dossier.PLUS-Logo

Fabian Gruß, CEO und Co-Founder von epap Zukünftig wird UX über Erfolg oder Nicht-Erfolg in der Marktforschung entscheiden

User Experience (UX) ist schon seit längerem in der Marktforschung angekommen. Aber wie muss sich UX entwickeln, um die Bedürfnisse von Teilnehmenden bestmöglich zu erfüllen und die Datenqualität zu gewährleisten? Fabian Gruß, CEO und Co-Founder von epap, einem Startup aus Hannover, das mithilfe von Kassenbons FMCG-Brands und Einkaufende verbindet, geht der Frage auf den Grund. Er zeigt auf, welche Chancen gute UX für Marktforschung und spezifisch Umfragen birgt.

Heutzutage wechseln wir nahtlos zwischen verschiedenen Geräten und Bildschirmgrößen und erwarten eine konsistente und intuitive Benutzererfahrung, unabhängig vom Gerät. Kann moderne Marktforschung dies nicht leisten, sinkt die Usability für die Teilnehmenden, was zu vorzeitigem Abbruch einer Umfrage führen kann. (Bild: picture alliance / NurPhoto | Joan Cros)

In unserer modernen Welt ist User Experience (UX) ein omnipräsenter Faktor, dessen Bedeutung man nicht unterschätzen sollte. Sie durchzieht unser Leben, oftmals ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Am meisten fällt sie uns auf, wenn sie nicht unseren Erwartungen entspricht.

Wenn eine App nicht funktioniert wie erhofft oder ein Prozess anders verläuft als erwartet, sind es häufig die schlechte User Experience und eine mangelhafte Usability, die unsere Frustration hervorrufen.

In der Marktforschung ist eine gute Experience - vor allem von Umfragen - ein zentraler Erfolgsfaktor, denn sie unterstützt das allgegenwärtige Streben nach hoher Datenqualität und Validität.

In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf UX in der Marktforschung und beleuchten, wie sie sich weiterentwickeln sollte, um die Bedürfnisse der Teilnehmenden bestmöglich zu erfüllen und gleichzeitig die Datenqualität zu gewährleisten.

Herausforderungen der aktuellen UX in der Marktforschung

Die Anforderungen an die User Experience in der Marktforschung sind in den letzten Jahren exponentiell gestiegen. Während traditionelle Ansätze möglicherweise ausreichten, um grundlegende Nutzerinformationen zu sammeln oder offene Fragestellungen zu klären, erfordert die fortschreitende Digitalisierung heute weit mehr.

Dabei verdeutlichen drei große Themenbereiche diese Herausforderungen besonders eindringlich:

  1. Immer und überall: In unserer heutigen Welt erwarten wir, dass Informationen und Dienste ständig verfügbar und leicht zugänglich sind. Egal, ob wir zuhause auf dem Sofa sitzen, in der U-Bahn fahren oder unterwegs eine Pause einlegen. Wir erwarten, dass sich Lösungen nach unseren Bedürfnissen richten, auf uns zugeschnitten und an unsere Umstände angepasst sind.

    Gleiches gilt auch für die Marktforschung: Teilnehmende möchten sich mit ihr beschäftigen, wenn sie Zeit dafür haben und in der Stimmung dazu sind. Und wenn es um spezifische Meinungen oder Erfahrungen geht, ist es entscheidend, diese genau dann einzuholen, wenn sie geschehen oder kurz danach. Beispielsweise ist es ideal, Einkaufende unmittelbar nach dem Kauf eines bestimmten Produkts zu befragen, um ihre frischen Eindrücke zu erfassen und so valide Ergebnisse zu erhalten.
     
  2. Personalisierte Relevanz: Die User von heute sind daran gewöhnt, personalisierte und relevante Inhalte zu erhalten. Diese Erwartung wird durch ihre Erfahrungen mit alltäglichen Services wie Musik-Streaming-Plattformen, die personalisierte Wiedergabelisten basierend auf individuellen Hörgewohnheiten erstellen, und sozialen Medien, die Nutzerfeeds mit auf Interessen basierenden Inhalten kuratieren, geprägt. Sie erwarten, dass die Marktforschungswerkzeuge und Umfragen, mit denen sie interagieren, ihre individuellen Interessen und Bedürfnisse widerspiegeln und verstehen. Wir als Marktforschende müssen daher in der Lage sein, unsere Methoden und Werkzeuge so anzupassen, dass sie für jede einzelne Person, die wir erreichen möchten, relevant ist. Ohne diese Art von Personalisierung riskieren wir, dass Zielgruppen das Interesse verlieren und die Qualität der erhobenen Daten beeinträchtigt wird.
     
  3. Responsive Design: Heutzutage wechseln wir nahtlos zwischen verschiedenen Geräten und Bildschirmgrößen und erwarten eine konsistente und intuitive Benutzererfahrung, unabhängig vom Gerät. Kann moderne Marktforschung dies nicht leisten, sinkt die Usability für die Teilnehmenden, was zu vorzeitigem Abbruch einer Umfrage führen kann. Native Integrationen (zum Beispiel iOS- oder Android-Apps) bieten bei Umfragen in vielen Fällen nach wie vor eine bessere Erfahrung als web-basierte Umfragen, auch wenn die Auswahl des Systems natürlich vom Kontext der Studie und auch den technischen Möglichkeiten des jeweiligen Geräts abhängt.

Strategische Notwendigkeit eines nutzerorientierten Targetings

Die Qualität von Daten, die in der Marktforschung erfasst werden, hängt von der Relevanz der gestellten Fragen und der Motivation der Teilnehmenden ab. Eine genaue und sorgfältige Zielgruppenauswahl oder Targeting ist daher unverzichtbar, um sowohl relevante Daten zu sammeln als auch das Engagement der Befragten zu steigern. Es gibt zwei Schlüsselbereiche, die diese Bestrebung unterstützen können:

  1. Nutzung von Kaufverhaltensdaten: Durch den Zugriff und die Analyse von Daten, die das Kaufverhalten widerspiegeln (zum Beispiel Kassenbons oder Online-Rechnungen), können wir detaillierte Einblicke in die Vorlieben und Gewohnheiten von Konsumierenden gewinnen. Diese datenorientierte Herangehensweise ermöglicht es, relevante Fragen zu stellen, ohne auf allgemeine Annahmen angewiesen zu sein. Dieser Ansatz spart Zeit, reduziert Frustrationen bei den Teilnehmenden und kann einen positiven Einfluss auf die Qualität der Daten haben.
     
  2. Analyse des Online-Verhaltens: Das Erforschen und Verstehen des Online-Verhaltens bietet eine weitere Möglichkeit, User-Profile im Targeting zu nutzen. Interessen können beispielsweise durch Interaktionen in sozialen Medien oder durch das Verhalten auf den besuchten Webseiten ermittelt werden. Ähnlich wie bei Offline-Kaufverhaltensdaten können diese Informationen genutzt werden, um individualisierte Befragungen zu erstellen, die für User relevant und ansprechend sind.

Ein sorgfältiges und datenorientiertes Targeting hat die Chance erheblich zur Verbesserung der UX und Usability in der Marktforschung beizutragen und bietet die Möglichkeit, das Erlebnis für User relevanter zu machen und ihre Bedürfnisse einzubeziehen.

Wenn Teilnehmende mit Fragen und Inhalten konfrontiert werden, die für sie von persönlichem Interesse sind, kann nicht nur ihre Motivation zur Teilnahme steigen, sondern auch ihr Engagement während der gesamten Befragung, was die Wahrscheinlichkeit vorzeitiger Abbrüche reduzieren kann und die Vollständigkeit und Qualität der erhobenen Daten erhöht.

Die Rolle der mobilen Marktforschung in der UX-Optimierung

Während sich über die Jahre die Arten der Befragung in der Marktforschung stark verändert haben (Telefonbefragungen, Online-Befragungen …), bietet heute die mobile Marktforschung unschätzbare Möglichkeiten, Feedback und Meinungen "on-the-go" und in Echtzeit zu sammeln. Dies birgt das Potential, die Qualität und Relevanz unserer Marktforschungsdaten enorm zu verbessern. Dabei treten vor allem zwei entscheidende Punkte in den Vordergrund: 

  1. Micro-Moments und kontextsensitiven Umfragen in der mobilen Marktforschung

    In der mobilen Marktforschung eröffnen Micro-Moments und kontextsensitive Umfragen neue Horizonte für die Datenerhebung. Micro-Momente – jene kurzen, prägnanten Augenblicke, in denen User ihr mobiles Gerät nutzen, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen oder spezifische Informationen zu suchen – bieten tiefgreifende Einblicke in das Nutzerverhalten und die aktuellen Bedürfnisse. Diese Momente lassen sich nutzen, um einzelne Fragen und Umfragen stärker auf den individuellen Kontext und die Präferenzen der User abzustimmen, was zu erhöhter Teilnahmebereitschaft und unmittelbaren Erfolgserlebnissen führen kann.

    Darüber hinaus erlauben mobile Geräte die Erstellung kontextsensitiver Umfragen, die auf der aktuellen Situation und dem Standort der User basieren. Durch diesen Ansatz können wir relevante und aktuelle Daten sammeln und gleichzeitig das Nutzererlebnis verbessern. Beispiele für solche Anwendungen sind kurze Umfragen in Geschäften direkt nach einem Kauf oder während einer TV-Übertragung.

    Die kombinierte Anwendung von Micro-Momenten und kontextsensitiven Umfragen kann somit zur Erhöhung des Engagements der Nutzer und zur Verbesserung der Qualität der gesammelten Daten beitragen.
     
  2. Muss es immer Marktforschung sein?

    In der heutigen Zeit muss die Marktforschung aber auch nicht zu 100 Prozent im Fokus stehen. Für viele Teilnehmende ist es nicht primär ihr Beitrag zur Wissenschaft oder Forschung, der sie motiviert, sondern oft auch das Teilen ihrer Meinung und der Austausch mit einer Community Gleichgesinnter. Mobile Marktforschung und App-Technologien bieten zahlreiche Möglichkeiten, die Marktforschung nahtlos in den Alltag zu integrieren und für die Nutzer zu erleichtern. Sie wird schneller verfügbar und kann hierbei auf alternative Befragungsmethoden zurückgreifen, beispielsweise Chatbots. Auch wenn teilweise noch Vorbehalte bezüglich fehlender menschlicher Züge bestehen, können Chatbots zur Befragung auch heute schon eine angenehme, einfache und unterhaltsame Alternative zu herkömmlichen Umfragen bieten.

UX als Unterstützung und Garantie der Datenqualität

Die Rolle einer effektiven UX  in der Marktforschung kann nicht genug betont werden. Eine gut konzipierte UX kann die Bereitschaft zur Teilnahme erhöhen, die Abbruchraten senken und letztlich zu qualitativ höherwertigen Daten führen. Wie bei jeder Strategie gibt es jedoch Grenzen, die berücksichtigt werden müssen:

  1. UX unterstützt die Datenqualität
    Eine intuitive und ansprechende UX kann die Beteiligung der User erhöhen und dadurch zu präziseren und ehrlicheren Antworten führen. Insbesondere wenn die Befragungen sorgfältig auf die Bedürfnisse und Vorlieben der User abgestimmt sind, kann dies dazu beitragen, dass sie mehr Zeit und Aufmerksamkeit auf die Beantwortung der Umfragen verwenden.
     
  2. UX allein kann die Datenqualität nicht garantieren
    Obwohl gute UX und Usability einen wesentlichen Beitrag zur Datenqualität leisten können, dürfen sie nicht als Allheilmittel angesehen werden. Selbst die beste Experience kann methodische Schwächen nicht ausgleichen. Die Qualität der Daten hängt immer noch stark von der Gültigkeit und Zuverlässigkeit der verwendeten Methoden ab. Dazu gehören das korrekte Design von Fragen und Umfragen, die korrekte Interpretation von Daten und die Verwendung validierter Skalen und Messinstrumente.
     
  3. Die Bedeutung einer soliden methodischen Grundlage
    Es ist wichtig zu betonen, dass eine gute UX Hand in Hand mit soliden methodischen Ansätzen gehen sollte. Methoden wie das Stichprobendesign, Fragebogenkonstruktion, Datenanalyse und Datenauswertung sind ebenso entscheidend für die Qualität der gesammelten Daten. Daher sollten UX-Designerinnen sowie Designer und Marktforschende eng zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass beide Aspekte – sowohl die Nutzererfahrung als auch die methodische Robustheit – optimal berücksichtigt werden.

Eine gelungene UX in der Marktforschung sollte daher immer in Verbindung mit soliden methodischen Ansätzen betrachtet werden. Zusammen können sie dazu beitragen, die Qualität der gesammelten Daten zu verbessern und gleichzeitig das Nutzererlebnis zu optimieren.

Fazit

Je besser die User Experience ist und je besser die Marktforschung für die Probandinnen und Probanden funktioniert, desto besser funktioniert sie auch für uns als Forschende. Eine verbesserte UX kann zu besseren Ergebnissen und tieferen Einblicken führen und erhöht zudem die Usability für die Forschenden - die Ergebnisse werden leichter nutzbar, Marktforschung gewinnt an Dynamik und wird somit zu einer angenehmen Erfahrung für beide Seiten.

Als Quintessenz lässt sich Folgendes festhalten:

  • Es ist essentiell, so viele Informationen wie möglich über die Teilnehmenden zu sammeln, beispielsweise durch Einkaufsdaten, und diese zur zielgerichteten Segmentierung und zur Steigerung der Relevanz der Befragungen zu nutzen. Dies führt zu einer besseren UX, minimiert die Frustration der Teilnehmenden und verbessert schlussendlich die Qualität der Ergebnisse.
     
  • Durch die tiefe Integration von Marktforschung und "Feedback geben" in den Alltag der User können auch Zielgruppen erreicht oder für Marktforschung gewonnen werden, die sonst nur schwerlich angesprochen werden können. Es ermöglicht die Teilnahme von frischen und noch “unverbrauchten” Probandinnen und Probanden, deren primärer Beweggrund nicht das Geldverdienen, sondern intrinsische Motivation ist- ein Aspekt, der leider häufig in Online-Access-Panels vorkommt.
     
  • UX ist kein Allheilmittel. Sie kann die Marktforschung unterstützen und sollte immer berücksichtigt werden, damit die Marktforschung nicht als "veraltet und nur notwendiges Übel" angesehen wird. Unabhängig davon ist es unerlässlich, Methoden und Validität zu überprüfen - stets mit der User Experience und Usability im Hinterkopf.

Ich bin überzeugt, dass die Optimierung der User Experience für die Zukunft der Marktforschung unerlässlich ist. Eine gute User Experience in Design und Prozessen zu implementieren, ist maßgeblich, damit Marktforschung mit der fortschreitenden Digitalisierung Schritt halten und weiterhin eine relevante Rolle im Leben der Befragten einnehmen kann - auch, um die Datenqualität für uns Forschende zu erhöhen.

Zukünftig wird UX über Erfolg oder Nicht-Erfolg in der Marktforschung entscheiden. 

 

Über die Person

Fabian Gruß ist der CEO und einer der Co-Founder von epap, einem Startup aus Hannover, das mithilfe von Kassenbons FMCG-Brands und Einkaufende verbindet. Durch sein Master-Studium in Human Factors Engineering an der TU München mit dem Schwerpunkt Interaktionsdesign und Systemergonomie und seine Erfahrungen bei Volkswagen, BMW, sowie epap ist er Experte auf dem Gebiet UX. 

Diskutieren Sie mit!     

Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Mehr zum Dossier: UX Research Days

Artikel dieser Ausgabe:

alle anzeigen
Vielen Dank an die Sponsoren

Weitere Highlights auf marktforschung.de