Kolumne von Tobias Riedner Wie Sie Visualisierungs-Kopfschmerzen vermeiden und sich einen Visualisierungs-Oscar verdienen

Oscar oder goldene Himbeere? Diese Frage sollte sich nicht nur für Filme, sondern auch für Datenvisualisierungen stellen, meint Business Intelligence Manager Tobias Riedner. Dos and Don'ts der Datenvisualisierung erläutert er an aktuellen und geschichtlichen Beispielen.

Tobias Riedner, Business Intelligence Manager bei Knauf

Jedes Jahr vergibt die US-amerikanische Academy of Motion Picture Arts and Sciences für die besten Filme des Vorjahres den Academy Award, besser bekannt als "Oscar". Am Vorabend jeder Oscar-Verleihung wird die goldene Himbeere (kurz: Razzie [von eng. Raspberry, Anm. der Red.]) für die jeweils schlechtesten Leistungen des Filmjahres in den verschiedenen Kategorien verliehen.

In ähnlicher Weise würde es Sinn machen, in regelmäßigen Abständen hervorragende, aber auch schlechte Leistungen im Bereich der Datenvisualisierung zu prämieren. Denn eines ist wichtig: Je mehr über positive und negative Beispiele gesprochen wird, desto eher werden gute Beispiele wiederholt und auf schlechte Beispiele verzichtet.

Es gibt beeindruckende Visualisierungsbeispiele – aus der Geschichte aber auch aus der COVID19-Phase

Es gibt zahlreiche Visualisierungsbeispiele die kaum bekannt, jedoch nicht minder beeindruckend sind. Ein Beispiel ist die "Karte des Feldzugs von Napoleon".

Charles Joseph Minards Abbildung von Napoleons Russlandfeldzug (Quelle: wikipedia.org)

Napoleon startete 1812 seinen Feldzug gegen Moskau, um die Stadt und das Land zu erobern. Von anfänglich 470.000 Soldaten kehrten nur 10.000 zurück – ein Desaster. Das Diagramm erzählt die Geschichte dieses Feldzugs und ist eine der berühmtesten Visualisierungen aller Zeiten.

Die Karte zeigt den Hin- und Rückweg Napoleons Armee. Die Breite der Linie zeigt die Anzahl der Soldaten an, die Farben geben die Bewegungsrichtung vor. Der Start der Bewegung ist folglich links mit der breitesten beigen Linie. Sie erreicht Moskau auf der rechten Seite deutlich dünner. Danach macht sich die Armee in schwarz auf den Rückweg und erreicht mit knapp 10.000 Mann wieder den Ursprungsort. Unterhalb der zentralen Visualisierung befindet sich außerdem ein einfacher Graph mit einer Temperaturlinie, die die rapide sinkenden Temperaturen im Winter illustriert. Sie ist effektiv, detailliert und zeichnet ein erschütterndes Bild von der verheerenden Reise. Nicht nur meiner Meinung nach eine herausragende Visualisierung, da viele Datenpunkte sogar Teilgeschichten der vollständigen Umstände aufdecken.

Auch in der heutigen Zeit der COVID19 Phase gibt es aus meiner Sicht hervorragende visuelle Darstellungen und Berichterstattungen. Besonders die Berichterstattung der New York Times finde ich sehr gelungen. Sie verbindet die textuelle Berichterstattung mit Datenanalysen und visualisiert diese in korrekter Art und Weise, ohne den Leser zu überfordern.

Schauen Sie sich hier die Visualisierung der New York Times zu COVID-19 an
[Bis zu den roten Kacheln (Small Multiples) nach unten scrollen, Anm. d. Red.]

Durch den Visualisierungstyp Small Multiples bekommen Leser einen vollständigen Überblick über die Lage in einzelnen Ländern und könen so abschätzen in welcher Phase sich das Land aktuell befindet. Während Brasilien, Indien oder auch Kolumbien ernste Probleme mit der ersten Phase haben, lässt sich in Spanien und Kanada die Anbahnung einer zweiten Welle erkennen – phantastische Visualisierung. 

Es gibt auch weitere Möglichkeiten diese Visualisierung zu verbessern – warum wird die Farbe rot verwendet? Sie hat keine Bedeutung und könnte durch ein neutrales Grau ersetzt werden. Dennoch bleibt es dabei: moderne, datengetriebene Berichterstattung – das sollte der Standard in Unternehmen werden.

Es gibt sie dennoch – die Visualisierungsbeispiele die mir ernste Kopfschmerzen bereiten

Im Gegensatz dazu finden sich in vielen Tageszeitungen keine Datenvisualisierungen, sondern meistens nur Texte. Ein Beispiel gefällig?

"50 282 (+22) bestätigte Corona-Fälle gibt es in Bayern seit Beginn der Krise (Stand: Sonntag), 2619 (+0) Menschen sind am Coronavirus gestorben. Für Unterfranken meldet das Robert-Koch-Institut 3652 (+0) Infizierte und 192 Todesopfer. Wo es bestätigte Fälle gibt und was Sie wissen müssen." (Quelle: www.mainpost.de)

Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist absolut in Ordnung über den Sachverhalt zu schreiben – jedoch ist diese Form zum einen sehr langweilig und zum anderen nur ein Auszug aus dem aktuellen Kontext. Fragen Sie sich selbst: sind das Informationen die sie berühren oder packen?

Ein weiteres Beispiel zur aktuellen Lage macht mir Kopfschmerzen. Es ist "die Karte mit den bestätigten Coronafällen in Unterfranken und im Main-Tauber-Kreis". (Quelle: www.mainpost.de)

Was daran Kopfschmerzen macht? Als Visualisierung wurde eine Karte gewählt. Der regionale Ausschnitt ist Unterfranken und der Main-Tauberkreis. Verschiedene Städte markieren Punkte auf der Karte. Die Karte zeigt auf verschiedenen Städten einen Marker mit den wahrscheinlich bestätigten Fällen – jedoch ist bereits unklar, ob damit die Stadt und/oder der entsprechende Landkreis gemeint ist. Dazu kommt, dass manche Städte keinen Marker haben – also auch keine bestätigten Fälle?

Was mich besonders ärgert ist, dass diese Visualisierung eine Effekt-Hascherei ohne Mehrwert für den Leser ist. Eine Karte findet jeder Leser zunächst interessant und bei richtiger Anwendung kann sie auch beeindruckend werden. In dieser Anwendung fehlen aber viele weitere Informationen: beispielsweise wie sich die Zahlen entwickelt haben, wie sich die Fallzahl in den letzten 14 Tagen entwickelt hat, wie viele aktive Fälle bekannt sind, ob es aktuell einen Hotspot gibt, welche Region ein Hotspot war, wie hoch die Todesfälle in den Bereichen waren, und so weiter. Eine simple Tabelle wäre besser geeignet gewesen. Dann wäre Ihr Fazit "langweilig" und folglich unbrauchbar.

Im nächsten Beitrag werde ich Ihnen daher erkären, wie Sie Visualisierungstypen richtig auswählen und für welche Relationen in Daten sie sich eignen – um die Qualität der Datenvisualisierung mit einem einfachen Werkzeug so zu verbessern, dass sie keine goldene Himbeere verdient. Seien Sie gespannt!

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Zur Person: Tobias Riedner ist Business Intelligence Manager bei Knauf – dem Weltmarktführer für Baustoffe. Seit mehr als zehn Jahren gilt er als Daten-Experte auf dem Markt für Business Intelligence und Data Science. Seine Beratungskompetenz umfasst die Strategie-Entwicklung, Programm- und Projekt-Management, Daten-Analyse und -Visualisierung für Top-Entscheider.

 

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