Interview: Matthias Jung, Forschungsgruppe Wahlen "Wir können bei der Prognose mit einer hohen Beteiligungsquote von weit über 80 Prozent rechnen"

Wenn im ZDF das "Politbarometer" läuft oder sich die Moderatoren Bettina Schausten und Matthias Fornoff mit Hochrechnungen aus einem Wahlstudio melden, dann hat vor allem die Forschungsgruppe Wahlen ganze Arbeit geleistet. Auf der Homepage der in Mannheim ansässigen Forscher findet sich der Menüpunkt "wissenschaftliche Begleitung der ZDF-Wahlsendungen". Wir wollten von Vorstandsmitglied Matthias Jung wissen, welchen Service die Gruppe im Detail liefert.

Matthias Jung, Forschungsgruppe Wahlen

Matthias Jung, Forschungsgruppe Wahlen

marktforschung.de: Herr Jung, am 26. Mai findet die nächste große Wahl statt, bei der auch das ZDF wieder über mehrere Stunden über die Wahl berichten wird. Wie lange vor Wahltermin beginnen die Vorbereitungen für einen solchen Wahltermin?

Matthias Jung: Bei regulären Wahlen fangen wir knapp ein Jahr vorher mit den ersten Vorbereitungen an. Dabei geht es zunächst einmal um die Aufarbeitung der vorausgegangenen Wahlergebnisse, die wir für die Ziehung einer Stichprobe sowohl für unsere Befragung vor den Wahllokalen als auch für unsere Hochrechnung benötigen. Später müssen dann Interviewerinnen und Interviewer gesucht und geschult werden, die die Befragungen vor den Wahllokalen der Stichprobe durchführen. Für das alles sind umfangreiche und vielfältige logistische Vorbereitungen notwendig.

marktforschung.de: Nun arbeitet die Forschungsgruppe schon seit über 40 Jahren beim "Politbarometer" mit dem ZDF zusammen, da kommt einiges an Routine und Erfahrung zusammen. Was könnte auf Ihrer Seite dennoch einmal so richtig schief gehen an einem Wahlabend und wo sichern Sie sich daher dreimal ab? 

Matthias Jung: In der Tat sorgen wir da bei vielem für Redundanz, aber bei manchem wären wir auch hilflos ausgeliefert, wenn das nicht funktionieren würde. Dazu gehören insbesondere Telefon- und Internetverbindungen, aber auch die Stromversorgung. Und bei auch noch so sorgfältigem Arbeiten und wiederholten unabhängigen Überprüfungen kann beim Zusammenstellen der Unterlagen auch mal der falsche Fragebogen an die falschen Interviewer vor Ort geliefert werden. Zum Glück ist bei den vielen Wahlen, die wir inzwischen durchgeführt haben, noch nie etwas Gravierendes schief gegangen.

marktforschung.de: Wie läuft das mit der Prognose genau, die um 18 Uhr mit Schließung der Wahllokale veröffentlicht wird? Diese weichen von den Hochrechnungen meist nur wenig ab, wie sind die Befragungen organisiert?

Matthias Jung: Entscheidend für die Präzision dabei ist es - wie auch sonst bei Umfragen - repräsentative Erhebungen zu realisieren. Dazu gehört insbesondere eine strenge Zufallsauswahl aus der Gesamtheit der Stimmbezirke, in denen wir die Befragungen am Wahltag den ganzen Tag über durchführen. Dabei können wir auf eine sehr hohe Beteiligungsquote von weit über 80 Prozent rechnen, die in Verbindung mit der unmittelbaren Abfrage des Wahlverhaltens wenige Minuten nach dem die Wahl getroffen worden ist und der großen Zahl an Interviews eine recht hohe Trefferquote sicherstellt. Allerdings muss man sehen, dass immer mehr Menschen Briefwahl machen, die wir dann vor den Wahllokalen nicht erreichen und mit Erfahrungswerten für unsere Prognose korrigierend berücksichtigen müssen.

marktforschung.de: Wahlen sind ja, ob Sie das gut finden oder nicht, immer auch ein Schaulaufen der Meinungsforschungsinstitute. Wer präsentiert die besten Vorhersagen, wer war wie schnell? Wie muss ich mir die Stimmung bei Ihnen in Mannheim vorstellen, wenn die Kollegen anderer Institute am Wahlabend einfach besser als die Forschungsgruppe abgeschnitten haben?

Matthias Jung: Auch wenn Journalisten das sehr oft missverstehen, sind ja Ergebnisse von Umfragen in den Tagen und Wochen vor der Wahl keineswegs Prognosen für das Wahlergebnis, sondern können logischerweise nur die Stimmung zum Zeitpunkt der Umfrage wiedergeben. Insofern liefert außer uns eigentlich normalerweise nur noch Infratest-dimap eine Prognose am Wahlsonntag für das Wahlergebnis. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigen, dass sich die Ergebnisse der ARD-Kollegen von den unsrigen aus methodisch statistischer Sicht eigentlich nicht wesentlich unterscheiden, da wir beide unsere Verfahren in den letzten Jahren so optimiert haben, dass die Ergebnisse besser ausfallen als das das statistische Lehrbuch eigentlich erwarten lässt. Selbstverständlich wissen wir, dass wir damit eine so hohe Erwartungshaltung erzeugt haben, dass eine Reihe von Journalisten statistisch vernachlässigbare Abweichung das ein oder andere Mal als Versagen der Demoskopen klassifiziert. Damit muss man leben.

marktforschung.de: Wie viele Leute der Forschungsgruppe sind an einem Wahltag für das ZDF im Einsatz? Und ist der Aufwand heutzutage weniger groß, weil die Digitalisierung Vieles übernimmt?

Matthias Jung: Der Hauptaufwand bei den Befragung vor den Wahllokalen besteht in logistischen Maßnahmen, die nur bedingt durch Digitalisierung vereinfacht werden können. Die Qualität der Befragung lebt wesentlich davon, dass unsere Interviewerinnen und Interviewer vor Ort den Wählerinnen und Wählern professionell begegnen und damit eine maximale und unverzerrte Teilnahme an der Befragung ermöglichen. Bei einer normalen Landtagswahl sind da auf den verschiedenen Positionen 500-600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einsatz, bei einer Bundestagswahl noch einige mehr.

marktforschung.de: Herr Jung, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Tilman Strobel

 

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