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Lisa Dust, Facts and Stories Wir müssen reden! Sind Marktforschung und UX Research wirklich so verschieden?

Für die Entwicklung maßgeschneiderter, marktrelevanter Produktinnovationen ist eine umfassende qualitative und quantitative Marktforschung unerlässlich. Sie liefert wertvolle Informationen zu den Zielgruppen und ihren Bedürfnissen, Markt, Wettbewerb und Vermarktung und gibt damit die Strategie für alle weiteren Schritte des Entwicklungsprozesses vor. Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung von Produkten hat die User Experience Research (UX Research) in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Wobei sie nicht nur auf digitale Produkte beschränkt ist. UX liefert letztlich Antworten auf die Frage, wie User oder Konsumenten ein Produkt am Ende tatsächlich nutzen, welche genauen Vorlieben, Emotionen oder Reaktionen damit verbunden sind. Sie hilft also dabei, das Produkt optimal an den Bedürfnissen der User oder Konsumenten auszurichten. Historisch bedingt existieren in vielen Unternehmen beide Disziplinen parallel nebeneinander. UX Research ist häufig in Teams aufgehängt, die für User Experience zuständig sind und Produkte entwickeln. Marktforschung hingegen ist meist im Marketing angesiedelt, wobei auch das Business Development typische Marktforschungsstudien in Auftrag gibt. Leider mangelt es oft an Austausch und Kooperation, obwohl beide Disziplinen hinsichtlich Konsumenten- und User-Verständnis und Optimierung eines neuen Produkts dasselbe Ziel verfolgen. Auch die jeweils angewandten Methoden sind teilweise ähnlich und sogar identisch. Sind Marktforschung und UX Research also wirklich so unterschiedlich oder ist letztlich alles nur eine Frage von Verständnis und Kommunikation?
Unterschiede zwischen Marktforschung und UX Research
Im Gegensatz zu UX Research, die als neue Disziplin im Zuge der Digitalisierung entstanden ist, gibt es die Marktforschung schon sehr lange. Deshalb wirkt sie auf viele, gerade junge Bewerber, verstaubt, langweilig und langsam, wohingegen User Experience Research hip klingt und auch hip ist.
Dabei ist Marktforschung ein unglaublich spannender Arbeitsbereich, in dem man kreativ arbeiten und erfolgreich Marken- und Produktideen vorantreiben kann. Sie hat immer das große Ganze im Blick und liefert bezüglich der Konzeption und Planung von Marketingprozessen wichtige Daten, Fakten und Impulse. Marktforscher ermitteln aktuelle Trends und sammeln sämtliche Informationen zu Markt, Wettbewerbern, Kunden und Umfeld. Ein wichtiger Teil hiervon ist eine zuverlässige Prognose, ob und wie sich diese Faktoren in Zukunft verändern könnten und welche Auswirkungen das auf das geplante Produkt hat. Gerade bei Produktinnovationen ist es entscheidend, mögliche Trends frühzeitig im Blick zu haben, die damit verbundenen Möglichkeiten und Herausforderungen zu bewerten und konkrete Empfehlungen und Handlungsanweisungen abzugeben. Im weiteren Verlauf werden Prozesse kontinuierlich beobachtet und analysiert und dementsprechend Erfolge und auch Misserfolge immer neu bewertet. Darüber hinaus sammelt die Marktforschung sehr viele Informationen darüber, wie der Kunde tickt. Es geht darum herauszufinden, welche Einstellungen er vertritt, welche Medien er nutzt, auf welchen Wegen er kommunikativ erreichbar ist und was seine Bedürfnisse sind.
Hier setzt nun UX Research an, dessen Ergebnisse die finale Beschaffenheit eines Produkts oder Services bestimmen. Ein großer Unterschied zur Marktforschung ist der Planungs- und Testzeitraum, der in der Regel zwischen zwei und vier Wochen beträgt und meist erst am Prototypen stattfindet. Die Marktforschung hingegen beginnt bereits vor der Produktentwicklung, begleitet diese bis zum Launch und auch darüber hinaus. UX Research setzt auf möglichst schnelles, auch unmittelbares Feedback. Identifizierte Probleme werden sofort behoben und die Ergebnisse erneut am verbesserten Prototypen präsentiert und wiederum getestet. Dass hier keine Zeit für ausführliche Forschung bleibt, liegt in der Natur der Sache. Im Gegensatz zur Marktforschung, die eher das große Ganze im Blick hat, konzentriert sich UX Research auf einzelne Elemente eines Produkts. Es geht sozusagen um den finalen Feinschliff.
Die verwendeten Methoden der beiden Disziplinen unterscheiden sich nur teilweise. Manchmal wird der Unterschied darin vermutet, dass in der Marktforschung quantitative Methoden wie Umfragen mit großen Stichproben eingesetzt werden, während beim UX Research qualitative Ansätze im Fokus stehen. Aber auch in der Marktforschung sind Einzelinterviews oder Gruppendiskussionen mit wenigen Teilnehmern üblich. Das ist insbesondere dann hilfreich, wenn man sich einem neuen Thema explorativ nähern möchte und die Motive und Einstellungen von Kunden tiefer verstehen möchte.
Gemeinsamkeiten von Marktforschung und UX Research
Neben all der genannten Unterschiede haben die beiden Disziplinen durchaus auch Gemeinsamkeiten, die vielleicht nur auf den ersten Blick nicht ersichtlich sind. Auch, wenn die Herangehensweisen sich unterscheiden, zielen sowohl Marktforschung als auch die Research letztlich auf ein tiefes Verständnis der Konsumenten oder User und die Entwicklung erfolgreicher Produkte und Services ab.
Diesbezüglich betrachtet die Marktforschung zwar das weitläufige Spektrum an Meinungen, bestimmten Charakteristika oder Einstellungen, wohingegen UX Research sich auf die finale und direkte Nutzung eines Produkts konzentriert. Doch so ergänzen sich diese Bereiche am Ende zu einem runden Gesamtbild.
Auch die Methoden, die als Einzelteile zu diesem Gesamtbild führen, sind durchaus ähnlich, oder auch identisch. Wie beispielsweise die bereits erwähnten Stichproben als Grundlage für statistische Analysen. Neben qualitativen Einzelinterviews ist auch die Arbeit mit Fokusgruppen ein Tool, das in beiden Disziplinen häufig zur Anwendung kommt. Sowohl in der Marktforschung als auch bei der UX Research eignen sich Kreativ-Workshops hervorragend, um Ideen zu generieren, die die Produktentwicklung oder -verbesserung sowohl effektiv als auch effizient vorantreiben. Usability-Tests sind nicht erst im Zuge der UX entstanden, sondern gehören genauso zum Repertoire eines kreativen und pragmatischen Marktforschers. UX Research gründet zu einem nicht unerheblichen Teil auf den Ideen des Design Thinking. Doch auch in der Marktforschung finden entsprechende Tools Anwendung. Ich bevorzuge hier den Begriff Design Doing, da der Theorie auch Taten und vor allem eine erfolgreiche Umsetzung folgen muss. Um den gesamten Entwicklungsprozess im Blick zu behalten und dementsprechend relevante und zielführende Methoden und Maßnahmen zu implementieren, müssen Marktforscher und UX Researcher gleichermaßen über eine hohe Methodenkompetenz verfügen. Da die Aufgabengebiete aufeinander aufbauen, bringen beide Seiten diesbezüglich ein ähnliches Mindset und eine ähnliche Fachkompetenz mit, die es am Ende sinnvoll zu ergänzen gilt.
Wir müssen reden!
Marktforschung und UX Research unterscheiden sich in vielen Bereichen deutlich, in anderen wiederum sind sie sich ähnlich oder sogar identisch. Beide Disziplinen erfüllen im Verlauf der Produktentwicklung und -innovation ganz individuelle und ebenso wichtige Rollen. Es wird uns also nirgendwohin führen, wenn wir weiter nur über die Unterschiede debattieren. Stattdessen sollten wir uns auf die gemeinsamen Ziele, nämlich das tiefe Verständnis der Konsumenten und die bedürfnisgerechte Optimierung von Produkten und Services sowie auf die jeweiligen Stärken konzentrieren. Und Wege finden, die beidseitigen Kompetenzen sinnvoll und zielführend zu kombinieren. Dazu gehört im ersten Schritt, mehr miteinander zu reden und sich für jedes gemeinsame Projekt individuell über die gegenseitigen Erwartungen und Vorgehensweisen abzustimmen. Gemeinsame Workshops, Informationsveranstaltungen oder auch Diskussionsrunden sind ebenfalls geeignete Tools, um zum gegenseitigen Verständnis beizutragen und voneinander zu lernen.
Zur Autorin: Lisa Dust ist Co-Geschäftsführerin der Hamburger Agentur Facts and Stories, die maßgeschneiderte, marktrelevante Produktinnovationen mit Wirkkraft realisiert. Als Expertin auf dem Gebiet der qualitativen und quantitativen Marktforschung bringt sie eine hohe methodische Kompetenz in ihre Arbeit ein und weiß die erhobenen Daten kreativ zu nutzen. Die Geschichten, die in ihnen stecken, sind für sie der Dreh- und Angelpunkt für mitreißendes Storytelling, das jede realisierte Innovation und Studie bei Facts and Stories begleitet.
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