“Wie Menschen ticken, das beschäftigt mich“

Innofact, Christian Thunig, Karsten Polthier (Bild: Innofact)
marktforschung.de: Sie verlassen nach 17 Jahren die Absatzwirtschaft. Liegt das an den eher schlechten Perspektiven klassischer Medien?
Thunig: Nein, die letzten drei Jahre war die Absatzwirtschaft profitabel. Die Vermarktung lief positiv. Bei etwa 90.000 Marketingentscheidern in Deutschland hat das Magazin mit rund 70.000 Lesern eine sehr gute Marktabdeckung.
marktforschung.de: Was reizt Sie an der Arbeit bei einem Marktforscher?
Thunig: Es ist einerseits Freude am Unternehmertum, denn ich habe Anteile an Innofact übernommen. Zudem sehe ich Marktforschung als wichtigste Marketingdisziplin. Auf jeden Fall ist sie im Sinne der Nachrechenbarkeit die härteste. Die Beratung dazu ist herausfordernd, aber eben auch handfest, weil Kunden klare Antworten auf Fragen erhalten. Andere Marketingbereiche sind da eher weicher.
marktforschung.de: Sind Sie mehr an den Methoden der Marktforschung oder der Daten-Interpretation interessiert?
Thunig: Wie Menschen ticken, das beschäftigt mich. So ist derzeit festzustellen, dass sich Teile unserer Gesellschaft in Parallel-Welten verabschiedet haben und einem anderen ethischen Leitbild folgen. Aber gerade die junge Generation fordert mehr Nachhaltigkeit. Die Unternehmen müssen sich darauf einstellen. Das sind spannende Strömungen, die wir als Marktforscher mit Daten und Deutungen begleiten.
marktforschung.de: Wo steht das Unternehmen Innofact Mitte 2017?
Polthier: Wir wachsen seit Jahren. Innofact ist mit 80 Mitarbeitern an vier Standorten und über 200 aktiven Kunden mittlerweile aber so groß, dass wir uns weiter professionalisieren müssen. Dazu gehören auch Außendarstellung und Vertrieb.
marktforschung.de: Soll die Positionierung denn geändert werden?
Thunig: Innofact agiert bislang wie ein `Hidden Champion´. Die große Kundenliste, das eigene Online-Panel mit 500.000 aktiven Usern oder auch die Methodenvielfalt wurden bisher nicht konsequent kommuniziert. Das muss zum Glänzen gebracht werden. Andere Institute präsentieren ihre Stärken deutlich besser.
Polthier: Wir fühlen uns aber mit unserer erreichten Positionierung sehr wohl. In diesem Jahr werden wir über 1.200 Projekte durchführen, das ist der beste Wert seit Gründung 2001. Wir besitzen im Gegensatz zu typischen Wettbewerbern vor allem treue Kunden, sehen aber noch erhebliches Wachstumspotenzial. Bislang haben wir kaum Eigenmarketing gemacht und vor allem von Empfehlungen profitiert. Das soll um die Komponente `Kommunikation´ erweitert werden.
marktforschung.de: Wie wollen Sie denn Kunden gewinnen?
Thunig: Wir werden mehr über uns sprechen und mehr auf Neuigkeiten und Projekte hinweisen. Zudem wollen wir Bestandskunden und potenzielle Partner direkt ansprechen und deutlich machen, wie sie von innovativen Produkten wie Big Data-Analysen oder Verhaltensforschung profitieren können.
Polthier: Das Marktpotenzial ist noch immens, trotz der harten Wettbewerbssituation unter den Marktforschern in Deutschland. So verfügen heute viele Unternehmen aus Einzelhandel oder E-Commerce über riesige Mengen an Kundendaten, deren Mustererkennung entscheidende Vorteile bringt. Die Shops können mit ihren Daten zu uns kommen und wir analysieren.
marktforschung.de: Was sind aus Sicht eines Mittelständlers wichtige Branchentrends?
Polthier: Ein wichtiger Trend ist die Verknüpfung von Kaufverhaltensdaten mit parallelen Befragungen. Big Data-Analysen sind hochinteressant, besitzen aber Grenzen. Man kann anhand der Informationen zwar erkennen, wie ein Mensch sich verhält, aber nicht warum er so reagiert. Und wir sind davon überzeugt, dass genau das Warum entscheidend ist etwa bei der Einführung von Produkten, bei Preis- oder Verpackungsentscheidungen.
Thunig: Die Aufdeckung impliziter Entscheidungen ist heute ein zentraler Wert in der Marktforschung. Aber das ist eigentlich gar nicht neu. Der US-israelische Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat schon in den 1970ern durch einfache Experimente festgestellt, dass die angeblich so rationalen Menschen sehr stark `bauchgesteuert´ sind.
marktforschung.de: Was bedeutet diese Erkenntnis für heutige Marktforschungs-Methodik?
Polthier: Dass Tools entwickelt werden müssen, die die komplexen Datenmengen spezifischer Kundengruppen mit Erkenntnissen zu Handlungsmotiven kombinieren. Wir haben zum Beispiel mit einem Lebensmittel-Einzelhändler ein Panel für Kundenkarten-Inhaber entwickelt, das Big Data und direkte Befragung beim gleichen Individuum verknüpft. Innovative Verhaltensdaten-Forschung, das bewegt uns.
marktforschung.de: Sie glauben also nicht an den Wert automatisierter Marktforschung?
Thunig: Für kleinere und kurzfristige Projekte mag das durchaus Sinn machen. Am Ende kaufen aber immer Menschen, und daher müssen meiner Ansicht nach Daten auch von Menschen bewertet werden. Wer den Begriff Big Data in die Runde wirft, weiß doch oft gar nicht, was er mit den Unmengen an Informationen anfangen soll.
marktforschung.de: Welche Rolle spielt in diesem Kontext die Geschwindigkeit, mit der Informationen erhoben werden?
Polthier: Kunden wollen Daten heute oft innerhalb von 24 Stunden oder in Echtzeit. Das geht bei Befragungen nur online oder mobile. Innofact ist in diesen Feldern ein Pionier in Deutschland, wir betreiben seit 1997 Online-Panels und waren der erste Anbieter, der schon vor über zehn Jahren einen echten 24-Stunden-Konzepttest etabliert hat. Aber natürlich ist Geschwindigkeit in der Marktforschung nicht alles.
marktforschung.de: Wie innovativ muss ein Marktforschungs-Institut heute sein?
Polthier: Klassische Befragungen laufen nach wie vor sehr gut. Ich sehe auch derzeit für viele Fragestellungen von Unternehmen, etwa wie ein neuer Smartphone-Tarif gegenüber Wettbewerbsangeboten performt, keine Alternative zu einem sauberen Produkt- beziehungsweise Konzepttest. Wir haben immense Lust auf Innovationen sowie Weiterentwicklungen und etablieren davon auch etliche gemeinsam mit Kunden. Aber Innovationen sind in Bezug auf den Umsatz bei Innofact noch nicht so relevant.
marktforschung.de: Sind technische Innovationen und Big Data also keine Bedrohung für Marktforscher?
Thunig: Nicht die Erhebung, die Auswertung der Datenmengen ist die eigentliche Herausforderung. Und da muss man kreativ herangehen, um relevante Fragen von Unternehmen auch beantworten zu können. Das können bislang nur Menschen.
Das Interview führte Matthias Kutzscher.
Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

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