Claudia Dubrau, AGOF Willkommen in der Matrix

Claudia Dubrau © AGOF
So neu ist diese Idee, die derzeit das digitale Marketing revolutioniert, nicht – und auch nicht mehr in weiter Zukunft. Als früheste Quelle wird gerne auf "L’Homme Machine" von Julien Offray de La Mettrie aus dem Jahr 1748 verwiesen und bereits 1956 wurde der Begriff "Artificial Intelligence" im Rahmen eines Workshops am Dartmouth College in den akademischen Diskurs eingeführt.
Der Begriff und die Idee, dass menschliche Intelligenz und Denkvorgänge sich potenziell automatisieren oder digitalisieren lassen, sind also schon längst in unseren Lebenswelten angekommen. Lediglich unsere Vorstellung, was künstliche Intelligenz ist oder sein kann, welche Folgen diese haben könnte und was damit bewirkt werden kann, hat sich in dieser Zeit fortlaufend geändert. Während in den 1980er Jahren die künstliche Intelligenz – beispielsweise in Form von Expertensystemen – die Diagnose von Krankheiten übernehmen und damit Ärzte entlasten sollte, übernahm sie 1999 die Herrschaft über die Welt und schuf für den Menschen die "Matrix".
Viele dieser vor allem filmischen Interpretationen spiegeln zumeist die unheimliche, dystopische Seite wider, die künstliche Intelligenz haben kann. Eine Befürchtung, die oft auch in vielen Diskussionen oder Berichten in unserer Branche durchklingt. In einer Befragung im Auftrag des Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), die erst vor wenigen Tagen erschienen ist, gaben 48 Prozent der Befragten an, zu befürchten, dass der Mensch dabei die Kontrolle verlieren wird.
Ich stehe dem Einsatz künstlicher Intelligenz ambivalent gegenüber. Aber nicht aus Angst vor einer möglichen "Macht-Übernahme", sondern vielmehr, weil ich nicht weiß, was KI tatsächlich imstande ist zu leisten. Ob wir hier nicht wieder einem Hype "aufsitzen", der dann doch nicht halten kann, was er uns heute scheinbar verspricht. Sicher, die neuen Möglichkeiten, die sich viele – gerade auch in der Marktforschungs-Branche – davon versprechen, klingen vielversprechend. Deutlich komplexere Berechnungen sollen damit möglich sein, unsere Arbeit könnte durch die Automatisierung schneller und effizienter erfolgen. Selbstlernende Algorithmen könnten uns bei Prognosen helfen, oder es wären sogar Analysen möglich, die aufgrund ihrer Komplexität, et etera bislang noch gar nicht denkbar wären. Sicher, das klingt alles verlockend. Doch kann künstliche Intelligenz das auch wirklich leisten?
Denn die aktuellen Diskussionen und Versuche zeigen, dass KI bei komplexen Berechnungen (noch) sehr schnell an seine Grenzen gerät. Umfangreiche und vielschichtige Big-Data-Analysen würden den derzeitigen Entwicklungsstand schnell überfordern. Wird künstliche Intelligenz also überhaupt in der Lage sein, derartig komplizierte Rechenleistungen zu übernehmen, wie wir es uns heute erträumen?
Ich könnte mir passende Einsatzgebiete allerdings schon vorstellen. Sollte die ePrivacy Verordnung in der Form, wie sie derzeit in Brüssel diskutiert wird (wie in der Kolumne im Dezember bereits beleuchtet), in Kraft treten, wäre es extrem wünschenswert, wenn uns die künstliche Intelligenz dabei helfen könnte, weiterhin repräsentative und qualifizierte Reichweitendaten anzubieten ohne gegen die ePrivacy Verordnung zu verstoßen. Aber das kann sie eben nur, wenn die prognostizierte Leistung auch tatsächlich erbracht werden kann.
Und selbst wenn sie es vermag, auf welcher Basis würden wir Ergebnisse erhalten? Gerade in der Marktforschung ist es wichtig, dass wir Berechnungen und hergestellte Zusammenhänge transparent nachvollziehen können. Die Arbeit mit künstlicher Intelligenz ist aber eine Black Box, in die Daten hineingegeben werden, die ein sich selbst weiterentwickelndes System verarbeitet – ohne erkenntlich zu machen, wie diese zustande gekommen sind. Welche Qualität und Verlässlichkeit können derartige Ergebnisse haben? Wie sollen Plausibilitätsprüfung und Kontrolle erfolgen? Und nicht zuletzt: Auf welcher Basis würden dann diese Aussagen und Prognosen erstellt?
Ich finde künstliche Intelligenz hochinteressant und würde es begrüßen, wenn KI uns bei Schwierigkeiten bei der Datenerfassung und -analyse helfen könnte. Insbesondere für uns Marktforscher kann hier großes Potenzial liegen, aber nur, wenn die Effektivität, die KI und ihre Befürworter versprechen, auch wirklich eintrifft.
Die Autorin
Claudia Dubrau ist seit Februar 2009 Geschäftsführerin der AGOF. Die studierte Psychologin ist seit Ende 2003 in verschiedenen Funktionen für die AGOF tätig. Zunächst war sie in der der Technischen Kommission (TK) und verschiedenen AGs aktiv, 2005/2006 war sie stellvertretende Vorstandsvorsitzende und von 2007 bis 2008 Sprecherin der Technischen Kommission, die die methodische Verantwortung für die Forschungsprojekte der Arbeitsgemeinschaft, insbesondere die Markt-Media-Studie daily digital facts, trägt.
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