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Interview mit Johanna Ullsperger, GIM "Wertebasierte Zielgruppenforschung für eine positive Experience"

Die Gestaltung einer positiven Experience ist entscheidend für den Erfolg eines Produkts und einer Marke. Hier kommt die wertebasierte Zielgruppenforschung ins Spiel, deren Ansätze nicht nur zeitlich viel stabiler, sondern auch trennschärfer einsetzbar sind. Personas, die neben klassischen Dimensionen wertebasiert sind, können längerfristig genutzt werden.

Johanna Ullsperger

Johanna Ullsperger, Senior Experience Manager/Leitung GIM Experience, ist davon überzeugt, dass sich eine positive Experience nur dann sicherstellen lässt, wenn man die dahinterstehenden Nutzungsmotive verstanden hat. (Bild: Johanna Ullsperger)

Warum wird wertebasierte Zielgruppenforschung zunehmend relevanter für die Gestaltung einer positiven Experience? Welche Vorteile und Potenziale ergeben sich aus einem solchen Ansatz und wie können Unternehmen diesen erfolgreich in ihre UX-Forschungspraktiken integrieren?

Johanna Ullsperger: Wertebasierte Zielgruppenforschung erlaubt ein ganzheitlicheres Verständnis von Konsumentinnen und Konsumenten, das weit über die Bedürfnisebene – die bei UX-Ansätzen zumeist vorherrscht – hinausgeht. Bei wertebasierten Zielgruppen-Ansätzen stehen also die Menschen mit ihren Einstellungen und Werten und nicht (nur) die Nutzenden im Fokus. Das hat den großen Vorteil, dass wir die Nutzungsmotive, die häufig auf tief liegenden Wertvorstellungen beruhen, besser antizipieren können. Und wir sind überzeugt:

Eine positive Experience lässt sich nur dann sicherstellen, wenn man die dahinterstehenden Nutzungsmotive verstanden hat. Wertebasierte Ansätze sind zudem nicht nur zeitlich viel stabiler (Produktbedürfnisse ändern sich, Werte hingegen kaum), sondern auch trennschärfer einsetzbar als klassische soziodemographische Parameter und Bedürfnisse.

Dies ermöglicht eine Verknüpfung von Produkt- und Markenkommunikation und erweitert somit den Horizont der UX-Forschung. Unternehmen erschließt sich somit eine neue Dimension, die es erlaubt Produkt- und Marken-Experience passgenau aufeinander abzustimmen.

Denn: Werte sind elementar zur Beziehungspflege zwischen Mensch und Marke.

 

Welche alternativen Ansätze oder Methoden können verwendet werden, um ein tieferes Verständnis der Nutzer zu gewinnen und ihre Bedürfnisse und Präferenzen besser zu berücksichtigen?

Johanna Ullsperger: Bei der GIM können wir vom Wissen unserer Kollegen und Kolleginnen von GIM foresight profitieren. Sie führen regelmäßig die Values & Visions-Studie durch: eine Zukunfts- und Wertestudie, durch die sich auch konkrete Zukunfts-Werte-Typen ableiten lassen. Zusätzlich kommt hier aber natürlich auch das klassische Inventar der psychologischen Marktforschung in Frage: projektive Fragetechniken, aber auch gängige Tools aus der Werte- und Emotionsforschung, wie zum Beispiel GIM Value Visuals oder GIM Emotion Visuals. Dabei handelt es sich um statistisch validierte Bilder-Pools, die verwendet werden können, um die Grenzen des Verbalen zu umgehen und beispielsweise Markenbildern oder der idealen Produkt Experience spielerisch nachzuspüren. Die Bilder selbst sind dabei „mentale Steigbügelhalter“, die dabei helfen, einen Blick hinter die Fassade der funktionalen Nutzerbedürfnisse zu werfen.

Wie relevant sind Ihrer Meinung nach fiktive Nutzergruppen (Personas) für die Gestaltung einer positiven User Experience und warum?

Johanna Ullsperger: Wir denken, dass Personas sehr wohl eine nützliche Vereinfachung darstellen, um Nutzergruppen auf einfache Weise näher zu bringen. Die Herausforderung sind nicht die Personas, sondern die Art und Weise ihres Zustandekommens. Personas, die in der Kaffeepause mal schnell am Reißbrett entstehen, halten wir für wenig hilfreich. Werden sie aber systematisch aus empirisch fundierten Zielgruppenbeschreibungen abgeleitet, können sie einen großen Mehrwert liefern. Sind diese dann zusätzlich zu klassischen Dimensionen noch wertebasiert, haben sie das Potential, längerfristig genutzt werden zu können.

Positive UX gilt mittlerweile als Voraussetzung für ein Produkt oder eine Marke, um sich erfolgreich am Markt durchzusetzen. Im welchen Verhältnis sehen Sie UX zur Customer Experience (CX), der ebenfalls eine hohe Bedeutung zugesprochen wird?

Johanna Ullsperger: Wir betrachten die User Experience als das ‚kleine Geschwisterchen‘ der Customer Experience, also als einen wichtigen Teilbereich der CX. Wie in einer Familie bilden die einzelnen Mitglieder auch das Gesamtkonstrukt. Der jeweilige Fokus unterscheidet sich jedoch.

Die UX betrachtet Menschen in ihrer Funktion als Nutzer – während die CX das Bild um den ‚Kunden‘ erweitert und damit unweigerlich auch den Blick stärker auf die Beziehungspflege und damit auf die Marke lenkt. Wir denken, dass der wirkliche Hebel in einer Kombination beider Ansätze liegt.

 

Die Wahrnehmung der UX durch Kunden oder User ist oft subjektiv. Wie gehen Sie damit um und vor welche Herausforderungen stellt Sie dieser Umstand?

Johanna Ullsperger: Das ist ein Phänomen, dass nicht nur der UX-Forschung begegnet, sondern für alle Bereiche der Konsumforschung gilt. Wichtig ist aber, dass ‚‘subjektiv‘ nicht bedeutet, dass jeder Mensch komplett unterschiedliche Ansichten hat, sondern es Schnittmengen gibt. Das Auffinden dieser Schnittmengen betrachten wir als eine der Kernaufgaben der Pre-UX-Forschung. Zielgruppentypologien und -segmentierungen – idealerweise ergänzt um wertebasierte Aspekte – sind daher das Mittel der Wahl, um Nutzergruppen frühzeitig klar zu umreißen, passgenau anzusprechen und begeistern zu können. 

Wie sehen Sie die zukünftige Bedeutung von UX für die Branchen und Marken auf dem deutschen und internationalen Markt?

Johanna Ullsperger: Gerade in technischen Produktbereichen, die durch ein hohes Maß an Sättigung gekennzeichnet sind (alle bieten eine Vielzahl sehr ähnlicher Features), braucht es Differenzierungsmerkmale. Eine Möglichkeit der Differenzierung ist die Bereitstellung von positiven Experiences, die Produkte anderer Hersteller – trotz ähnlicher funktionaler Ausstattungsmerkmale – vielleicht nicht hinbekommen. Und hier kommt unseres Erachtens einmal mehr die Marke als Impulsgeber, Storyteller und Beziehungs-Manager zum Tragen.

Kurz: Wir gehen also davon aus, dass UX – national wie international – an Bedeutung gewinnen wird.

Und dies gilt umso mehr, wenn man es schafft, Produkt- und Marken-Experience sinnhaft zu verknüpfen.

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Über die Person

Johanna Ullsperger ist studierte Diplom Sozialwissenschaftlerin. Schon früh faszinierte sie, wie das Nutzungserlebnis den Markterfolg von Produkten und Services beeinflusst. Seit 2011 ist Johanna Ullsperger in der Marktforschung tätig und arbeitet seit 2018 für die GIM. Sie arbeitet für viele unterschiedliche Branchen und führt schwerpunktmäßig Studien zu Fragen rund um Mobilität und Automotive durch. Neben klassischen UX-Themen beschäftigt sich Johanna Ullsperger damit, wie digitale... mehr

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