Kolumne von Dr. Johannes Kirsch Wissen ist Macht, wenn man was daraus macht – Daten und die Gestaltung der Kundenerlebnisse

Kundenreisen erstrecken sich über die Dauer der vertraglich vereinbarten Leistungen und Zeiten. Wissen darüber, was der Kunde, der Reisende, erlebt und wie er das Erlebte bewertet, setzt voraus, dass man alle Kontakte umfassend dokumentiert. Die gesammelten Daten sind der Anfang von allem. Aber bis sich daraus Wissen ergibt und sich dieses Wissen auch gestalterisch für eine positiv, erlebnisreiche Kundenreise einsetzen lässt, ist es noch ein weiter Weg.

Erst wenn Daten geordnet, sortiert und strukturiert sind, können sie in Relation zueinander gebracht und somit analysiert und optimal genutzt werden. (Bild: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Sachelle Babbar)

Wissen ist die Voraussetzung für die Gestaltung! Wenn man Daten in einen Container packt, hat man einen Haufen unsortierte Daten. Es ist gut, alles an Daten aufzuheben. Es ist wichtig, alles zu speichern, was man aus jedem einzelnen Kontakt mit dem Kunden aufzeichnen, dokumentieren kann. Darüber hinaus gilt es, neben den allgemeinen Kundendaten alle Bewegungsinformationen, Anlass und Kanal zu erfassen. Nur so kann man später die Reisen der Kunden rekonstruieren und ihre Gefühle verstehen.

Um unseren Kunden beeindruckende Erlebnisreisen bieten zu können, muss es uns gelingen, maximal umfassendes Wissen (Kunde) über unseren Kunden aufzubauen; und zwar über die gesamte gemeinsame Reisezeit.

Kunden nutzen für ihre Dialogabsichten unterschiedliche Kontaktkanäle.

Sie tun das aus Verzweiflung oder mit Absicht. In jedem Fall müssen wir für jeden einzelnen Kontakt wissen, welche Rolle er im Kontext der Kundenreise spielt. Die hierbei zu rekonstruierende Erlebniskette aus den einzelnen Reiseetappen gibt uns Hinweise auf den Erfolg oder das Desaster auf der Kundenreise.

Aus einem Haufen Daten müssen Informationen werden

Daten zu erheben ist heute kein Problem mehr. Selbst alles, was am Telefon besprochen wird, kann mühelos aufgehoben werden. Die Daten sind in fast zu großer Anzahl vorhanden. Wirklich alles, was im Kundendialog passiert, kann und wird leider noch viel zu selten aufgezeichnet, aufgehoben oder gespeichert. Da der Dialog mit dem Kunden digital dokumentiert werden kann, ist der „Haufen“ jederzeit verfügbar. Als „Daten-Haufen“ gibt er jedoch nichts von dem, was er an Informationen enthält, preis.

Informationen entstehen, wenn wir Fragen formulieren und anfangen, den „Haufen“ zu sortieren.

Erste Informationen ergeben sich aus der Beschreibung der Reisefakten. Noch sind wir auf der Ebene der Beschreibung. Wir besorgen uns Informationen aus der Perspektive eines Kunden. Bestenfalls können wir auf dieser beschreibenden Ebene bereits erste Korrelationen wagen: Welcher Kontaktkanal wird zu welchem Anlass wie häufig genutzt? Oder komplexer gefragt: Wer kontaktiert über welchen Kanal, zu welchem Anlass, wie oft und gegebenenfalls auch über wievielte verschiedene Kanäle hinweg zum gleichen Thema den Kundendialog?

Aus Informationen wird Wissen

Ein guter Arzt beginnt mit der Erhebung eines Befundes: Er beschreibt und sammelt Symptome. Er vernetzt die einzelnen Symptome und kommt zu einer ersten Hypothese. Das gelingt ihm, weil er den erhobenen Befund mit all dem bewertet, was er sich an wissenschaftlichem Funktionswissen angeeignet hat. Erst dann wagt er eine Diagnose, entwickelt eine geeignete Therapie und stellt eine Genesungsprognose.

Wie Ärzte sollten auch wir arbeiten: Analog müssen wir aus der Befunderhebung (den aus den aufbereiteten Daten bereitgestellten Informationen) in die „Anamnese“ (die Bewertung des Befundes) kommen, um von dort aus zu einer Diagnose zu gelangen, die in die Gestaltung einer Therapie mündet. So bekämen auch wir einen Fundus an theoretisch gesichertem Wissen, welches uns hilft, unseren „Patienten“ (pardon Kunden) gesund zu erhalten (pardon an uns zu binden). Wissen entsteht erst, wenn wir Informationen in ein theoretisches Systemmodel gebracht haben. Verstehen ist mehr als beschreiben oder „nacherzählen“.

Das ist die Kernkompetenz von Marktforschung: Das Verstehen von Kundenbeziehungen.

Sie hat ein großes Methoden-Instrumentarium aufgebaut, das gespeißt wird aus der Theorie der empirischen Sozialforschung. Die Sozialforschung kann deutlich mehr leisten als das Nacherzählen, was ist. Vielmehr kann sie helfen, unsere menschliche Form der Konstruktion von Wirklichkeit zu rekonstruieren. Den Teil der Forschung nennt man heute: „economic behavior“ plus „social behavior“ (früher Ethologie oder klassisch Verhaltensforschung).

Wissen ist Gestaltungsmacht, wenn man weiß, was man daraus machen kann

Es reicht also nicht aus, Zustände zu beschreiben: „Es haben x Kunden den Versuch gestartet, unser Internetportal zu nutzen, dann haben sie (erfolglos) angerufen dann noch zweimal eine Mail gesendet und erst dann haben sie erschöpft aufgegeben“ oder „Unser NPS ist sehr stark gefallen und die Cross-Selling-Werte haben sich halbiert“. Solche Informationen schaffen die Voraussetzung für die Gestaltung von Erlebniswelten. Allein, sie sind nicht ausreichend. Wir wissen noch nicht, warum etwas geschehen ist und was wir folglich daraus für Schlüsse für die künftige Gestaltung ziehen müssen.

Hiobsbotschaften sind kein Hinweis darauf, was notwendig ist.

Leider lösen sie allzu oft ein wahres Feuerwerk an Aktivismus aus: Jeder in seinem Silo, in seiner Kanalzuständigkeit. Jeder optimiert Prozesse in der ihm zugewiesenen abgeteilten Einheit („Abteilung“). Aber es wäre wichtig, erst einmal anzusehen, wie denn die Reise in den einzelnen Etappen abgelaufen ist. Welche Kanäle hat der Kunde mit welchem Erfolg für sein Anliegen genutzt, was genau hat er im Einzelnen erlebt und wann und vor allem durch welche Aktivitäten kam der „Friede“ zu ihm.

Wissen wird erst zur Gestaltungmacht, wenn man die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Interaktivitäten (Kunde->Kundendialog->Kunde) versteht. Es sind die Arbeits- und Dialogprozesse, die wir aus der Sich des Kunden denken müssen. Machen wir dies, lernen wir unser Handeln aus der Perspektive des Kunden zu verstehen. Er ist die Bedingung der Möglichkeit für unser Handeln. Hier geht es nicht primär um die Optimierung von Verwaltungsprozessen, sondern um die Optimierung des Kundenerlebnisses.   

Die Kundenerforschung: Wissen was der Kunde macht, schafft Gestaltungsmacht

Daten werden gespeichert. Sortieren wir sie, werden sie zu Informationen. Wissen entsteht erst dann, wenn wir die Informationen verknüpfen. Wie kommt es zu den Verknüpfungen? Es sind die konkreten Fragen, die uns der Faktenbefund stellt: Was ist passiert, warum gibt es so viele Fragen der Kunden, woher rührt die Unzufriedenheit?

Das sind die Fragen, die sich aus unseren Kennzahlensystematiken heraus ergeben. Spannend wird es nun, zu überlegen, wie wir zu profunden Antworten für die zu gestaltenden Aktivitäten/ Erlebnissen kommen. Dazu bedarf es eines fundierten, sozialwissenschaftlich verankerten Verständnisses des menschlichen Verhaltens. Hier beginnt die explorativ statistische Geschehensanalyse. Sie fragt aus der Perspektive des Kunden nach Konstellationen und Faktoren, die helfen können, das Kundenverhalten zu verstehen: Warum wählt er diesen Kanal für diesen Anlass, wechselt dann zu einem anderen Kanal. Ist er unsicher, vertraut er der Antwort nicht? Fehlt ihm Hilfe, schaffen wir unnötige Barrieren? ….

In jedem Fall: Erst nach dieser analytischen Vorarbeit können wir mit einer ersten Gestaltung der Prozesse für das Kundendialog-Design beginnen. Diese Arbeit wird leider noch viel zu wenig geleistet. Und: Nach der Gestaltung ist vor der Gestaltung. Denn was immer wir gestalterisch entwickeln, wir müssen es stetig im Hinblick auf die Effekte im Kundenkontakt prüfen und stetig weiterentwickeln. 

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Über die Person

Dr. Johannes Kirsch studierte Soziologie und ist in einem Strukturvertrieb für Versicherungen ins Berufsleben gestartet. Ebenfalls bei einem Versicherer baute er die Marktforschung vertriebsnah mit auf und wechselte in den Direktvertrieb. Heute arbeitet er als Berater für Inhouse wie Outsourcing-Partner Kundenservicecenter. Sein Schwerpunkt war und ist in allen Funktionen die Entwicklung und Erhaltung von Kundenbindung und die prozessorientierte Qualitätssteuerung im Kundendialog.

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