Martins Menetekel Wir sind in der Anfangsphase einer Limitierung!

Die letzten Wochen waren geprägt von Meldungen immer größerer Tageszuwächse, zuerst der Fallzahlen, (das sind die kumulierten, den Gesundheitsämtern angezeigten Zahlen infizierter Personen,) dann mit zeitlichem Verzug auch der Fallzahlen für die an oder mit Corona Verstorbenen.
In der Modellierung der neuesten Fallzahlen gibt es das Problem, dass die Fallzahlen in der zweiten größeren Welle oder in einem Kaskadenmodell nicht mehr durch eine Differentialgleichung der Form
N'(t) = k*N(t)*(1 – N(t)/S) dargestellt werden können,
weil das Wachstum N'(t) eben nicht von den kumulierten Fallzahlen, sondern von der Anzahl der jetzt in der Bevölkerung ansteckenden Personen abhängt. In den Fallzahlen seit Anfang März sind alle infizierten Personen enthalten, von denen die meisten genesen sind.

Ein Bogen nach unten?
Die Lösung besteht darin, die Ableitung N'(t) für sich zu betrachten. Sie ist unabhängig von dem Sockel der Kaskade. Das haben wir getan und ausgenutzt, dass jeder Wachstumsprozess am Anfang durch eine Exponentialfunktion dargestellt werden kann. Dieses auf N'(t) angewendet, bedeutet, dass ln(N'(t)) durch eine Gerade approximiert wird. Das liefert uns durch Anwendung der e-Funktion ein N'(t) = B*ft . Eine Stammfunktion ist F(t) = (B/(ln(f))*ft und M(t) = F(t) + D ist die gesuchte Annäherung mit D eine Integrationskonstante, die F(t) an die tatsächlichen Fallzahlen anbindet. Das war die Referenzkurve der letzten Wochen. Im Bild oben die rote Kurve. Es war D = 264.726.
ln(N'(t)) sieht seit einigen Tagen nicht mehr wie eine Gerade aus, sie geht, wie es sich für einen limitierten Prozess gehört, in einem Bogen nach unten. Jetzt können wir für die neue Zeitreihe Z(t) = N(t) – D annehmen, dass eine Verhulst-Funktion die beste Approximation ist, dafür ist 2ln(Z(t) – ln(Z'(t)) = 2ln(Z(t)) – ln(N'(t)) durch eine Gerade zu approximieren, darauf die e-Funktion angewendet, ergibt die Werte für B und b, die wir für Verhulst benötigen.
Möglichkeit einer vorsichtigen Prognose
Die zweite Zeitreihe ln(Z(t) – ln(1-Z(t)/S) liefert uns das S als den Wert, der diese Zeitreihe zu einer zur ersten Geraden Parallelen macht. Dann erhalten wir eine Stammfunktion für Z(t) und mit fast derselben Integrationskonstanten D erhalten wir eine neue Referenzfunktion für die Fallzahlen N(t). Die sollte vorsichtige Prognosen ermöglichen, aber dazu muss die erste Gerade noch mindestens eine Woche stabil bleiben.

Hier das Ergebnis. So könnte eine Prognosekurve aussehen:

Wann kommt der Wendepunkt?
Das sieht schon ganz ermutigend aus! Sie ist aber nicht stabil, wie die zweite Ableitung der Fallzahlen zeigt. Letzte Woche hatte ich prognostiziert, dass sie noch etwas Zeit benötigt, um die t-Achse zu schneiden. Am 7. November war es fast soweit, aber nur fast. Danach stiegen die Werte wieder. Stabilität sieht anders aus.

Die zweite Ableitung als Feinindikator zeigt, dass die Zuwächse ihren Wendepunkt schon um den 22. Oktober hatten. Das Maximum der Zuwächse könnte Mitte November erreicht werden, der Tag des heiß ersehnten Wendepunktes dieser zweiten Welle!
Keine schönen Aussichten
Fazit: Das exponentielle Wachstum sowohl der Fallzahlen als auch der Zuwächse ist abgelöst durch ein limitiertes Wachstum nach Verhulst. Es konnte noch nicht so lange wirken, dass es eine stabile Prognosekurve erlaubt. Der Wendepunkt ist in Kürze zu erwarten.
Die mit unserer Methode derzeit berechnete obere Schranke S für alle Fallzahlen ist
S = 264.726 + 1.026.196 = 1.290.922.
Sie ist sicher noch nicht genau.
Eine derart hohe Schranke hätte ich noch vor einem Monat nicht für möglich gehalten. Warten wir es ab. Heutiger Stand (12.11.20, 21.00 Uhr) der Fallzahlen: 749.418. Nach unseren Berechnungen werden noch 540.000 Infizierte dazu kommen. Keine schönen Aussichten.
Über den Autor:
Martin Lindner ist promovierter und habilitierter Mathematikprofessor im Ruhestand und beschäftigt sich intensiv mit nachhaltiger Wirtschaft und der Zukunftsfähigkeit unserer heutigen Lebensformen. Zusätzlich hat er eine Ausbildung und auch Berufserfahrung in Wirtschaftsmediation.
Aus dieser Reihe zuletzt von Martin Lindner auf marktforschung.de erschienen:
Referenzkurve oder schon Prognosekurve?
Halloween naht und damit das kalte Grausen
Entgleitet uns die Kontrolle?
/mf
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