bearbeiten und lässt eine umfangreiche Zielgruppenanalyse durchführen. Mit einer Market Research Online Community und halbstrukturiertem Tagebuch wird umfangreiches Datenmaterial erhoben und dieses u. a. hermeneutisch analysiert, um die Zielgruppe in ihrer Lebens- und Erfahrungswelt, ihren Lebenseinstellungen und Werten, ihrer Motiv- und Bedürfnisstruktur (z. B. im Hinblick auf neue Produktangebote) zu verstehen sowie eine psychografische Typologie zu entwickeln, die in die Beschreibung von Personas eingehen soll.
- Ein Health Care Anbieter will ein umfassendes Programm für Personen mit einer bestimmten chronischen Krankheit entwickeln. Dafür ist ein tiefes Verständnis notwendig, wie die Krankheit erlebt wird und wie der Umgang damit ist, welche Rolle das soziale Umfeld spielt, welche tieferliegenden Motive und Motivkonflikte das Handeln beeinflussen, was das Commitement mit einer Behandlung stärkt oder schwächt. Dazu werden Tiefeninterviews im Lebensumfeld (in home) durchgeführt und anschließend hermeneutisch analysiert.
Es gibt zahlreiche hermeneutische Verfahren, wie z.B. die Objektive Hermeneutik nach Oevermann (vgl. Franzmann et al., 2022), Narrationsanalyse, Diskursanalyse, Dokumentarische Methode, Ethnomethodologische Konversationsanalyse. Gemeinsam sind ihnen die folgenden Aspekte:
- Die Analyse setzt am Einzelfall an, z. B. bei einer Person, Familie, Interaktion. Diese soll in ihren (tieferliegenden, latenten) Sinn-, Bedeutungs-, Handlungszusammenhängen verstanden werden.
- Die Erkenntnisse werden sukzessive generalisiert, d. h. aus den Einzelfällen wird auf übergreifende Muster und Typen geschlossen.
- Das Vorgehen ist sequenziell, indem Hypothesen anhand des Datenmaterials sukzessive entwickelt, überprüft und weiterentwickelt werden.
- Falsifikationsorientierung, Zweifel und Selbstreflexion sind integraler Teil des Analyseprozesses. Deutungen müssen immer hinterfragt werden: Könnte man damit falsch liegen? Werden sie Untersuchungsgegenstand und Fall wirklich gerecht? Wurden sie vielleicht voreilig getroffen und sitzen Vordergründigem auf? Was bringe ich als forschende Person an Einstellungen und impliziten Theorien ein, wo ist die Analyse subjektiv gefärbt?

Abbildung: Hermeneutischer Analyseprozess
Inhaltsanalyse (Content Analysis)
Die Inhaltsanalyse ist ein systematisches Verfahren, mit dem verbale Daten anhand eines Kategoriensystems kategorisiert bzw. kodiert werden, um sie anschließend zu quantifizieren. Datenmaterial können beispielsweise Tagebücher, Briefe, Interviews, Beobachtungsprotokolle, mediale Berichterstattung, Kommunikation in sozialen Medien oder in (TV-)Diskussionsrunden sein.
Beispiele für den Einsatz der Inhaltsanalyse:
- Das Verbesserungsmanagement eines Unternehmens hat die Angestellten in einer Aktion zur Einreichung von Verbesserungsvorschlägen aufgerufen. Es sind 250 Antworten eingegangen. Um die wichtigsten Handlungsfelder aus Angestelltensicht zu identifizieren, sollen diese nun in einer Inhaltsanalyse kategorisiert und anschließend quantitativ ausgewertet werden.
- Um die Hypothesen zu prüfen, dass deutsche Medien einseitig regierungsnah über den Krieg in der Ukraine berichten und deutsche Waffenlieferungen einheitlich befürworten, wurde die Ukraine-Berichterstattung der deutschen Leitmedien einer Inhaltsanalyse unterzogen, deren Ergebnisse die Hypothesen zu einem großen Teil widerlegen (vgl. Reisin 2022).
Es gibt verschiedene Varianten inhaltsanalytischer Auswertungen, am bekanntesten ist die Inhaltsanalyse nach Mayring (vgl. Schreier 2014). Diese und andere inhaltsanalytische Verfahren gliedern sich in die folgenden Schritte.
1. Definition von Forschungsfrage, Untersuchungsgegenstand und Analysematerial
Forschungsfrage und Untersuchungsgegenstand müssen bereits vor der Datenerhebung feststehen, da von ihnen Untersuchungsdesign, Erhebungs- und Analysemethode abhängen.
Die Auswahl des zu analysierenden Materials muss gut begründet werden, insbesondere wenn nur ein Teil des vorhandenen Materials analysiert werden soll.
2. Entwicklung des Kategoriensystems
Das Kategoriensystem kann auf Basis des Datenmaterials induktiv entwickelt werden, indem ein Teil der Daten gesichtet wird. Oder es kann aus einer Theorie bzw. daraus abgeleiteten Hypothesen deduktiv entwickelt werden. Häufig wird ein deduktiv-induktives Vorgehen gewählt.
Grundlegende Anforderungen an das Kategoriensystem sind folgende:
- Das Kategoriensystem muss vollständig sein, d. h. alle Phänomene abdecken. Die Restkategorie darf nicht zu hoch besetzt sein (Faustregel: maximal 2-5 %).
- Die Kategorien müssen trennscharf sein, d. h. sie müssen in ihren Bedeutungen klar unterscheidbar sein, wobei mit Ober- und Unterkategorien gearbeitet werden kann (die in den Bedeutungsraum der Oberkategorie fallen, aber spezifischer sind).
- Dafür müssen die Kategorien klar expliziert werden: Bedeutungsinhalt (Intension), konkrete Beispiele (Extension), Abgrenzung zu anderen Kategorien
3. Festlegung der zu kategorisieren Einheiten
Während bei der Kodierung offener Nennungen aus quantitativen Befragungen die zu kodierende Einheit häufig mit der offenen Frage festliegt, müssen bei qualitativen Daten Einheiten gebildet werden (z.B. Satz, Abschnitt, Aussage etc.). Auch diese Einteilung folgt klaren Regeln.
4. Probekodierung, Evaluation und Anpassung des Kategoriensystems
Ein Teil des Materials wird von zwei (oder mehr) Personen kodiert. Anschließend wird die Übereinstimmung berechnet (Interrater- oder Intercoder-Reliabilität). Bei niedriger Übereinstimmung oder hoch besetzter Restkategorie muss das Kategoriensystem angepasst werden.
5. Finale Kodierung
Mit dem geprüften und ggf. angepassten Kategoriensystem wird das gesamte Material kodiert.
Computergestützte Inhaltsanalyse und Künstliche Intelligenz
Digitale Instrumente zur Inhaltsanalyse werden seit vielen Jahren entwickelt, der Nutzen war bisher aber beschränkt, da sie komplexe Aussagen und Sprechakte (z. B. Ironie) nicht dekodieren konnten. Mit KI bzw. Machine Learning steigt deren Qualität und geht bereits über einfache Sentiment-Analysen hinaus. Entsprechend besteht die begründete Hoffnung, dass KI die qualitative Forschung auch bei komplexeren Inhaltsanalysen von größeren Datenmengen immer besser unterstützen kann.
Literatur:
Franzmann, Andreas; Rychner, Marianne; Scheid, Claudia; Twardella, Johannes (Hrsg.) (2022): Objektive Hermeneutik. Handbuch zur Methodik in ihren Anwendungsfeldern. Stuttgart: UTB
Reisin, Andrej (2022). Leitmedien berichten weder durchgehend einheitlich noch regierungsfreundlich. Über Medien, 15. Dezember 2022, https://uebermedien.de/79973/leitmedien-weder-durchgehend-einheitlich-noch-regierungsfreundlich/
Schreier, Margrit (2014). Varianten qualitativer Inhaltsanalyse: Ein Wegweiser im Dickicht der Begrifflichkeiten. FQS Forum Qualitative Sozialforschung, 15 (1), Art. 18, Januar 2014. http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/2043/3635