Willkommen in der Zukunft: Wir alle werden Data Scientists

Von Benedikt Köhler, DataLion

"Data Scientist ist der sexyeste Beruf des 21. Jahrhunderts". So war es Ende 2012 im Wirtschaftsmagazin "Harvard Business Review" zu lesen. Während man Statistik und Mathematik bisher eher nicht mit Sex Appeal assoziiert hatte, war das Erfassen, Bereinigen, Auswerten und Visualisieren von Daten auf einmal zu einer der begehrtesten Fähigkeiten geworden. McKinsey prognostizierte sogar eine Lücke von knapp 200.000 fehlenden Data Scientists – allein in den USA! Den besten Beleg für die Begehren weckende Kraft der Data Science liefert der Autor des oben genannten Artikels selbst – DJ Patil. Als er den Beitrag schrieb, verantwortete der Mathematiker die Datenanalyseabteilung des Social Networks LinkedIn. Als ich ihn das letzte Mal auf der Strata Conference in San Jose getroffen hatte, hatte er einen neuen Job. Barack Obama hatte ihn als Chief Data Scientist in das Weiße Haus geholt. Data Science scheint zu wirken!

Aber was ist das Geheimnis für den überraschenden Aufstieg des neuen Jobprofils "Data Science", das die ehrwürdige Branche der Marktforscher in manchen Ländern schon abgelöst zu haben scheint? Eine naheliegende Erklärung ist die Tatsache, dass in allen Lebensbereichen immer mehr Daten produziert und gespeichert werden. Allein die mittlerweile zwei Milliarden Smartphones weltweit produzierten mit ihren Sensoren in einem Monat vermutlich weit mehr Daten als die Marktforschung in ihrer gesamten Geschichte. Sowohl beruflich – Marketing, Vertrieb, Produktion, Einkauf, Personal, Management – als auch privat – Smart Home, Bildung, Ernährung, Fitness, eHealth – gelten Daten als das neue Öl, das nur darauf wartet, durch die modernen Rockefellers zu Tage gefördert und in Geld verwandelt zu werden.

Die Data Scientists sind aber nicht nur für die Bändigung dieser Datenflut zuständig, sondern vor allem dafür, in diesen Daten sinnvolle Muster zu erkennen. Neben den statistischen Algorithmen aus dem Machine Learning hat in den letzten Jahren vor allem die Daten- oder Informationsvisualisierung an Bedeutung gewonnen. Wenn es um Daten geht, ist die Lebensweisheit "das Aussehen zählt nicht" schlicht falsch. Spätestens seit den grundlegenden Werken des Erfinders der Explorativen Datenanalyse John Tukey und des großen Visualisierungstheoretikers Edward Tufte dürfte den letzten Number Crunchern klar sein, dass es nicht nur auf methodische Sauberkeit ankommt, sondern vor allem auf die wirkungsvolle Präsentation der Daten als Grafik. Kommunikation von quantitativen Insights funktioniert am besten in Visualisierungen.

Eine Seite aus dem b4p MarketReport "Gesichtskosmetik" 2015 in der DataLion-Visualiserungssoftware

Storytelling mit Marktforschungsdaten: Eine Seite aus dem b4p MarketReport "Gesichtskosmetik" 2015 in der DataLion-Visualiserungssoftware


Die große Stärke der Datenvisualisierung ist es, komplexe Zusammenhänge einfach und unmittelbar nachvollziehbar darzustellen. Infografiken, bei denen man sich erst Minuten lang damit auseinandersetzen muss, welche Bedeutung die verschiedenen Achsen haben und was eigentlich die Aussage der Grafik ist, sind nicht viel mehr als "Chartjunk", wie Tufte einmal geschrieben hat. Aber nach wie vor ist der Weg zu wirklich guten Visualisierungen steinig. Zwar gibt es immer mächtigere und flexiblere Softwarepakete, mit denen man visuell ansprechende, wirksame und effektive Grafiken erzeugen kann – vor allem Mike Bostock und Kollegen haben hier mit dem Open-Source-Softwarepaket "d3.js" einen neuen Standard gesetzt. Aber die Bedienung ist nach wie vor den Data Scientists vorbehalten, die sowohl etwas von Coding, Statistik und Datenverarbeitung verstehen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass dies nur ein Zwischenschritt ist. Schon heute können Algorithmen aus der künstlichen Intelligenz automatisch Texte zu Fußballspielen schreiben oder vorhersagen, was sich eine Person zu Weihnachten wünscht. Wenn so etwas heute schon Gegenwart ist, steht auch das automatische Verstehen von Datenstrukturen und Interpretieren von Marktforschungsdaten schon vor der Tür. In einer Zeit, in der Daten zur zweiten Natur des Menschen geworden sind, sollte auch jeder Mensch – nicht nur die Data Scientists – Werkzeuge zur Hand haben, um Muster in den eigenen Daten und Daten der Umgebung zu identifizieren und zu interpretieren. Ganz gleich ob Schülerinnen oder Lehrerinnen, Künstlerinnen oder Wissenschaftlerinnen, Marketeers oder Beraterinnen – jeder sollte diese mächtigen  Werkzeuge bedienen können, um damit unsere digitale Welt besser zu verstehen.

Entscheidend ist dabei das Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Algorithmen können zum Beispiel die Funktion übernehmen, bereits beim ersten Datenimport die Strukturen zu erkennen und einen Datensatz schon so vorstrukturieren, dass auch eine zwölfjährige Schülerin daraus in kurzer Zeit spannende Erkenntnisse gewinnen und visualisieren kann. Daneben kann mittlerweile auch die Auswahl des passenden Visualisierungstyps – ob Balken, Netzwerk oder Donut – automatisiert werden. Und ganz ähnlich wie Amazon und Netflix können auch die ersten Datenanalysetools auf Grundlage des Nutzerverhaltens Empfehlungen geben, welche Insights und Charts für den jeweiligen Nutzer besonders spannend und ergiebig sein könnten.

Die Aufgabe des Menschen wird aber nach wie vor das Erzählen der daraus resultierenden "Daten-Geschichte" bleiben. Statistik und Datenanalyse sind universelle Sprachen, die auch ein Softwaresystem schnell lernen kann, aber Storytelling sieht je nach Kontext völlig anders aus – in Deutschland wird anders erzählt als in Südkorea oder in den USA und im Marketing gelten andere Schwerpunkte als im Journalismus, im Großkonzern wird anders erzählt als auf dem Pausenhof. Aber überall werden Daten produziert, visualisiert und präsentiert. Mit den richtigen Werkzeugen und einer Spur Intuition kann heutzutage jeder zum Data Scientist werden.

Der Autor

Benedikt Köhler, DataLion

Benedikt Köhler ist Gründer und CEO von DataLion.

 

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