Interview mit Petra Hedorfer und Matthias Hickl, DZT Wie misst man eigentlich, auf welchem Weg Touristen nach Deutschland kommen?

Die Deutsche Zentrale für Tourismus ist die zentrale Marketingorganisation für das Reiseland Deutschland. Matthias Hickl, Director Business Intelligence des DZT, wird im Rahmen der succeet22 über die Herausforderungen der Marktforschung im volatilen Tourismusumfeld und über die Möglichkeiten sprechen, die die Verwendung von Mobile Location Data für die Tourismusforschung bietet. Wir haben mit ihm und Petra Hedorfer, Vorsitzende des Vorstandes der DZT, über die Entwicklungen des Tourismus in Deutschland seit der Pandemie und das Zusammenspiel von Mobile-Location-Data und Befragungsdaten gesprochen.

Nicht bei jedem Gast, der nach Deutschland einreist, ist es so klar wie bei Frankreichs Ministerpräsident Macron und seiner Frau, auf welchem Wege eingereist wurde. (Bildnachweis: picture alliance/dpa | Daniel Karmann)

Ganz allgemein: Wie ist es dem Tourismus hier in Deutschland und weltweit im Sommer 2022 ergangen? Sind die Buchungszahlen überall schon wieder auf dem Prä-Corona-Niveau?

Petra Hedorfer: Zu Beginn des Jahres sah es nach einer deutlich beschleunigten Recovery aus der Corona-Krise heraus aus. Dafür sprach die große Reisebereitschaft der Menschen weltweit und das hohe Interesse speziell am Reiseland Deutschland, die uns eine quantitative Befragung, der World Travel Monitor und Feldstudien zu den Auswirkungen der Covid 19-Pandemie auf den weltweiten Tourismus von IPK International bestätigten.

Dazu passte das Meinungsbild aus unserem DZT Industry Expert Panel – einer von uns regelmäßig durchgeführten Umfrage unter Top-Entscheidern der internationalen Reiseindustrie. Viele Manager sahen damals ihre aktuelle Geschäftslage noch negativ, hatten aber sehr positive Erwartungen an die Geschäftsentwicklungen der kommenden sechs Monate.

In Zahlen heißt das: Im ersten Halbjahr ist der Rückstand des Incoming-Tourismus gegenüber dem Rekordjahr 2019 auf 37 Prozent abgeschmolzen. Die jetzt vorliegenden Übernachtungszahlen für den Juli zeigen eine weitere Erholung des Incoming-Tourismus in der Sommersaison.

Was keine Marktforschung valide vorhersehen konnte, war jedoch die Eskalation Russlands gegen die Ukraine, die eine dezidierte Neubewertung von Fakten erfordert.

Insbesondere die im Zusammenhang mit dem Krieg stehenden Entwicklungen, die Inflation, die Energiepreisentwicklung und die daraus resultierende schwächere Kaufkraft der Kunden in vielen unserer Quellmärkte haben die Stimmung deutlich eingetrübt.

Das auf Tourismus spezialisierte Marktforschungsunternehmen Tourism Economics hat unter Berücksichtigung dieser Faktoren seine Prognose für das deutsche Incoming im Gesamtjahr 2022 um 9,3 Millionen Übernachtungen reduziert. Sagten die Analysten im April noch 69,8 Millionen internationale Übernachtungen vorher, waren es im Juli nur noch 60,5 Millionen.

Auch das spiegelt sich in den jüngsten Erhebungen unseres DZT Industry Expert Panels im Juli 2022. Demnach beurteilten die CEOs und Key Accounts der internationalen Reiseindustrie ihre derzeitige Geschäftslage zwar deutlich positiver als noch zu Jahresbeginn, korrigierten jedoch ihre Geschäftserwartungen nach unten.

Welche Veränderungen sehen Sie seit der Corona-Pandemie insgesamt bzgl. des Tourismus-Verhaltens?

Petra Hedorfer: Im Konsumentenverhalten hat Corona ganz deutliche Spuren hinterlassen. Interessant ist dabei, dass sich die Verbraucher auf Veränderungsprozesse zubewegt haben, die wir insbesondere für die deutsche Tourismusindustrie schon vor Corona angestoßen haben. Unsere großen Handlungsfelder Nachhaltigkeit und Digitalisierung zeigen das deutlich.

So wächst die Sensibilität der Kunden für Nachhaltigkeitsthemen kontinuierlich – auch mit Blick auf einen nachhaltigeren Tourismus. Laut Future Market insights im Ecotourism Market Report 2022 wird der globale Ökotourismusmarkt bis 2031 jährlich um durchschnittlich 15 Prozent wachsen. Unsere aktuellen Marktanalysen mit inspektour und Destination Brand identifizieren allein in sieben aktuell untersuchten europäischen Quellmärkten für Deutschland ein Potenzial von 44 Millionen Kunden, die an nachhaltigen Reisen interessiert sind. Auch hier betrachten wir zeitgleich die Angebotsseite durch die Industrie: In unserem eigens erhobenen DZT Industry Expert Panel sehen zwei Drittel der internationalen Entscheider jetzt bereits eine Verschiebung der Kundenbuchungen in Richtung nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen. Für die kommenden drei Jahre erwarten 70 Prozent der Experten einen Anstieg der Nachfrage in diesem Segment.

Eng verbunden mit der nachhaltigen Destinationsentwicklung ist die digitale Transformation. So bieten digitale Tools, wie Anwendungen künstlicher Intelligenz und immersiver Technologien entlang der gesamten Customer Journey, zusätzlichen Kundenkomfort, der auch Nachhaltigkeitsaspekte unterstützt, beispielsweise die Lenkung und Entzerrung von Besucherströmen an touristischen Hotspots und in Peakzeiten. Im Bereich Business Intelligence können wir durch die Auswertung zusätzlicher Datenquellen genauere Prognosen erstellen und entsprechend die Effizienz unserer Marketingmaßnahmen erhöhen. Wir sehen: mehr Digitalisierung ist eine Voraussetzung für mehr Nachhaltigkeit.

Im März sprachen Sie darüber, dass Sie dieses Jahr noch Mobile Location Data in ihr Dashboard einbinden wollen. Wie ist hier der Stand?

Petra Hedorfer: Wir sind mit diesem Projekt planmäßig gut vorangekommen. Bis Ende Juli waren wir so weit, dass wir mit Hilfe von Mobile Location Data die Ankünfte über die Verkehrsträger Schiene und Straße ermitteln, die relevanten Daten übernehmen, verarbeiten und an unser Dashboard Inbound Travel Trends Germany anbinden konnten.

Wie unterscheidet sich die Lösung mit den Mobile Location Data im Vergleich zu den Ankünften der amtlichen Statistik bzw. anderen Studien, die früher verwendet wurden, um herauszufinden, aus welchen Ländern Touristen nach Deutschland reisen?

Matthias Hickl: Die Daten der amtlichen Statistik sind generell sehr wertvoll. Sie erlauben eine genaue Analyse der Übernachtungen und Ankünfte nach Quellmärkten und Reisezielen innerhalb Deutschlands. Allerdings sind die Verkehrsträger, über welche Touristen nach Deutschland einreisen, dort nicht erkennbar. Die Passagierankünfte über die Fluganreise kennen wir sehr präzise aus dem uns vorliegenden Flight Monitor, einen Überblick über den gesamten Modalsplit (Einreise per Flug, PKW, Bus, Zug) erhalten wir aus anderen Befragungen.

Petra Hedorfer: Das sind die Auswertungen des World Travel Monitor von IPK International, die wir bereits seit langer Zeit nutzen. Allerdings haben wir diese Daten nur jährlich getrackt.

Mittels der Mobile Location Data können wir den Modalsplit erdgebundener Verkehrsmittel erstmals monatlich und nach Ländern erfassen und darstellen, müssen also nicht auf Jahresstatistiken warten. Wichtig für die Einordnung ist außerdem, dass rund drei Viertel der europäischen Deutschlandreisen auf dem Landweg einreisen, also per Pkw, Bus oder Bahn.

Die monatlich verfügbaren Informationen liefern uns zudem wertvolle Erkenntnisse zum saisonalen Verlauf, entsprechend können unsere Partner, namhafte Unternehmen der Tourismusbranche Deutschlands, ihre Kampagnen nach Verkehrsträgern auswählen und saisonal optimal aussteuern.

Nachdem Sie bereits Daten für den Flugverkehr und die Schiene hatten, und jetzt auch über die Straße. Welche Daten hätten Sie gerne noch in Ihrem System?

Matthias Hickl: Zunächst war es für uns essenziell, Mobile Location Data nutzen zu können. Alternative Datenquellen, welche uns hier Daten zur Einreise mittels PKW liefern können, hatten wir in dieser Form bislang nicht. Jetzt können wir über Mobilfunkdaten die erdgebundenen monatlichen Ankünfte nach Quellmärkten aufzeigen. Das ist ein Meilenstein.

Als nächsten Schritt beschäftigen wir uns mit Suchanfragen aus dem Ausland in die Destination Deutschland. Wir möchten wissen, ob und wie diese uns eventuell dabei helfen können, Ankünfte für einen zukünftigen Zeitraum zu prognostizieren.

Können Sie, dadurch dass das DZT jetzt auf Mobile Location Data zurückgreift, auf andere Instrumente wie z. B. Befragungen verzichten?

Matthias Hickl: Klassische Befragungen haben auch ihre Vorteile, denn diese beantworten neben den puren Facts auch das warum oder eröffnen weitere Hinweise. Deswegen nutzen wir diese komplementär.

Beispielsweise validieren wir Mobile Location Data mit Befragungen zum Modalsplit. Zudem nutzen wir Befragungen für weitere Differenzierungen. So kann bei der klassischen Befragung zum Beispiel unterschieden werden, ob Gäste mit dem PKW oder Wohnmobil eingereist sind, was aufgrund gleicher Merkmale und Muster bei Mobile Location Data nicht möglich ist. Diese noch feinere Differenzierung genügt uns einmal pro Jahr. 

Wie aufwendig und teuer ist es so ein System aufzubauen?

Matthias Hickl: Grundlage für unsere Investitionsentscheidungen ist zunächst einmal der mögliche Nutzen. Wie können wir die Mittel sinnstiftend für unser evidenzbasiertes Marketing einsetzen? Zusammen mit unserem Partner teralytics, welcher hier die Daten auswertet, haben wir zunächst Thesen aufgestellt und viele Tests gefahren. Das Ergebnis entschädigt jedoch schlussendlich für die Aufwendungen.

Wir freuen uns darüber, dass Sie Ihr System auch im Rahmen der succeet in München vorstellen werden. Was dürfen die Zuschauenden erwarten? Wie tief lassen Sie sich unter die Motorhaube schauen?

Matthias Hickl: Wir sind ja mit dem Produkt bereits erfolgreich unterwegs und haben intensiv mit unseren Partnern zusammengearbeitet, um es in der Praxis umzusetzen. Ich freue mich besonders darauf, diese innovative Analyse auch jenseits der Tourismusbranche auf der Fachmesse succeet vorstellen zu dürfen. Ein Blick auf den Output, die Ergebnisse der Analyse wird dabei nicht fehlen!

 

Hier können Sie sich für die Teilnahme an dem Vortrag von Matthias Hickl auf der succeet22 anmelden.

 

Über Petra Hedorfer

Als Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) verantwortet Petra Hedorfer seit November 2003 das Marketing für das Reiseland Deutschland. Nach dem Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften als Diplom-Kauffrau begann Petra Hedorfer ihre Karriere 1990 als Konferenzmanagerin bei der Management Circle GmbH in Frankfurt. 1991 folgte der Wechsel zur F.W. Woolworth Co. GmbH, wo sie den Aufbau und die Implementierung eines Total Quality Management-Konzeptes leitete. 1998 folgte der Wechsel zur DZT: Hier übernahm Petra Hedorfer die Position der Marketingleitung weltweit und wurde zwei Jahre später zum Marketingvorstand berufen. Petra Hedorfer hat außerdem verschiedene Mandate in der Touristik, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik inne.

Über Matthias Hickl

Mit Schwerpunkt auf die Branche ITK beriet Matthias Hickl als leitender Angestellter der GfK SE digitale Technologieunternehmen weltweit. 2020 übernimmt Matthias Hickl die Bereichsleitung der Business Intelligence der Deutschen Zentrale für Tourismus e.V. und berichtet direkt an die Geschäftsleitung. Diese Verantwortung umfasst neben dem Ausbau von Data Analytics die Marktanalyse, Marketing-Erfolgskontrolle, CRM sowie das C-Suite, Partner und Stakeholder-Reporting. In Ergänzung umfasst die Rolle die Führung des Bereichs Nachhaltigkeit und Innovationsmanagement.

 

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