Frauen in der Marktforschung: Prof. Dr. Hariet Köstner, HS Augsburg "Wir arbeiten überall mit Menschen und die lieben es, wenn man sich wirklich für sie interessiert"

Hariet Köstner ist Professorin für empirische Marktforschung an der TH Augsburg. Anlässlich unserer Reihe "Frauen in der Marktforschung" haben wir sie gefragt, wie sie das Thema Gleichberechtigung im Hochschulbetrieb sieht, wie sie neue Inspiration sammelt und welche Ratschläge sie nachwachsenden Marktforschenden geben würde.

Frau Köstner, als studierte Sozialwissenschaftlerin sind Sie seit über sieben Jahren als Professorin für empirische Marktforschung an der Hochschule Augsburg tätig. Warum haben Sie sich nach 15 Jahren als Marktforscherin in leitender Position für eine Tätigkeit als Lehrende in der Marktforschung entschieden?

Hariet Köstner: Professorin zu werden war für mich tatsächlich schon sehr lange ein Traumberuf. Das eigene Wissen und die Erfahrung an junge Menschen weiterzugeben, ist einfach sinnstiftend. Zusammen mit der Möglichkeit, eigene Forschungsschwerpunkte zu bestimmen und sich intern für die Weiterentwicklung der Hochschule einzusetzen, ergibt das für mich die ideale Kombination. Und die Technische Hochschule Augsburg hat sich als der Sechser im Lotto entpuppt: Tolle Studierende und wunderbare Kolleginnen und Kollegen!

Gab es für Ihren beruflichen Werdegang wichtige Vorbilder oder Mentorinnen?

Hariet Köstner: Auf meinem Weg hatte ich das große Glück, vielen großartigen Menschen begegnet zu sein, die mich auf unterschiedlichste Weise begleitet und inspiriert haben. An meinem Doktorvater Prof. Klein habe ich unter anderem seine fachliche Brillanz geschätzt, an meinem ersten Chef Stefan Müller die unterhaltsame Art, zu präsentieren. Menschlich und fachlich war Prof. Susanne Rässler, die damals bei Prof. Klein habilitierte, ein ganz großes Vorbild. Ihr warmherziges Wesen bei gleichzeitiger fachlicher Kompetenz, öffnete fast jede Tür. Prägend war sicher auch meine Chefin bei ForschungsWerk, Iris Schuster. Neben ihrem unerschütterlicher Optimismus und ihrem Talent zum Netzwerken hat sie mir durch pragmatisch unkonventionelle Arbeitszeitmodelle die Möglichkeit gegeben, während der gesamten Familiengründungsphase (wir haben drei Kinder) fast ohne Unterbrechung zu arbeiten.

Ihnen werden bei Ihrer Nominierung ein außerordentliches Engagement und ein großer Ideenreichtum bei der Ausbildung und Förderung des Mafo-Nachwuchses nachgesagt. Bedarf es nach Ihrem Eindruck einen größeren Förderungsbedarf für Frauen in der Marktforschung?

Hariet Köstner: Wenn die Studierenden und die Branche betrachtet werden, zeigt sich für mich folgendes Bild: Auf der einen Seite eine Branche, die erfreulicherweise schon gut mit Frauen besetzt ist, die auf der anderen Seite jedoch auch nicht ohne Weiteres jede offene Position besetzen kann. Insofern sehe ich die Hochschulen in der Pflicht, junge Menschen generell für die Marktforschung zu begeistern. Dies gilt insbesondere für den Bereich Data Science, in dem Frauen unterrepräsentiert sind. Hier gibt es viele Berührungsängste, obwohl die Studentinnen nach meiner Wahrnehmung fachlich mindestens so gut wie ihre männlichen Kommilitonen sind. Hier ist stetiges Ermutigen und Fördern, zum Beispiel durch Abschlussarbeiten, Gutachten für Stipendien, Vorschlagen für Preise und ähnlichem, unsere Aufgabe.

Auch Ihre hohe Methodenkompetenz in Kombination mit großer Praxisnähe wird lobend erwähnt. Wie setzen sie Ihre Fähigkeiten in Ihrem Arbeitsalltag als Professorin um?

Hariet Köstner: Ausgezeichnete Veranstaltungsformate sind bei uns die sogenannten Projekte. Hier durchlaufen die Studierenden – oft mit einem Praxispartner – in einem Semester ein komplettes Marktforschungsprojekt. Der Lernerfolg ist dadurch immens. Neben den selbst angewendeten empirischen Methoden merken die Studierenden, wie wichtig Kommunikation und Teamarbeit ist. Und in der Auswertung der eigenen Daten verliert die Statistik so manchen Schrecken und wird sogar als gewinnbringend erlebt.

Außerdem lade ich in jedem Semester mehrere Gastdozierende in meine Vorlesungen ein. Der Blick aus der Praxis ist für die Studierenden immer ein großer Mehrwert.

Wie setzt sich Ihr Kollegium an der Hochschule in Hinblick auf die Geschlechterverteilung zusammen, und haben es Frauen generell schwerer, sich im Hochschulbetrieb durchzusetzen?

Hariet Köstner: Bei uns an der Fakultät Wirtschaft haben wir vergleichsweise viele Frauen. Das ist sicher in den technisch geprägten Fakultäten noch etwas anders. Aber die Frauenbeauftragten sind sehr hinterher, bei Neuberufungen die Chancen der Frauen zu wahren. Auch sonst nehme ich bei uns eine große Sensibilität wahr, was beispielsweise die Besetzung von Gremien anbelangt.

Frau Köstner im Videointerview

Sehen Sie Verbesserungsbedarf bei der Gleichstellung von Männern und Frauen im Hochschulbereich und was erfahren Sie von Ihnen Studierenden aus der Praxis zu diesem Thema?

Hariet Köstner: Zum einen hat sich aus meiner Wahrnehmung in den letzten Jahren schon sehr viel getan. Frauen neigen vielleicht manchmal dazu, sich eher nicht für ein Amt zu bewerben, während Männer es im Zweifel eher tun. Vielleicht sind wir aber einfach realistischer in unserer Einschätzung des Machbaren? Grundsätzlich wünsche ich mir, dass wir dahin kommen, dass Menschen völlig ungeachtet ihres Geschlechtes und sonstiger Merkmale Wertschätzung erfahren. Denn Anti-Diskriminierung darf nicht in Diskriminierung vermeintlich privilegierter Gruppen umschlagen. Weiterhin würde meiner Einschätzung nach eine höhere Wertschätzung von Care-Arbeit fast automatisch dazu führen, dass Männer in der Familie präsenter wären und Frauen im beruflichen Kontext.

Welche Ihrer veröffentlichen Projekte würden Sie als Ihre „Herzensthemen“ benennen und welche Aspekte Ihrer Lehrtätigkeit bereiten Ihnen die meiste Freude?

Hariet Köstner: Ein Highlight war sicherlich die Veröffentlichung meines Buches „Empirische Forschung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften“ Anfang dieses Jahres. Darin konnte ich die gesammelte Erfahrung der letzten fast 25 Jahre zu meinem „Herzensthema“ empirische Forschung auf den Punkt bringen. Das positive Feedback von vielen Seiten hat unglaublich gutgetan.

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In der Lehre sind es immer wieder wunderbare Augenblicke, wenn Studierende eine gute Abschlussarbeit vorlegen, ihre Augen nach einer erfolgreichen Verteidigung strahlen und man sie hochmotiviert „in die Welt“ entlassen darf. Generell macht die Arbeit mit jungen Menschen einfach Spaß. Um die Worte meiner hochgeschätzten Kollegin Christa Wehner zu verwenden: „Studierende sind die nettesten Klienten der Welt“.

Wie gewinnen Sie Inspirationen für neue Vorlesungs- und Arbeitsthemen an der Hochschule?

Hariet Köstner: Dadurch, dass das marktforscherische Tagesgeschäft an der Hochschule weitgehend fehlt, bin ich zu einem Heavy-User von Branchennewslettern und -publikationen aller Art geworden. Dadurch wird man auf so viele spannende Entwicklungen aufmerksam, dass meistens die Vorlesungen gar nicht reichen, alles unterzubringen. Außerdem ist die Tagespresse ein steter Quell der Inspiration: In vielen Artikeln spielt empirische Forschung eine Rolle. Gerade wenn dort handwerklich nicht alles optimal durchgeführt wurde, bietet es aktuelles Anschauungsmaterial in der Vorlesung.

Außerdem engagiere ich mich im BVM Fachbeirat. Dort heben wir gerade eine neue Veranstaltung aus der Taufe: den "HochschullehrerInnentag" am 28. September. Mit diesem Format wird einerseits der gegenseitige Ideen- und Erfahrungsaustausch unterstützt. Durch Vorträge von Instituten soll gleichzeitig das Bewusstsein für die Needs der Praxis geschärft werden.

Aus Ihrer Erfahrung als Forschende und Lehrende: Was ist der wichtigste Ratschlag, den Sie Neueinsteigerinnen in der Marktforschungsbranche geben können?

Hariet Köstner: Neugier, keine Angst vor Zahlen sowie Kollegen und Kolleginnen, Kunden und Kundinnen und Proband echtes Interesse und Wertschätzung entgegenbringen. Denn wir arbeiten überall mit Menschen und die lieben es, wenn man sich wirklich für sie interessiert.

Wie sehen Ihre Zukunftsvisionen für Frauen in der Marktforschungsbranche aus und was müsste unternommen werden, um diese Visionen zu erreichen?

Hariet Köstner: Wichtigste Aufgabe ist meines Erachtens der Schulterschluss zur Data Science, die weitaus stärker männlich geprägt ist. Hier sehe ich die Gefahr, dass sich unsere Branche die Butter vom Brot nehmen lässt und dadurch auch die Bedeutung der Frauen geschwächt wird. Insgesamt sehe ich aber sehr positiv in die Zukunft, denn die Branche hat nicht ohne Grund schon einen hohen Frauenanteil. Wichtig wäre die Ermutigung von Frauen, verstärkt als Gründerinnen aktiv zu werden bzw. in die Führungsspitze von Unternehmen aufzusteigen.

 

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