Das-Wahre-Leben - Kolumne von Jens Krüger Zeitenwenden. Wertewandel. Warum wir jetzt zuversichtlich sein sollten.

Für die einen ist das Glas halb leer. Für die anderen halb voll. Einige Medien verbreiten angesichts einer nicht enden wollenden Pandemie und einem Krieg im Herzen Europas eher Untergangsstimmung. Andere wiederum Optimismus. Was denn nun, fragt sich Jens Krüger in seiner neuen Kolumne, die den gerade erschienenen Werteindex 2022 aufgreift.

Solidarität (Bild: picture alliance / Kirchner-Media | Christopher Neundorf)

Wir haben gelernt, dass wir es schaffen können, zu neuen Ufern aufzubrechen. Dass wir etwas verändern können, wenn wir es wollen und einfordern – von Politik, Unternehmen und der Gesellschaft. Gemeinsam. Solidarisch. Aktiv.

Für uns Marktforscher sollte es eigentlich gerade einfach sein, die jeweils aktuelle Stimmung der Menschen – abseits von einfachen Konsumklima-Indizes – einzufangen. Ist es aber nicht. Denn Befragungen zu Werten und ihrem Ursprung sind nicht einfach umzusetzen – sie werden von sozialer Erwünschtheit und auch schwer verallgemeinerbaren individuellen Vorstellungen geprägt. Hier bieten sich tatsächlich andere Methoden, wie z. B. die Inhaltsanalyse von Konversationen an, wie beim #Werteindex der seit 2009 existierenden Langzeituntersuchung zum Wertewandel in der DACH-Region. Als Herausgeber begleite ich zusammen mit Peter Wippermann, dem Gründer des Trendbüros, seit 2010 den Werteindex. Nie war er wichtiger als aktuell.

2019: Am Anfang einer gesellschaftlichen Zäsur

Wir stehen am Anfang einer gesellschaftlichen Zäsur, so mein Fazit Ende 2019 für den damals fertigen Werteindex 2020. Damals hatten wir mit unserem alle zwei Jahren erschienenen Werteindex über eine Dekade den Wandel von der Industrie- zur Netzökonomie begleitet; mit all den Begleiterscheinungen wie dem Influencer-Marketing oder die zunehmende Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft. Aber der Werteindex 2020 zeigte bereits vor Corona erste Tendenzen einer deutlichen Re-Politisierung, angetrieben von der Generation Z.

Der #Lifestyle ist tot. Es lebe das #ConsciousLife.

„Wir alle haben Weltangst“, so titulierte unlängst die Tagespost angesichts einer Welt, die keine Traditionen und auch keine Normalität mehr kennt. Da, wo es weniger Normalität und v. a. immer weniger Selbstreflexion über die natürliche und soziale Welt gibt, verstärken sich Neurosen und das Aufbegehren gegen alles Reale. Kann sein.

Alternative Fakten und Fake-News sind da ja nur die Spitze des Eisbergs. Diese Entwicklung wird sich verstärken, insbesondere mit dem Weg ins Metaversum, das auch nur eine weitere Abkehr von der natürlichen und sozialen Welt markiert.

Die Pandemie ist sicherlich ein Beschleuniger des jetzt eingeleiteten Wandels. Die einschneidenden Veränderungen in unserem Alltag werden uns noch weiter begleiten, wie groß der Wunsch nach Normalität auch immer ist.

Vielleicht gibt es aber auch gar keine Normalität mehr? Und was ist schon normal? Und wenn ja, wollen wir die Normalität überhaupt noch?

Mit diesen Fragen scheint eine grundsätzliche Diskussion über unsere gesellschaftlichen Werte angestoßen. Und in vielen Bereichen – angefangen bei den Familien, die in der Pandemie stark gebeutelt einen nie da gewesenen Wertewandel durchleben, werden aktuell bereits grundlegende Werte neu verhandelt. Gut so.

Wir haben in der Pandemie gelernt, unsere Comfort Zone zu verlassen.

Wir haben uns in Jahren der Resilienz geübt. Angesichts der viele Krisen und Kriege – auf der Welt und nun auch im Herzen von Europa scheinen wir uns schneller anpassen zu können. Dieser Umstand lässt uns zuversichtlich in die Zukunft schauen – trotz und vielleicht gerade wegen dieser Zäsuren sind wir als Menschen wieder frei in der Gestaltung unserer Zukunft gegen alle Normalität.

2022: Projekt Zuversicht 

So haben wir den aktuellen Werteindex tituliert. Die Menschen haben sich auf die Reise gemacht. Nie haben so viele Menschen freiwillig ihren Job gewechselt und denken über andere größere Veränderungen in ihrem Leben nach. Wir haben gelernt, dass wir es schaffen können, zu neuen Ufern aufzubrechen. Dass wir etwas verändern können, wenn wir es wollen und einfordern – von Politik, Unternehmen und der Gesellschaft. Gemeinsam. Solidarisch. Aktiv. Diese Formel hat schon in der Pandemie dort funktioniert, wo Menschen sich gemeinsam unterstützt haben – beim Homeschooling oder Home-Kindergardening. In der Familie, bei Freunden, aber auch bei Fremden in der Nachbarschaft. Überall da, wo Empathie, Partizipation und Teilhabe gelebt wird, wird sie belohnt. Wenn es uns gelingt, diese Formel auf die großen Themen und Probleme unserer Zeit anzuwenden, besteht tatsächlich Hoffnung auf eine bessere Welt.

Ein Hinweis in eigener Sache

Wir, d. h. die 3 aktuellen Partner des Werteindex (Trendbüro, Fritz Classen, Bonsai) haben in den letzten Jahren gelernt, dass sich Werte nicht linear oder mit einer gewissen Vorschau, sondern deutlich schneller wandeln. Dieser Tatsache wollen und können wir mittlerweile auch technisch durch die Analyse eines Großteils der Daten mittels künstlicher Intelligenz Rechnung tragen. Und haben uns angepasst. Wir werden ab diesem Jahr, den Werteindex nicht mehr alle zwei Jahre als Buch publizieren, sondern kontinuierlich – einerseits mit regelmäßigen unterjährigen elektronischen Updates, andererseits aber auch mit Möglichkeit eines jederzeit möglichen Zugriffs auf die Daten weiterführen.

Über Jens Krüger

Jens Krüger ist seit 2019 CEO von Bonsai Research. Der Consumer-Experte war zuvor über zehn Jahre Geschäftsführer bei Kantar/TNS Infratest. Der studierte Soziologe und Sozialpsychologe engagiert sich in mehreren Beiräten (u. a. im Zukunftsforum und dem VKE-Kosmetikverband), ist Speaker und Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen gesellschaftlicher Wandel, Consumer-Trends, Ernährung und Handel der Zukunft.

 

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