Nicolas Loose, Leiter Marktforschung Statista "Wir glauben daran, dass faktenbasierte Entscheidungen oft die besten sind"

Nicolas Loose (Bild: Statista)
marktforschung.de: Herr Loose, im Juni 2017 muss bei Ihnen im Haus jemand an einen Analysten oder eine Analystin herangetreten sein und gesagt haben: "Bitte baue mir aus diesen Zahlen mal eine Grafik zum Markt für Socken und Strümpfe.“" Läuft das so? Oder füttern Sie den Server einfach nur mit Big Data und die Grafiken entstehen automatisch?
Nicolas Loose: Welche Statistiken wir veröffentlichen, entscheidet immer ein Analyst. Die Teams bei Statista sind nach Regionen aufgeteilt, und innerhalb jeder Region gibt es Spezialisten für verschiedene Themen und Branchen. Nur wenn der Analyst bei seiner Recherche eine Statistik als relevant und belastbar beurteilt, schafft sie es auch auf die Plattform. Natürlich führen wir auch systematische Analysen durch, die uns verraten, welcher Content besonders nachgefragt ist. Und es kommt auch oft vor, dass unsere Kunden gezielt Wünsche äußern. Diese Informationen stehen den Analysten bei Ihrer Arbeit zur Verfügung, entscheiden tun sie aber letzten Endes immer im Einzelfall.
marktforschung.de: Ob Umsatzzahlen zu Kontaktlinsen oder Pralinen, oder zur Frage, welchen Liebesbeweis die Menschen für den größten halten – Sie haben Statistiken und Grafiken dazu im Angebot. Für was interessieren sich die Nutzer am meisten, welche Statistiken werden am häufigsten heruntergeladen?
Nicolas Loose: Die Nutzer unserer Plattform sind keine homogene Gruppe, sondern unterscheiden sich in ihren Themeninteressen und auch in der Art, wie sie die Daten nutzen. Viele Nutzer aus Unternehmen und Verbänden interessieren sich für eine oder mehrere Branchen. Andere sind in einer Querschnitts-Disziplin tätig, etwa im Marketing, und benötigen täglich Daten zu Trends in Medien, Werbung, Marketing, E-Commerce und vielem mehr. Eine dritte Gruppe sucht quasi nach allem - Hochschulen, die Wissenschaftlern und Studenten aller Disziplinen einen Zugang zu Statista stellen. Am Ende zählt für uns aber nicht die Anzahl der Aufrufe pro Statistik, sondern dass jeder einzelne Nutzer genau die Zahlen und Fakten findet, die er sucht.
marktforschung.de: Sie haben in einem Interview mit Ausblick auf das Jahr 2018 gesagt: "In der Marktforschung bleibt die Analyse von Verhaltensdaten und von synthetisierten Daten aktuell noch oft hinter dem Anspruch der Branche zurück, Verhalten nicht nur zu messen, sondern auch zu erklären.“ Mit Verlaub, aber mit Ihren vielen Statistiken erklären Sie eher wenig.
Nicolas Loose: Das stimmt, wir sorgen zunächst einmal nur dafür, dass unsere Nutzer schnell zu den gesuchten Daten kommen. Denn wir glauben daran, dass faktenbasierte Entscheidungen oft die besten sind. Der Aha-Effekt, das Finden von Insights, das muss im Kopf unserer Nutzer passieren. In Zukunft wollen wir aber mehr Tools anbieten, die genau das noch schneller und leichter ermöglichen. Beispielsweise stellen wir unseren Kunden mit dem Global Consumer Survey eine 27-Länder Studie zur Verfügung, die man interaktiv selbst erkunden und auswerten kann. Haben Hedonisten weniger Geldanlagen als Sicherheitsorientierte? Kommt ein Elektroauto eher für die Bewohner von Großstädten in Frage? Die Antworten auf diese und viele andere Fragen kann man dann einfach selber finden, auswerten und interpretieren.
marktforschung.de: Ich finde auf Ihrer Seiten zum Beispiel eine Grafik zur verkauften Auflage von Tageszeitungen in Deutschland. Die haben sich seit 1991 mal eben auf 14,7 Millionen Exemplare fast halbiert. Abgesehen davon, dass ich das schade finde kann ich mir die Gründe dafür aber vorstellen. In einem anderen Fall bieten Sie eine Grafik auf die Frage: "Welche Kosten sind Ihnen für den Heiratsantrag entstanden und wie hoch waren sie?" Ich frage mich gerade, ob mich eine Erklärung für die Zahlen interessiert, ich überlege noch. Muss man alles erklären können?
Nicolas Loose: Zumindest muss man nicht für alles eine voreilige Erklärung finden. Aber oft sind es gerade die Phänomene, die man sich nicht auf Anhieb erklären kann, aus denen dann wirklich neue Erkenntnisse entstehen, oder an denen sich größere Trends ablesen lassen. Nehmen Sie beispielsweise die zunehmende Relevanz von Gutscheinen als Weihnachtsgeschenk. Eine mögliche Erklärung würde die Entfremdung der Alten von den Jungen bieten, die digitale Kluft. Aber auch andere Erklärung sind natürlich denkbar.
marktforschung.de: Was wünschen Sie sich, was die Marktforschungsszene betrifft, für 2018?
Nicolas Loose: Dass viele neue Talente einen Zugang zu dieser Branche finden, und dass es einen lebhaften Austausch über die Themen gibt, die die Branche und deren Teilnehmer bewegen - in meinem Fall sind das besonders die Themen, die mit der Digitalisierung der Prozesse und Methoden in der Marktforschung zu tun haben. Auf jeden Fall verspricht 2018, ein bewegtes Jahr zu werden.
marktforschung.de: Herr Loose, vielen Dank!
Das Interview führte Tilman Strobel.
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