Wo bitte geht’s zur Zukunft? Anmerkungen zur Trend- und Zukunftsforschung

Oliver W. Schwarzmann, Zukunftsforscher und Publizist

Oliver W. Schwarzmann, Zukunftsforscher und Publizist

Von Oliver W. Schwarzmann, Zukunftsforscher, Publizist und Vorstand des Think Tanks Future Business Group 

Warum Trend- und Zukunftsforschung?

Die einfachen Fragen immer zuerst: Nun, der Wunsch in die Zukunft zu schauen, ist so alt wie die Menschheit. Der Mensch glaubt, sein Schicksal besser bewältigen zu können, wenn es ihm doch schon vor Eintritt einen treffsicheren Einblick böte.
Tja, wäre das wirklich von Vorteil?
Und, so fragt sich unser aufgeklärter und skeptischer Geist: Ist das überhaupt möglich?
In die Zukunft schauen zu können, ist nur auf den ersten Blick ein verführerischer Gedanke, denn sie müsste unumstößlich feststehen, damit eine Prognose überhaupt möglich wäre. Die uns dann wenig nützen würde - wir wüssten zwar, was auf uns zukäme, könnten es aber nicht ändern. Der Reiz von Vorhersagen liegt aber genau im Gegenteil: mit ihnen wollen wir ja eigentlich gerade das ändern, was uns an der Zukunft nicht passt. Das macht Prognosen äußerst attraktiv. Doch selbst bei einer Zukunft, die das Ergebnis gegenwärtiger Entscheidungen wäre, würden uns Vorhersagen nicht weiterhelfen. Wir dürften unser Vorauswissen ja nicht anwenden, denn jede Veränderung der Gegenwart hätte eine andere Zukunft zur Folge, was die Prognose wiederum ad absurdum führte. Auch bei einer völlig freien Zukunft wären Vorhersagen keine Hilfe – denn egal, was wir prophezeiten, es käme doch immer anders.
Damit will sich der Mensch natürlich nicht zufrieden geben: Einerseits ist uns eine vorbestimmte und feststehende Zukunft zuwider, wollen wir sie doch nach unseren Gunsten verändern. Andererseits suchen wir nach Sicherheit, Kontinuität und Verlässlichkeit, die uns eigentlich nur eine beständige und berechenbare Zukunft bieten könnte.
Ein Dilemma, fürwahr.

Gut, Prognosen sind ja auch Politik, verfolgen Interessen, wollen erzieherischen Charakter haben und nicht die Zukunft vorhersagen, sondern unser Verhalten beeinflussen, so dass sich die Zukunft ändert. Gerade mahnende Prognosen wollen genau das verhindern, was sie voraussagen. Prognosen sind nicht in die Zukunft, sondern immer auf die Gegenwart gerichtet. Und so sollten wir sie verstehen.    
Ob aber die Zukunft nun ein unabwendbares Schicksal ist oder ein Raum freier Gestaltung, muss jeder für selbst entscheiden. An der kniffligen Frage, ob das Leben denn bereits vorherbestimmt oder der Mensch in seinem Willen frei sei, scheiden sich kluge Geister schon seit Jahrtausenden. Und eine abschließende Antwort ist nicht in Sicht. Ich halte die Unberechenbarkeit der Zukunft durchaus für eine Gunst des Schicksals: Sie eröffnet uns erst Freiheit im Handeln. Was – zugegeben - auch eine Illusion sein könnte. Wo kein Wissen möglich ist, muss die Selbstüberzeugung helfen: Ich glaube nun mal fest daran, ein freies und kreatives Wesen zu sein, das die Zukunft selbst in die Hand nehmen kann. Und dass es vielmehr um das Erkennen eigener Potenziale und neuer Möglichkeiten geht. Um Offenheit, Unvoreingenommenheit, Vorstellungskraft, Fantasie und Gestaltungswillen, denn um mysteriöse Zukunftsprophezeiungen. Am Eingang der berühmtesten Weissagungsstätte der Antike stand auch nicht „Hier geht’s definitiv zur Zukunft“, sondern „Erkenne Dich selbst“. Ein kluger Rat: Die Zukunft hat einfach mit uns selbst zu tun, als dass sie nur die unbekannte Zeit ist, die vor uns liegt.

Freilich, jeder macht sich ein Bild von der Zukunft, hat Wünsche, Träume, Sehnsüchte. Weshalb unsere Zukunftsvisionen immer auch ein Spiegel sind für unsere mentale Verfassung. Die Zutaten futuristischer Konstruktionen sind ja immer von gegenwärtigen Vorstellungen geprägt. Die Zukunft, die wir zu „sehen“ glauben, ist nichts anderes, als das, was wir sehen wollen; es ist ein Blick in unsere Erwartungen.  
Gerade bei Trends kommt das zum Vorschein: Trends sind keine kontinuierlichen Wegweiser in die Zukunft mehr, sondern in unserer schnelllebigen und vielschichtigen Zeit mittlerweile vielfache, punktuelle Veränderungen, die dem Zeitgeist entsprechen. Vieles geht spontan, parallel, kurzfristig. Die Sehnsüchte drücken sich nicht mehr in großen, kollektiven Strömungen aus, sondern in vielseitigen Lebensstilen und Interessen. Daraus ergibt sich auch ein anderes Zukunftsbild, das nichts mehr mit einer fernen Zeit zu tun hat, sondern vielmehr das Potenzial unmittelbarer Möglichkeiten beschreibt.     
Natürlich macht es Sinn, sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Wir sind planerische und vorsorgende Wesen, schauen nach vorne, schließen langfristige Verträge ab. Trotz aller Parallelität, Spontanität und Unmittelbarkeit gibt es durchaus auch eine Zukunft, die aus der multioptional aufgeblähten Gegenwart hinausreicht. Eine Zukunft, die eigentlich ganz klassisch daherkommt, als eine neue – bessere - Wirklichkeit, zu der wir uns hinentwickeln, in die wir eintreten können. Und für die wir Verantwortung übernehmen müssen. Denn es ist nicht so, dass man diese Zukunft nicht beeinflussen könnte; unser Verhalten hat definitiv Konsequenzen.
Wenngleich die Wirkung nicht mehr 1:1 auf die Ursache folgt. Was an unser komplexen Welt liegt: Immer mehr Faktoren beeinflussen unseren Alltag, internationale Wechselwirkungen verändern immer schneller unsere Gegenwart, es gibt kaum mehr etwas, auf das wir zählen, mit dem wir rechnen, auf das wir uns verlassen können. Die Chaostheorie, deren Relevanz wir tagtäglich selbst beobachten können, bestimmt zunehmend unser Leben. Kein Wunder also, dass wir der Vergangenheit mehr trauen: Vermittelt das vertraute Wissen der Erfahrung doch weit mehr Sicherheit als sich dem unberechenbar Neuen zu stellen oder sich gar neugierig dem Unbekannten zu widmen. Allerdings können wir nicht rückwärts leben. Das Beste, was wir aus der Vergangenheit lernen können, ist, sie nicht zu wiederholen. Und hier setzt die Trend- und Zukunftsforschung an – sie ist auf der Suche nach Möglichkeiten, will Alternativen zeigen, engagiert sich für neue Perspektiven und plädiert für die Veränderung herkömmlicher Sichtweisen.
So zumindest verstehe ich meine Aufgabe.           

Was hat Zukunftsforschung mit Marktforschung zu tun?

Seit Beginn der 1990er Jahre beschäftige ich mich mit der Beobachtung von internationalen Wirtschafts- und Finanzentwicklungen und wegen der darin geradezu natürlich enthaltenen Vorausschau rechne ich meine Tätigkeit der Trend- und Zukunftsforschung zu. Trends und Zukunft sind ultimative Stichworte in den Finanzmärkten, weil sie nicht nur ungemein spannend sind, sondern diese ganz offensichtlich treiben. Auch wenn dort vieles chaotisch, also ohne Richtung, und zudem äußert kurzfristig anmutet, so spielen Strömungen, Tendenzen, auch Neigungen, selbstredend die Prognose möglicher Entwicklungen und nicht zuletzt die Vorstellung über die Zukunft eine gewichtige Rolle. Freilich darf man nicht verkennen, dass in den globalen Finanzmärkten zehn Minuten eine lange Zeit sind.
Und ja, freilich, zwängt sich dabei die Frage auf nach der Erfassbarkeit und Prognostizierbarkeit von Entwicklungen in einer extrem dynamischen, hochkomplexen und von Brüchen gekennzeichneten Welt.
Nun, Trends kann man beobachten, allerdings sind sie bei fassbarem Erscheinen bereits schon wieder im Begriff, vom Markt abzutreten. Was dem Beobachter die Aufgabe einträgt, im Sinne Oscar Wildes zu handeln: „Die Zukunft gehört denen, die die Möglichkeiten erkennen, bevor sie offensichtlich werden.“ Wobei das „Erkennen“ immer mehr zum „Erfinden“ mutiert. Denn die Zukunft, tja, ihr lässt sich nun gar nicht im klassisch-wissenschaftlichen Sinne auf die Schliche kommen, man kann sie mit herkömmlichen Werkzeugen nicht wirklich erforschen. Geschweige denn exakt voraussagen. Wie zuvor gesagt: Beim Letzteren müsste das Künftige ja bereits schon unumstößlich feststehen, um eine Prognose überhaupt erst zu ermöglichen. Was sowohl die Prognose unnütz machte als uns auch den freien Willen raubte, ein Jammer für Kreative und Gestaltungswillige.
Gut, es gibt Instrumente und Methoden der Früherkennung, der Folgeabschätzung und des Szenarios. Und immer ausgefeiltere Computerprogramme lassen uns mit exakten Wahrscheinlichkeitsberechnungen und Simulationen vermeintlich ein Stück weit mehr in die Zukunft schauen. Was sich im Management zunehmender Beliebtheit erfreut: Man überlässt strategische Entscheidungen einfach cleveren Algorithmen, gerade so, wie es am Finanzmarkt bereits üblich ist. Wenn allerdings Maschinen die Geschicke der Menschheit leiten, dürfen wir uns nicht wundern, dass unsere Welt immer technokratischer wird, was wiederum den Wunsch in uns weckt, es möge doch menschlicher zugehen. Selbst Computer mit Bewusstsein werden zwar in ihrer Gestalt humanoider, aber in ihrer Haltung nicht humaner, bleiben sie doch kühle Rechner. Also Vernunftsmaschinen, die, so glaube ich, entgegen dem Plot von Science-Fiction-Filmen nicht nach der Weltherrschaft streben, sondern unsere Spielräume verengen, werden sie doch trotz eigener Intelligenz lediglich als herzlose Bürokraten existieren. Und auf ihre Algorithmen begrenzt agieren, was wohl nicht die Kompetenz sein dürfte, um in chaotischen Märkten erfolgreich sein zu können. Maschinen werden zwar die Gegenwart beschleunigen, nicht aber mehr Zukunft garantieren.

Nun, als Beobachter wirtschaftlicher Zukunftsentwicklungen ist man auch Teil der Marktforschung. Und auf die Frage, was denn die Zukunftsforschung von Marktforschung unterscheide, war meine Antwort stets die eine: „Die Zukunftsforschung sucht nach neuen Möglichkeiten. Und die Marktforschung belegt, ob diese Möglichkeiten auch Gelegenheiten sind.“
Da wir uns alle – Zukunftsbeobachter wie Marktforscher – hauptsächlich mit den Befindlichkeiten von Märkten befassen, wissen wir nicht nur, was die aktuellen Entwicklungen für Phänomene hervorzubringen vermögen und, im besten Fall, was sie zu bedeuten haben. Wir sind zudem selbst auch Teil ihres Fortschritts und den gleichen Einflüssen ausgesetzt. Dazu gehört die schon angesprochene Geschwindigkeit der Marktveränderungen, die Erkenntnisse schnell als verspätet erscheinen lassen und infolge die Frage aufwerfen, welchen Wert statistische Daten in einem dynamischen Umfeld überhaupt noch haben. Hinzu kommt die nicht-lineare Dynamik der Veränderungsprozesse, die Gewissheiten von heute in Fragen von morgen transformieren. Gleiches gilt auch für den Kunden/Konsumenten/Verbraucher selbst, dessen Verhalten vielmehr irrational, spontan und wankelmütig, denn kalkulierbar ist.
Was also kann da noch nachhaltig erforscht werden?, fragte mich ein Gesprächspartner jüngst. Die Veränderung selbst, antwortete ich. Denn wer sich auf sie nicht einzustellen vermag, wird die neuen, hochmobilen Märkte nicht verstehen lernen.

Auch wir Zukunftsforscher stehen wie die Marktforscher in einem scharfen Wettbewerb, der nicht nur natürlicherweise in der eigenen Branche keimt, sondern vor allem aus anderen Bereichen in bisher heimische Gefilde wuchert. Suchmaschinen, automatische Angebotskonfiguratoren auf Websites, Social-Media-Plattformen, Handy-Applikationen und nicht zuletzt Karten- und Couponsysteme erheben eine Menge Informationen über ihre Nutzer, aus denen forsche Algorithmen automatisch, unmittelbar und unverblümt Verhaltensprofile und Zukunftsstrategien ableiten, die den Zukunfts- und Marktforscher überflüssig machen. Allerdings scheinbar nur, denn Daten sind kein Wissen. Unternehmen besitzen zwar immer mehr Informationen, wissen sie aber immer weniger zu bewerten. Der Kampf, den wir Zukunfts- und Marktforscher mit anderen Informationssammlern führen, dreht sich also nicht darum, wer die meisten Daten erheben kann, sondern es geht schlicht um die Deutungshoheit.
Was unterscheidet uns also von den (automatisierten) Informationssammlern? 

Neue Fähigkeiten eben

Diese Frage kann ich nur als Zukunftsforscher beantworten.
Nun, bereits als Banker, als der ich vor meinem Eintritt in die Zukunftsbeobachtung und Publizistik tätig war, brauchte ich schon eine Art des präkognitiven Spürsinns. Schon alleine für die Analyse spekulativer Investments. Und dieses Gespür musste seine eigene Begründung überwinden können: Erfahrung. Im Tempo der Marktveränderungen wurde schnell klar, dass die Zukunft nicht mehr aus der Vergangenheit betrachtet, geschweige denn hochgerechnet werden konnte. Diese Gewissheit hat sich bestätigt. Und sie könnte, nein, ich glaube, sie ist dabei, einen Wandel einzuleiten, und zwar von der Erfahrung zur Intuition, vom Wissen zur Neugierde, von der Statistik zur Vorstellungskraft und von der Prognose zum Gespür. Ein Wandel, der auch Berechnung, Kontrolle und Steuerung durch die Eigenschaften Mut, Offenheit und Improvisation ersetzen wird. Das klingt sehr emotional, wirkt unwissenschaftlich und mag für ein strategisch planendes Unternehmen auf den ersten Blick äußerst vage erscheinen. Wird doch, wie gesagt, im Management vor allem auf Technik in der Unternehmensführung und Marktbearbeitung gesetzt, die alles ganz autonom irgendwann erledigen soll. Was folglich die Chefetagen überflüssig machen wird; eine Entwicklung, die in der ökonomischen Evolution immer wieder vorkommt – die, die Automatisierung und Rationalisierung möglich machten, wurden deren erste Opfer. Und es gibt dazu ein Aspekt, der nachdenklich macht: In vielen Unternehmensgesprächen, die ich führte, zeigten sich die emotionalen Fähigkeiten als die beständigsten Erfolgsfaktoren.
        
Darüber hinaus ist offensichtlich, dass Instrumente und Methoden nicht derart zu differenzieren und zu optimieren sind, dass sie als Alleinstellungsmerkmal gelten und einen (wirklichen) Marktvorsprung rechtfertigen können. Auch Historie und schiere Größe haben in einer schnelllebigen und vernetzten Welt, in der sich immer schneller Daten immer offener generieren und in welcher sich immer müheloser globale Schwärme bilden lassen, ausgedient.
Das gilt für alle Branchen. Zudem wirkt ein Dilemma, dem ebenso alle Unternehmen in allen Branchen unterworfen sind: Vergleichbarkeit. Vergleichbar in der Leistung, vergleichbar in der Qualität. Die Unterschiede, die es durchaus gibt, sind, wie gesagt, mittlerweile viel zu gering, um Wettbewerbsvorteile zu besitzen oder lange zu garantieren. Die Folge daraus ist immer und überall dieselbe: Preiskampf. Verdrängung.
Umso mehr ist es verständlich, dass sich Unternehmen bemühen, Unterschiede in einer Vorteilsrhetorik des Mehrwerts zu inszenieren, ungewöhnliche Marken auszuprägen, die ein besonderes Flair verströmen … und ja, genau, solche Dinge sind wohl entscheidend.
Auf was wird es nun ankommen?
Denn: Wann – und das ist die Frage - verspricht sich der Kunde tatsächlich mehr von uns Zukunftsforschern? Von den Marktforschern?
Die schwierigsten Fragen immer zuletzt: Es geht wohl darum, selbst das zu sein, was man erforscht. Also eigene Trends zu setzen. Einen eigenen Markt zu machen. Also sich selbst zu verändern. Das hat Zukunft.

© Oliver W. Schwarzmann

Weiterführende Informationen:
www.bley-und-schwarzmann.de

 

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