Dr. Christian Holst zu Werbemailings in der Marktforschung Wie wirbt die Marktforschungsbranche?

Kommunikation ist der Versuch, Informationen von einem Sender an einen Empfänger zu übermitteln. Und werbliche Kommunikation ist der (häufig vergebliche) Versuch eines Senders, einen Empfänger zu überzeugen. Damit die Chancen steigen, dass es funktioniert, engagieren Sender gelegentlich Profis, also Werbeagenturen oder PR-Fachleute, die versprechen, dass es mit Ihnen auch klappt. Und dann gibt es Marktforscher*innen, die überprüfen, ob es geklappt hat – und, wenn sie gut sind, auch sagen können, wie man es hätte besser machen können. Da wäre es doch ganz interessant mal zu schauen, ob es die Profis in ihrer eigenen Kommunikation tatsächlich besser machen – oder zumindest gut. Grundlage ist hier eine völlig unrepräsentative Auswahl einiger Nachfass-E-Mails von Anbietern nach der DAIS Ende März und der succeet im April.
Was macht denn gute werbliche Kommunikation aus?
- Gestaltung: Werbung muss überhaupt erst einmal betrachtet werden. Damit ist nicht die Frage des Werbedrucks gemeint, sondern sie muss beim ersten Eindruck so attraktiv sein, dass sie auffällt. Gute Gestaltung kommuniziert und macht es einfacher, den Inhalt zu erfassen.
- Verständlichkeit: Wird die Botschaft gesehen, muss sie auch verstanden werden. Ich muss mich also als Absender so einfach und verständlich ausdrücken, dass der oder die Empfänger*in innerlich mit dem Kopf nickt.
- Wichtigkeit: Zudem bin ich aber mit meiner Werbung auch nie allein auf weiter Flur, sondern konkurriere – wie ein Blick in die In-Box oder den Briefkasten zeigt – immer mit anderen. Wie kann ich mich unterscheiden? Indem ich die Wichtigkeit meiner Botschaft herausstelle und sie so im Kopf der Empfänger*innen nach oben priorisiere. Nur was wichtig ist, wird behalten – für alles andere haben wir keinen Platz.
- Überzeugung: Als Absender möchte ich nicht nur etwas mitteilen, sondern überzeugen. Die Botschaft muss akzeptiert und zu eigen gemacht werden – und wird durch ein innerliches Kopfnicken quittiert.
- Aktivierung: Was nützt die beste Kommunikation, wenn darauf nicht reagiert wird? Man kann als Hilfsargument ja immer argumentieren, dass damit die Marke aufgeladen wird – aber irgendwann soll auch das ein Verhalten auslösen. Ich muss als Sender auch den Empfängern klarmachen, was sie jetzt tun sollen – auf den Knopf drücken, kaufen, anrufen, weiterleiten, antworten, etc…
Werbung mit dem Überwältigungseffekt
Ob das funktioniert? Werbung nach dem Motto „Die Masse macht‘s“ – Fettungen und unterschiedliche Schriftgrößen, die aus dem Text herausstechen, farbig hinterlegte Internet-Links, ein großes Video-Bild im Zentrum, darunter das Profilbild des zuständigen VPE. Man möchte Nina Hagen zitieren: „Alles so schön bunt hier!“ und weiß doch nicht, wohin man schauen soll – auf den Text? Das Video? Die Überschriften? Die Links? Zuviel, zu irritierend, zu anstrengend – also eher weg damit. Auch die Botschaft ist uneindeutig: Soll ich mir kostenlose Inhalte ansehen, das Video, oder brauche ich doch eher robuste Insights in Echtzeit? Wenn alles wichtig ist, ist nichts mehr wichtig. Und wenn ich nicht eindeutig und klar bin, kann ich nicht überzeugen. Das gleiche gilt, wenn ich zu viel vom Empfänger oder der Empfängerin erwarte – wenn der Absender zu viele Angebote zur Aktivierung mache, entscheide ich mich als Empfänger*in: für keines. Und last not least: Wer dann doch noch in den Text einsteigt wird schnell zum Deutschlehrer: Unternehmen ohne „h“, kostenlos ohne Plural, ebenso „Ihr“ ohne Plural – oder gibt es doch nur einen Insight? Falsche Rechtschreibung ist eben keine kleine Sünde, denn wenn ein Leser oder Leserin einmal einen Fehler gefunden hat, werden sie weitere Fehler suchen und sich nicht mehr auf die Inhalte konzentrieren.


Die Masse macht’s?
Von der Gestaltung eher E-Mail als Werbung, wenn auch am Fuß links mit Profilfoto und rechts mit einer Weltkarte. Das Problem mit Profilfotos ist, dass sie die Aufmerksamkeit an sich ziehen wie ein schwarzes Loch Materie. Schließlich haben wir in unserem Gehirn ein Areal, dass hochgradig auf die Erkennung von Gesichtern spezialisiert ist und unsere Aufmerksamkeit dahin immer zuerst lenkt. Wenn Gesichter am Ende eines Textes platziert sind überspringen wir den ganzen Text – und müssen uns erst wieder nach oben zurück arbeiten. Was ist die Botschaft der E-Mail? Der Absender reicht auf Verdacht zuerst ein Panelbook nach, falls man es verpasst habe mitzunehmen – und zusätzlich bekommt man acht Aufzählungspunkte, was das Unternehmen zu bieten habe. Nur sind das leider Punkte, die alle anderen Panel-Anbieter auch bieten. Damit wird weder deutlich, warum diese E-Mail jetzt wichtig ist, noch überzeugt sie, weil das Differenzierungsmerkmal fehlt. Die Menge an Bullet-points hilft eben nicht, wenn sich der oder die Empfänger*in selber überlegen muss, warum das jetzt genau das Angebot ist, auf das er/sie immer gewartet hat.

Haben wir richtig zugehört?
Als Überschrift eine Einladung - wie nett, jeder lässt sich gerne einladen. In der gleichen Tonalität die Ansprache („Lieber…“, „Herzliche Grüße“), Ausdruck der Freude, dass der Besucher am Stand gewesen war, und das Angebot, dass man das Produkt gerne auch persönlich vorstelle. Daneben das Bild eines Tabletts und Smartphones. So weit, so gut. Aber wenn der Empfänger doch am Stand war, sollte man als Vertriebsprofi schon ein bisschen mehr über ihn wissen: Warum war er am Stand, wofür könnte er mein Produkt gebrauchen, warum könnte ihm mein Produkt möglicherweise mehr nutzen als vergleichbare andere? Mit anderen Worten: Was sind die Argumente, mit denen ich den Empfänger überzeugen kann, sich wieder mit mir als Absender in Verbindung zu setzen? So lässt man mit einer allgemeinen Floskel die Chance verstreichen, aus einem Kunden-Kontakt einen Kunden-Dialog zu machen, an dessen Ende auch etwas verkauft wird.

Eher die kühle Schulter
Ähnlich schlank argumentiert auch das nächste Institut – drei Sätze und ein Postskriptum: Dank für das Interesse am Vortrag; die Information, wo der Vortrag abzuholen sei; und die Frage, ob man noch mehr Interesse habe. Das wirkt ein bisschen so wie der Kellner, der zu später Stunde schon die Stühle hochstellt und den Gast fragt, ob er wirklich noch ein Bier haben wolle. Also eher sachlich-informativ und kaum ein Versuch, mit einem potenziellen ins Gespräch zu kommen.

Was darf’s denn sein?
Klar gestaltet, auf ein Minimum reduziert und damit den Text in den Mittelpunkt gerückt. Durch den schmalen Rahmen um den Text hebt sich dies von einer Standard-E-Mail und wirkt gleich etwas werblicher. Nach dem obligatorischen Dank für den Besuch am Stand das Angebot: Wir helfen Dir mit unserer Software, Geld und Zeit zu sparen! Mit Deinen Daten in Deine Lieblings-Vorlagen! Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein, möchte man sagen. Endlich jemand, der nicht von sich redet, sondern von mir! Die Botschaft habe ich verstanden, und das ist auch wichtig, weil es sich um mich dreht. Und sie wollen auch mit mir über meine Projektanforderungen reden. Dieser Messe-Nachklapp macht vieles richtig: Gestaltung, Verständlichkeit, Wichtigkeit und Überzeugung – indem er sich in die Schuhe des Kunden stellt. Einziger kleiner Makel – wenn in der Einleitung gehofft wird, der Kunde habe nach der Veranstaltung besser verstanden, worum es dem Anbieter geht. Und wenn ich es nicht verstanden habe – war ich zu dumm, es zu verstehen, oder hat sich der Anbieter schlecht ausgedrückt?

Wer fragt, führt
Werbung nach dem Motto „Wer fragt, führt“: Wie man die Veranstaltung gefunden habe, ob man den spannenden Vortrag des Kollegen gesehen habe, ob man einen Videocall vereinbaren wolle, wie der Kalender aussehe… Was deutlich wird: der Anbieter möchte (weiter) ins Gespräch kommen. Und so wird aus einer Werbe-E-Mail fast eine persönliche Mail. Dem entspricht auch die Gestaltung, sie kommt als klassische E-Mail daher, der man nicht auf den ersten Blick den werblichen Charakter ansieht. Wenn es denn nur nicht ganz so viele Fragen wären – denn so bleibt man nach dem Lesen fast etwas atemlos, worauf man denn jetzt antworten solle. Ist man am Ende der E-Mail angekommen haben sich die oben stehenden Fragen eigentlich auch schon erledigt – denn es ist klar, der Absender möchte eigentlich einen Termin vereinbaren. Dann ist die Frage nach dem spannenden Vortrag des Kollegen weniger wichtig als der Einstieg ins Gespräch. Und der ist eigentlich überzeugend, denn er holt den Empfänger mit einer typischen Messeerfahrung ab: Letztlich doch zu wenig Zeit und Ruhe für das Gespräch, und die interessantesten Fragen fallen einem häufig erst später wieder ein. Also hier das Angebot platzieren, weiter zu sprechen – und das dann auch auf übersichtliche 30 Minuten begrenzen, die doch noch irgendwo im Kalender reinpassen können.
Fazit:
In wenigen E-Mails die ganze Bandbreite der werblichen Kommunikation: Von Werbung mit dem Überwältigungseffekt bis hin zu fast persönlich anmutenden E-Mails. Was auffällt: Je mehr Gedanken sich die Absender*innen über die potenziellen Empfänger*innen machen – und das bedeutet: Interesse an ihnen zu zeigen - desto größer die Chance, dass aus einer einmaligen Kommunikation auch ein Dialog wird. Und nur dann haben sich die Investitionen in einen Messeauftritt auch wirklich gelohnt.
Über den Autor

/jr
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