Interview mit Ralf Ganzenmüller, CEO von IPSOS D-A-CH "Wir tun immer so, als ob das mobile Arbeiten besser wäre als das Arbeiten im Büro."

Wie hat sich aus Ihrer Sicht das Arbeiten bei Ipsos verändert? Was hat sich bei Ihnen persönlich in Bezug auf das Arbeiten verändert?
Ralf Ganzenmüller: Ich selbst bin eigentlich die Ausnahme, aufgrund meiner früheren internationalen Aufgabe. Es gab Reisen, da lagen zwischen Ankunft und Abflug keine zwölf Stunden. Manchmal habe ich quasi in der Lounge gewohnt. Im Nachhinein würde ich sagen, dass viele Reisen unnötig waren.
Wegen einem 1,5h langen Meeting nach Paris fliegen. Das würde heute keiner mehr machen.
Ich habe viele Reisen gemacht, um Nähe zu erzeugen, ein Gefühl zu bekommen, mit wem man zusammenarbeitet. Hätte man gewusst, wie fantastisch Software wie MS Teams oder Skype funktioniert, wenn man sich darauf einlässt, dann hätte man das schon viel früher haben können. In diesem Punkt wird mein Leben nie wieder so werden wie vorher, ohne, dass ich viel vermissen werde.
Für Mitarbeitende ist es anders: Wir haben im letzten Jahr im März an einem Freitag im Hamburger Büro getestet, ob wir ins Home-Office gehen könnten. Dann wurden die Infektionszahlen immer höher und wir haben in der Führungsmannschaft am Sonntag entschieden, dass wir ab Montag die Empfehlung ausgeben, von zuhause aus zu arbeiten. Das hat erstaunlich gut geklappt. Ich glaube, viele Mitarbeitende haben diese Phase erstmal als Entschleunigung erlebt und durch das Home-Office Dinge voneinander gesehen, die sie sonst nie gesehen hätten. War okay, wir haben uns an die neue Situation anpassen müssen. Auch das Jahr war vom Umsatz her eigentlich in der Summe erfolgreich.
Dann haben wir im letzten Sommer – als die Inzidenzzahlen es zuließen – versucht, Mitarbeitende wieder ins Büro zu bekommen. Mit großem Abstand, in Kohorten.
Zeitgleich hatten wir zufälligerweise auch unsere Mitarbeiterbefragung durchgeführt. Wir hatten die schlechtesten Werte, die man sich nur vorstellen kann. In den offenen Antworten wurde deutlich, dass das damit zusammenhing, dass viele Mitarbeitende die Flexibilität des Home-Office behalten wollten. Da wurde mir klar, dass wir nie wieder alle Mitarbeitende komplett zurück ins Büro bekommen werden. Die Belegschaft würde nicht akzeptieren, wieder 100 Prozent im Büro arbeiten zu müssen. Wenn wir das durchziehen würden, liefen wir Gefahr 30-40 Prozent unserer Mitarbeitenden zu verlieren.
Bei uns kam dazu, dass wir den Standort Mölln geschlossen hatten. Deshalb mussten wir darüber nachdenken, wie wir einen Interessensausgleich mit den Möllner Kollegen hinbekommen könnten, die nicht jeden Tag 50 Kilometer ins Hamburger Büro fahren wollten. Es war klar, wir müssen uns dem Thema hybrides Arbeitsmodell stellen und eine Lösung finden. Weil wir ohnehin nicht für alle Möllner Mitarbeitenden Platz im Hamburger Büro gehabt hätten.
In dieser Phase sind wir jetzt aktuell. Ab September wollen wir zurück ins Office, aber mit einem hybriden Arbeitsmodell.
Das bedeutet aber auch, dass Mitarbeitende frei wählen können, oder?
Ralf Ganzenmüller:
Ich drehe das Ganze gerne um: Ich zwinge niemanden ins Home-Office.
Wir müssen das differenzieren: Wir haben zum einen die ehemaligen Möllner-Mitarbeitenden. Die haben tatsächlich ein Anrecht auf mobiles Arbeiten, das geht auch nicht anders. Da mussten wir einen tragfähigen und sinnvollen Kompromiss finden. Es gab in Mölln auch Mitarbeitende, die können ihren Job nicht von zuhause aus machen, wie z.B. in der Rezeption. Aber alle anderen haben ein Anrecht auf mobiles Arbeiten.
Allen anderen Mitarbeitenden in Hamburg, München und Frankfurt haben wir gesagt, ihr dürft mobil arbeiten, aber ihr müsst es beantragen. Dann können wir das auch vertraglich festhalten. Es gibt dafür aber ein paar Voraussetzungen.
Welche Voraussetzungen sind das?
Ralf Ganzenmüller: Numero 1: Der Job muss dafür geeignet sein. Numero 2: Es gibt Richtlinien, die muss ein Mitarbeitender akzeptieren. Wir arbeiten auch im Prototypenbereich: Es gibt z.B. Projekte, da erlaubt es uns der Kunde nicht, dass Mitarbeitende das von zuhause aus machen. Wenn man jetzt diesen Auftrag bearbeitet, dann kann ein Mitarbeitender das eben nur beim Kunden vor Ort oder bei uns im Büro tun.
Es gehört dazu, dass sich Mitarbeitende an Dinge wie Daten- und IT-Sicherheit halten.
Außerdem haben wir bestimmte Regeln definiert. Einfache Regeln, eher wie Leitlinien. Wir sind ein französisches Unternehmen: Keine Regel ohne Ausnahme.
Erstens: Bei Teilzeitkräften erwarten wir, dass sie mindestens einen Tag pro Woche im Office arbeiten und zwar, genau an dem definierten Team-Tag. Der Team-Tag wird rotieren und da müssen die Mitarbeitenden flexibel sein. Wenn wir die Tage nicht rotieren, schaffen wir ganz schnell Montag und Freitag als Arbeitstag ab.
Es gibt da allerdings eine Gefahr: Teilzeitkräfte sind häufig Frauen.
Wir müssen aufpassen, dass wir Frauen nicht dadurch von Karrieremöglichkeiten abhängen, weil die Mehrzahl der Männer wieder im Büro präsenter ist.
Zweitens: Vollzeitkräfte möchten wir mindestens zwei Tage pro Woche im Büro sehen. Ein Tag davon ist der Team-Tag. Der zweite Tag dient dann vor allem dazu, dass sie auch mit anderen Teams zusammenarbeiten. Man darf nicht vergessen, dass wir durch das mobile Arbeiten viele kleine Silos gebildet haben, die untereinander gut zusammenarbeiten, aber eben nur im eigenen Team. Die anderen Teams sind uns aktuell so fern wie noch nie.
Drittens: Manager sollten drei Tage pro Woche im Büro arbeiten, vor allem die Führungskräfte, die mehrere Teams leiten.
Die vierte Regel betrifft nur neue Mitarbeitende bei Ipsos. Die müssen uns und die Prozesse ja erstmal kennenlernen. Der Zeitraum kann drei, vier oder fünf Monate dauern. Es kann da auch Ausnahmen geben, aber ich halte nichts davon, dass ein neuer Mitarbeitender den Job im Home-Office beginnt. Fühlt sich komisch an.
Es wird sich zeigen, ob diese Regeln reichen oder nicht. Wenn nicht, müssen wir nachjustieren. Wir haben z.B. keinen festen Arbeitszeitrahmen vorgegeben, da wir ohnehin seit 2007 Vertrauensarbeitszeit haben. Wir probieren das erstmal so.
Hat aber noch einen Experimentalcharakter. Wenn wir z.B. sehen, dass der Anteil der „Chargeable Hours“ (Hinweis: Auf Kundenprojekte abrechenbare Projekte) sinkt, werde ich mir das von den entsprechenden Kollegen erklären lassen und gegensteuern. Der Anteil darf nicht sinken, er muss steigen.
Thema Security und Datenschutz: Wie regeln Sie das beim hybriden Arbeiten?
Ralf Ganzenmüller: Punkt 1: Du musst den Mitarbeitenden vertrauen.
Punkt 2: Du musst Dich als Unternehmen dennoch absichern. Deshalb werden wir nicht darum herumkommen, einige Richtlinien zu erlassen, zum Beispiel bezüglich des Umgangs mit sensiblen Daten am heimischen Arbeitsplatz. Als Institut sitze ich da am kürzeren Hebel, wenn ich weiterhin für bestimmte Kunden wie große Autohersteller arbeiten möchte. Wenn Mitarbeitende das nicht gewährleisten können oder akzeptieren, haben wir ein Problem.
Bzgl. Arbeitsplatzsicherheit haben wir eine Grauzone, weil das Schlafzimmer zuhause eben kein Büro ist. Ich glaube nicht, dass unsere Unfallversicherung für einen Unfall aufkommt, der zwischen Küche und Schlafzimmer passiert. Wenn Mitarbeitende damit ein Thema haben, müssen sie eben ins Büro kommen.
Eine Nachfrage zu den Managern: Müssen die deshalb drei Tage ins Büro kommen, weil aus Ihrer Sicht das Führen remote schwieriger und anders ist?
Ralf Ganzenmüller: Diese Regelung betrifft vor allem die oberen Führungskräfte, wie z.B. meine Direct-Reports, die in der Regel mehrere Teams führen. Da kann es schon einmal drei Team-Tage in der Woche geben, weil sie drei Teams führen.
Dann sind wir noch immer an fünf Standorten in Deutschland: Irgendwann müssen die Führungskräfte auch mal wieder physische Präsenz an den Standorten bei ihren verteilten Teams zeigen.
Wir werden das übrigens nicht kontrollieren, aber das ist die Erwartung. Schauen wir mal, wie das läuft.
Wir tun immer so, als ob das mobile Arbeiten besser wäre als das Arbeiten im Büro.
Wir haben Menschen in 16 Industriestaaten dazu befragt. Es gibt viele Länder, vor allem im asiatischen Raum, da wollen die Mitarbeitenden dringend ins Büro zurück.
Und dann gibt es junge Leute, die in einem WG-Zimmer wohnen. Ich bin mir nicht sicher, ob das so ein guter Arbeitsplatz ist. Tut man jungen Menschen mit Mobile-Working einen Gefallen? Gerade in England geht man nach der Arbeit gerne gemeinsam noch in den Pub.
Bei Managern macht es Sinn, dass sie mehr im Büro sind. Ich habe mit den Managern folgende Übung gemacht: Teile ein Blatt in zwei Hälften: Schreib auf die eine Hälfte, was besser zuhause ist. Und auf die andere Hälfte, was besser im Büro funktioniert. Und dann reißt das Blatt auseinander und gestaltet mit den Dingen, die besser im Büro funktionieren, die Team-Tage. Nur darüber! Im Office sollen sie das machen, was gemeinsam besser funktioniert. Da gehört u.a. auch Feiern oder Bier trinken dazu. Ich glaube sogar, dass wichtige Angebote besser werden, wenn man gemeinsam in einem Raum daran arbeitet.
Auch bei Schulungen geht es besser, wenn man zusammenkommt.
Führung wird sich unter den neuen Bedingungen verändern müssen. Das müssen wir trainieren. Das Führungsverhalten muss sich an das hybride Arbeiten anpassen. Wir sind da über Nacht reingegangen. Das müssen wir jetzt nachholen.
Wir müssen auch über andere Führungs-KPIs nachdenken. Wie sieht Erfolg im Home-Office aus?
Ist das nur eine Regelung für Deutschland oder gilt das auch in anderen Ipsos-Ländern?
Ralf Ganzenmüller: Im Vergleich sind wir in Deutschland deutlich weniger strikt und großzügiger. In Asien gibt es kein hybrides Arbeiten mehr, da sind die Kollegen sehr klar. Die Frage muss auch für jedes Land einzeln entschieden werden. Es gibt ja auch lokale Gesetze. In der Summe tendiert Ipsos aber weltweit zu einem hybriden Arbeitsmodell.
Haben bei diesen Überlegungen auch das Thema Nachhaltigkeit und Klimaneutralität eine Rolle gespielt, gerade auch für internationale Meetings?
Ralf Ganzenmüller: Die Regelung gab es schon lange vor der Pandemie. Wir hatten schon davor auf globaler Ebene Nachhaltigkeitsziele vereinbart und auch in Deutschland unseren CO2-Footprint jährlich verringert. Außerdem haben wir die Budgets für Reisekosten deutlich reduziert.
Dennoch werden wir auch wieder physische Meetings machen. Aber mit dem Fokus auf das Socializing, nicht zur Weiterbildung oder so.
Aber, es wird nie wieder so werden, wie vorher.
Wie werden Sie die Büroflächen an die neuen Regelungen anpassen?
Ralf Ganzenmüller: Mit der Schließung von Mölln haben wir schon einen Schritt gemacht. Vielleicht werden wir unsere Flächen noch etwas anpassen, aber das ist nicht mein Hauptthema. Ganz im Gegenteil: Wir müssen uns Gedanken dazu machen, wie wir unsere Offices so attraktiv machen, dass Mitarbeitende da gerne hinkommen. Ich hätte am liebsten ein Büro, wo Mitarbeitende, wenn sie nicht da sind, das Gefühl haben etwas zu verpassen.
Ich mag den Begriff Work-Life-Balance nicht, da er impliziert „Work schlecht, Life gut“.
Ich empfinde es nicht als Belastung meine Mails auch mal im Urlaub zu checken. Besser als nach dem Urlaub 1.000 ungelesene Mails bearbeiten zu müssen.
Ich will das Office anziehend machen. Da macht es Spaß, da sehe ich meine Kollegen, da kann ich gemeinsam arbeiten. An den Dingen, die wir gemeinsam besser machen, als wenn jeder im Home-Office ist. Gerade für junge Menschen halte ich das für wichtig. Ich hätte gerne wieder ein pulsierendes Büroleben.
Ich akzeptiere es, wenn Mitarbeitende und Manager ihren Spaß am mobilen Arbeiten gefunden haben. Es gibt auch für mich Tage, da würde es sich überhaupt nicht lohnen eineinhalb Stunden im Auto zu verbringen, um nach Hamburg ins Office zu fahren. Wenn ich den ganzen Tag in Calls sitze, kann ich das problemlos auch von zuhause aus machen. Diese Flexibilität sollten wir uns erhalten.
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