Kostspielige Nachhaltigkeit Wirtschaftsfaktor Betriebsunfall und Berufserkrankung

(Bild: picture alliance / Zoonar | Max 4e)
Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) hat jüngst ihre aktuellen Unfallzahlen für das abgelaufene Jahr 2022 veröffentlicht. Die gute Nachricht: Erstmals überhaupt konnte die Zahl der Arbeitsunfälle in der Branche unter die Schwelle von 100.000 gedrückt werden. Sie betrug nur noch 99.380 – ein Jahr zuvor waren es noch 103.525 Unfälle. Ebenfalls sanken die Zahlen der Wegeunfälle von 8.808 auf 8.298 Vorfälle.
Allerdings gab es nicht nur Positives zu vermelden. Wo die Unfallzahlen sanken, stiegen diejenigen der Berufserkrankungen an – von 16.492 Verdachtsanzeigen auf 18.228. Besonders bedenklich dabei: Insbesondere durch Asbest ausgelöste Krankheiten nahmen zu – dies könnte auf eine verstärkte energetische Sanierung von Altbauten zurückzuführen sein, die noch vor dem 1993 eingeführten Asbestverbot erbaut und eingerichtet wurden.
Zudem sind das alles nicht nur wichtige Zahlen für die Berufsgenossenschaft. Denn letzten Endes stellt jeder beeinträchtigte oder gänzlich ausfallende Mitarbeiter einen teils erheblichen wirtschaftlichen Verlust dar – naturgemäß nicht nur in der Baubranche. Doch ist dieser wirtschaftliche Faktor stärker oder schwächer als diejenigen Kosten, die durch Sicherheitsmaßnahmen gegen Arbeitsunfälle und Berufserkrankungen auflaufen? Auch dazu lassen sich anhand verschiedener Zahlen exakte Antworten liefern.
1. Was Arbeitsunfähigkeit kostet
Ein Arbeitnehmer, der krankheitsbedingt nicht seine volle Leistung bringen kann, oder gar völlig ausfällt, der verschiebt seine persönliche Kosten-Nutzen-Rechnung grundsätzlich in einen negativen Bereich:
- Der Arbeitgeber muss im Zweifelsfall für bis zu sechs Wochen Lohnfortzahlung leisten.
- Der Arbeitnehmer erwirtschaftet in dieser Zeit entweder gar nichts oder weniger als normal.
- Andere Mitarbeiter müssen den Ausfall kompensieren; mitunter muss sogar (zeitweiliger) personeller Ersatz beschafft werden.
Doch von welchen Summen sprechen wir hierbei? Dazu liefert die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) jährlich neue Daten. Die aktuellen Zahlen betrachten das Jahr 2021. Sie stützen sich auf Angaben des Statistischen Bundesamtes und verschiedener gesetzlicher Krankenkassen.
- Insgesamt häuften sich 697,9 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage an – respektive 1,9 Millionen Arbeitsunfähigkeitsjahre.
- Umgerechnet auf 41,02 Millionen Arbeitnehmer bedeutet das 17,0 Arbeitsunfähigkeitstage pro Arbeitnehmer.
- Verrechnet mit einem Durchschnittsgehalt von 46.700 Euro bedeutet das Produktionsausfälle im Wert von 89 Milliarden Euro.
- Verrechnet mit einer Durchschnittswertschöpfung von 80.100 Euro ergibt das eine ausgefallene Bruttowertschöpfung in Höhe von 153 Milliarden Euro.
- Mit jedem Arbeitsunfähigkeitstag entgehen einem Unternehmen im Schnitt 128 Euro Produktionsausfall und 219 Euro Bruttowertschöpfung.
Natürlich, hierbei ist die Gesamtheit der gesamten Arbeitsunfähigkeit ohne weitere Angaben von Gründen gemeint. Bedeutet, der Anteil von Betriebsunfällen und Berufserkrankungen, respektive durch den Beruf wenigstens verstärkten Krankheiten, ist geringer. Allerdings lässt sich dank weiterer Statistiken näherungsweise herausfinden, wie groß der Anteil ist.
2. Wie Arbeitsunfälle zu den Kosten beitragen
Hierzu ist es nun nötig, das Arbeitsunfallgeschehen zu betrachten. Es wird jährlich von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) veröffentlicht. Im Gegensatz zu den BAUA-Daten wurden hier zwar bereits die Angaben für 2022 veröffentlicht. Für eine bessere Vergleichbarkeit haben wir jedoch ebenfalls die Fassung des Jahres 2021 herangezogen.
- Insgesamt gab es 927.343 meldepflichtige Arbeitsunfälle. Davon entfielen 760.523 Unfälle direkt auf die Arbeit. Lediglich 166.819 Fälle waren Wegeunfälle bei der An- und Abreise zur bzw. von der Arbeit.
- Von den Unfällen gingen 585 tödlich aus, davon 370 auf der Arbeit und 215 auf dem Weg.
Interessant wird es, wenn man diese Daten mit der dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit vergleicht. Allerdings wird ein Betriebsunfall erst dann meldepflichtig, wenn er zu einer mindestens viertägigen Arbeitsunfähigkeit führt.
Das heißt, sowohl das Arbeitsunfallgeschehen als auch die dadurch ausgelöste Arbeitsunfähigkeit ist real höher – um denjenigen, nicht öffentlich erfassten Wert von Unfällen, die zu einer höchstens dreitägigen Arbeitsunfähigkeit führten.
Leider liefern die Statistiken keine vollständigen Datensätze über die Gesamtzahlen von Arbeitsunfähigkeitstagen. Allerdings gibt es Werte zur Dauer: Bei mehr als 250.000 Verunfallten dauerte die Arbeitsunfähigkeit höchstens eine Woche an. Bei etwa 190.000 dauerte sie bis zu zwei Wochen. Bei weiteren etwa 100.000 dauerte der Ausfall bis zu vier Wochen.
Zusammen ergibt das nur für sich mehrere Millionen Arbeitsunfähigkeitstage; wobei hier wieder jene Werte von im Schnitt 128 Euro Produktionsausfall und 219 Euro Bruttowertschöpfungsausfall pro Tag greifen.
3. Wie arbeitsbedingte Erkrankungen und Berufskrankheiten zu den Kosten beitragen
Unterschied Berufserkrankung und arbeitsbedingte Erkrankung
Berufserkrankungen sind konkret aufgelistete Erkrankungen, die bei Angehörigen bestimmter Berufe durch die Arbeit deutlich häufiger auftreten als in der Gesamtbevölkerung.
Arbeitsbedingte Erkrankungen hingegen sind deutlich breiter gefasst. Hierbei handelt es sich um Erkrankungen, die durch die Arbeit allgemein begünstigt oder gefördert werden.
Wichtig ist der Unterschied nicht zuletzt in entschädigungsrechtlicher Hinsicht.
Zumindest außerhalb der Wegeunfälle trägt mangelnde Arbeitssicherheit meistens zumindest eine Teilschuld – selbst wenn der größte Unfallverursacher fahrlässiges Verhalten war. Beim Thema Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Erkrankungen hingegen wirken sich Nachlässigkeiten bei der Sicherheit weniger direkt aus, sind aber dennoch unzweifelhaft vorhanden.
Unterschied Berufserkrankung und arbeitsbedingte Erkrankung
Berufserkrankungen sind konkret aufgelistete Erkrankungen, die bei Angehörigen bestimmter Berufe durch die Arbeit deutlich häufiger auftreten als in der Gesamtbevölkerung.
Arbeitsbedingte Erkrankungen hingegen sind deutlich breiter gefasst. Hierbei handelt es sich um Erkrankungen, die durch die Arbeit allgemein begünstigt oder gefördert werden.
Wichtig ist der Unterschied nicht zuletzt in entschädigungsrechtlicher Hinsicht.
Angenommen, ein Mitarbeiter erleidet durch den Kettentrieb einer Maschine schwere Handverletzungen. In diesem Fall könnten gleich drei Mängel in Sachen Arbeitssicherheit beteiligt sein:
- Die umfassende Kennzeichnungspflicht wurde nicht beachtet, wodurch beispielsweise nicht ausreichende oder korrekt angebrachte Warnschilder vorhanden waren.
- Sicherheitseinrichtungen wie Schutzgitter, Sensoren oder Notausschalter waren nicht in einem ordnungsgemäßen Zustand.
- Der Verunfallte wurde nicht, so wie es eigentlich Pflicht ist, umfassend über die Maschine und korrektes Verhalten unterwiesen.
Stets gibt es hier eine direkt sichtbare und zeitlich unmittelbare Auswirkung von zu geringer Arbeitssicherheit. Bei Berufserkrankungen, und noch viel stärker arbeitsbedingten Erkrankungen, ist der Zusammenhang hingegen oftmals eher vage und kann mitunter sogar erst viele Jahre nach einer Exposition auftreten oder sich durch über ähnlich lange Zeiträume auftretende Belastungen kumulieren.
Hierzu ist die Datenlage deutlich geringer und weniger aktuell. Die neuesten Angaben der DGUV betrachten das Jahr 2020. Damals gab es 106.491 Anzeigen aufgrund eines Verdachts auf eine Berufskrankheit. In 52.956 Fällen bestätigte sich der Verdacht. Die davon verursachten Arbeitsunfähigkeitstage wurden jedoch nicht gensondert erhoben.
Noch schwächer ist die Datenlage bei arbeitsbedingten Erkrankungen. Hierzu liefert das Statistische Bundesamt lediglich prozentuale Werte für
- Geschlecht,
- Alterskohorte,
- Berufe und Stellungen darin sowie
- Nacht- und Schichtdienst.
Auffällig hierbei ist die generell hohe Anzahl von Beschwerden im skelettalmuskulären Bereich. Diese sind oftmals ein Hinweis auf Auslösefaktoren im Beruf durch falsche Bewegungen oder Körperhaltungen.
Detaillierte Daten liefert ein umfassender Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse. In der Ausgabe für das Jahr 2022 entfielen beispielsweise 76,07 Arbeitsunfähigkeitstage je 100 Versicherungsjahre nur auf Rückenschmerzen.
Insgesamt, so wird geschätzt, entfallen jährlich zirka 70 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage nur auf Schmerzen und Erkrankungen von Rücken und Wirbelsäule – an dieser Stelle sei auf die im ersten Kapitel erwähnten 697,9 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage verwiesen. Damit sind rund 10 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage nur auf „Diagnose Rücken“ zurückzuführen.
4. Die „Totes Kapital“-Falle und wie sie sich vermeiden lässt
Arbeitssicherheit kostet fast immer Geld. Es beginnt bei der Gefährdungsbeurteilung und erstreckt sich bis auf die regelmäßigen Kontrollen von Feuerlöschern. In Summe kann dies je nach Unternehmen ganz erhebliche Beträge umfassen, die deutlich über 100.000 Euro pro Jahr liegen.
Die hauptsächliche Schwierigkeit aus wirtschaftlicher Sicht liegt darin, dass die Wirksamkeit sowohl von gesetzlichen Mindest- als auch zusätzlichen Maßnahmen für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz unsichtbar ist. Es entsteht daher schnell der Eindruck, diese Maßnahmen wären „totes Kapital“ oder gar überflüssige Ausgaben. Das gilt erst recht unter dem Eindruck, wonach selbst in Betrieben mit sehr umfassenden Maßnahmen natürlich dennoch Arbeitsausfälle zu beklagen sind.
Wirklich auflösen lässt sich die Gefahr derartiger Ansichten nur dann, wenn Arbeitgeber sich stets vor Augen führen, welche Kosten Ausfälle aus berufsbedingten Gründen tatsächlich verursachen können.
Eines der dafür wichtigsten Werkzeuge sind digitale Tools, wie sie etwa von der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) zur Verfügung gestellt werden. Sie gestatten es – vereinfacht gesprochen – die Kosten für Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen mit den potenziellen Ausfallkosten zu vergleichen. Hierzu sei auf eine von derselben Agentur durchgeführte, breit aufgestellte Studie speziell in der Baubranche verwiesen.
Letztlich gilt jedoch ungeachtet aller Berechnungsmodelle und Werkzeuge folgendes: Mehr Investitionen in Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz sind faktisch nie eine unnötige Ausgabe oder eine, die in Nullsummen resultiert.
- Die direkte Vermeidung von Ausfällen und Minderleistung aufgrund von Krankheit;
- Verringerte Versicherungsbeiträge durch reduzierte Unfallzahlen;
- Reduzierte Gefahr für Zusatzkosten aufgrund von Ausfällen wie etwa Konventionalstrafen für zu späte Auftragserfüllung;
- Insgesamt fittere, positiver eingestellte und dadurch leistungsfähige Mitarbeiter;
- Davon ausgelöste bessere Arbeitsergebnisse in qualitativer und quantitativer Hinsicht.
Das alles vermischt sich zu einem für jedes Unternehmen deutlich positiven Bild. Ebenso, wie krankheitsbedingte Ausfälle durch Kumulierung zahlreicher Faktoren bedeutend teurer werden können als der reine Produktionsausfall, können durch zusätzliche Ausgaben vermiedene Ausfälle sich insgesamt zu bedeutend größeren Einsparungen führen.
Letzten Endes sind daher praktisch sämtliche Ausgaben für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz eine positive Rechnung für Unternehmen – und zwar nicht nur auf lange Sicht, sondern von Tag 1 einer jeden Maßnahme an.
5. Zusammengefasst: Sicherheit kostet – weniger Sicherheit kostet jedoch deutlich mehr
In Zeiten, in denen die Inflation hoch sind und die Umsätze oft bestenfalls mittelprächtig, sind viele Unternehmer auf der Suche nach Sparmaßnahmen. Doch so verlockend es sein kann, bei der Sicherheit zu sparen, so sehr stellt dies in jeglicher Konstellation ein „Sparen am falschen Ende“ dar – selbst wenn wirklich nur optionale Zusatzmaßnahmen bis auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum reduziert werden.
Mehr Sicherheit im Betrieb spart deutlich mehr Geld ein als die reinen Ausgaben für dieses Sicherheitsplus. So notwendig Einsparungen sein mögen, so wenig sollten sie daher das Thema Sicherheit umfassen.
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