Melanie Sommer, Geschäftsführerin RSG Marketing Research Wie man Männer in der Werbung erfolgreich inszeniert

Viele Studien zeigen: Der Mann von heute ist in seinem Selbstbild verunsichert. Wer möchte er sein, wer soll er sein? Macho oder Softie? Was erwartet sein soziales Umfeld von ihm? Dieser Konflikt zeigt sich auch in der neuen und viel diskutierten Gillette-Kampagne, die eine Veränderung des Selbstverständnisses des Mannes einfordert.

Melanie Sommer, Geschäftsführerin RSG Marketing Research

 

Mit erhobenem moralischem Zeigefinger fordert Gillette den Mann von heute auf, sich zu ändern. Der Mann von heute soll seine Wünsche und Gefühle nicht mehr ausleben und sich jederzeit unter Kontrolle haben. Die "Welt" spricht in diesem Zusammenhang von einer "toxischen Unmännlichkeit" und fragt sich, ob die Männlichkeit nicht irgendwo auf der Strecke bleibt. 

Der Grundkonflikt des Mannes

Wir haben gesehen, dass für den Mann ein grundsätzlicher Konflikt besteht. Dieser Konflikt entsteht dadurch, wie uns die Psychologie sagt, dass zwei Bewusstseinsbereiche häufig im Widerspruch zueinander stehen.

Auf der einen Seite fordert unser SELBST die Befriedigung unserer emotionalen Bedürfnisse wie insbesondere beim Mann: "ich will geliebt werden, ich will begehrenswert sein, ich will Erfolg haben, ich will Bewunderung und Anerkennung." Diese Bedürfnisse versucht das ICH, im Sinne allgemeiner Werte und Normen unter Kontrolle zu halten. Anders ausgedrückt, Das ICH versucht zu verhindern, dass wir uns wie Urzeitmenschen verhalten, die sich einfach das "holen", was sie sich wünschen. Das ICH ist somit für die social correctness unseres Handelns verantwortlich. Für die Werbung ergibt sich hieraus ein besonderes Dilemma: Unser Verhalten wird weitgehend durch das SELBST bestimmt. Wir kaufen etwas, weil wir es wollen, weil es unsere tiefen Sehnsüchte befriedigt. Das ICH liefert höchstens die rationale Begründung für unser Handeln.

Hierin liegt die besondere Problematik der neuen Gillette-Kampagne: Der erhobene Zeigefinger vermag bisweilen die Zustimmung unseres ICH zu erzielen, jedoch wird unser SELBST nicht aktiviert. "Männer wollen immer noch richtige Männer sein." Entsprechend verwundert es nicht, dass diese Kampagne nicht nur einen entscheidenden Bruch mit dem Bild der Marke Gillette darstellt, sondern auch starke Reaktanzen hervorruft. Im Sinne einer gesellschaftlichen Stellungnahme kann man die Kampagne als positiv ansehen, marketingmäßig trifft sie nicht den Kunden von Gillette. "Nassrasierer sehen sich als echte Männer."

Storytelling als Form effektiver Kommunikation

Werbung ist immer nur dann erfolgreich, wenn es ihr gelingt, attraktive Geschichten zu erzählen, die es "Mann" ermöglichen, sich mit der Geschichte und dem Protagonisten zu identifizieren: "Genau so möchte ich auch sein." Ausgangspunkt ist immer ein Konflikt. Der Protagonist vertritt die Marke, die den Konflikt löst oder zumindest mildert.

Erinnern wir uns an die Kampagnen für Coca-Cola Zero oder AXE, bei denen der Mann unbegrenzte Bewunderung erfahren hat und die Frauen ihm zu Füßen lagen. Der Konflikt: "Ich möchte bewundert werden, aber bin ich auch bewundernswert? wird durch den Protagonisten und die Marke aufgelöst. Mit Coca-Cola Zero oder AXE wird man zum "Frauen"-Helden. Würden diese Kampagnen auch heute noch unser SELBST aktivieren? Oder wären die Reaktanzen unseres ICH als Folge des Zeitgeistes inzwischen so groß, dass diese Werbung ihre Wirkung verlieren würde? 

Cases der Werbung mit Männern

Analysiert man Männerbilder in der Werbung mit psychologischen Ansätzen, dann verwundert es nicht, dass das traditionelle Bild des starken Mannes immer noch die Werbung beherrscht. Das zweite Klischee des schwachen Mannes und des ewigen Muttersöhnchens tritt gleichfalls häufig auf. Hier ist jedoch nicht der Mann sondern zumeist die Frau die Zielperson der Kommunikation. Diese soll sich mit der dargestellten Frau identifizieren und so zum Käufer des jeweiligen Produktes werden. Neue und modernere Männerbilder bleiben in der Werbung immer noch die Ausnahme. Auch wenn man die Verhaltensweisen des "neuen" Mannes für richtig hält, bleibt das Identifikationspotential gering. In der Wirklichkeit verhält man sich so, aber es entspricht nicht dem eigenen Wunschbild. "Man fährt als Vater den biederen Kombi und träumt vom Sportwagen."

Traditionelle Bilder beeinflussen die Eigenschaften eines Mannes. (Bild: RSG Marketing Research GmbH)
Traditionelle Bilder beeinflussen die Eigenschaften eines Mannes. (Bild: Traditionelle Bilder beeinflussen die Eigenschaften eines Mannes. (Bild: RSG Marketing Research GmbH)

Der starke Mann

Sehen wir uns das traditionelle Bild des starken Mannes genauer an, dann können hierfür die Kampagnen für die S-Klasse von Mercedes und die Kampagne von Hornbach als gute Beispiele dienen. Der Löwe wird zum Archetypus des S-Klasse Fahrers, der das Rudel anführt. Männer wollen etwas schaffen, gleichgültig wie groß die Aufgabe ist und wieviel Schweiß sie kostet, erzählt Hornbach.

Der starke Mann zeigt Dominanz und ist ein Anführer. (Bild: RSG Marketing Research GmbH)
Der starke Mann zeigt Dominanz und ist ein Anführer. (Bild: RSG Marketing Research GmbH)

Der Schöpfer will etwas erschaffen und sucht auch nach Anerkennung. (Bild: RSG Marketing Research GmbH)
Der Schöpfer will etwas erschaffen und sucht auch nach Anerkennung. (Bild: RSG Marketing Research GmbH)

Der schwache Mann

Können Männer keine "richtigen" Männer sein, weil sie krank sind oder etwas tun sollen, wovon sie als Mann nicht wirklich etwas verstehen, dann sind sie in ihrer Männlichkeit gekränkt und fühlen sich hilflos, da kann nur noch der Partner oder die Mutter helfen. Der „schwache“ Mann ist ein häufiges Männerbild, das Mann mit einem Augenzwinkern hinnimmt. Gute Beispiele hierfür sind die Kampagnen für Nasivin und Actimel. In beiden Fällen wird die Frau zur Handelnden, die ihn auffordert, endlich etwas zu tun.

Der schwache Mann will versorgt werden. Er braucht Geborgenheit und Aufmerksamkeit. (Bild: RSG Marketing Research GmbH)

Der Hypochonder kommen mit ihrer Umwelt nicht zu recht und scheitern dementsprechend im Alltag. (Bild: RSG Marketing Research GmbH)
Der Hypochonder kommen mit ihrer Umwelt nicht zu recht und scheitern dementsprechend im Alltag. (Bild: RSG Marketing Research GmbH)

Der moderne Mann

Moderne Männerbilder sind in der Werbung eher selten und wir verstehen inzwischen auch warum. Häufig geht es um ein Vaterbild oder die Rolle des Mannes in der Familie. Der Mann kümmert sich liebevoll um eines oder mehrere Kinder. Jedoch fragt man sich fast immer, welche Rolle spielt die Marke in der Geschichte? Wird bei dem Beispiel Nivea der Mann zum besseren Vater? Entscheidet er überhaupt über den Kauf? Oder geht es nur um schöne Bilder, die wenig bewirken? Erinnern wir uns, beim Storytelling muss die Marke der Konfliktlöser sein. Bei der Nivea Kampagne ist das Baby und nicht Nivea der Konfliktlöser für den Verzicht.

Häufig geht es um ein Vaterbild oder die Rolle des Mannes in der Familie. (Bild: RSG Marketing Research GmbH)
Häufig geht es um ein Vaterbild oder die Rolle des Mannes in der Familie. (Bild: RSG Marketing Research GmbH)

Schlussfolgerungen für die Marktforschung

Insights, die Männer betreffen, müssen sich fast immer an den vom SELBST gesteuerten Bedürfnissen orientieren. Diese entsprechen zumeist den uralten Wunschbildern der Männer. Hierzu bedarf es zunehmend einer psychologischen Methodik, die es ermöglicht, hinter die Kulissen zu schauen und sich nicht von vordergründigen Selbstbildern täuschen zu lassen.

Geschichten, die heute in der Werbung über Männer erzählt werden, müssen dem Zeitgeist entsprechen. Eine plumpe Männlichkeit würde auch bei Männern zu Reaktanzen führen. Ein subtileres Storytelling ist notwendig. Nur psychologisch differenzierte Testverfahren zeigen, ob der Spagat zwischen der Ansprache männlicher Bedürfnisse und social correctness gelungen ist. Ob etwas gefällt oder nicht ist dabei von untergeordneter Bedeutung. 

Über die Autorin

Als Psychologin ist es Melanie Sommer wichtig, die psychologischen und häufig unbewussten Mechanismen des Verbraucherverhaltens aufzudecken und diese in handlungsrelevante Empfehlungen für ihre Kunden umzusetzen.

Die RSG Marketing Research versteht sich als Problemlöser für den Auftraggeber, mit dem Ziel, den Kunden wirklich zu verstehen und seine Handlungsweisen nachvollziehbar zu machen und hiervon ausgehend adäquate Handlungsstrategien abzuleiten. Unsere Arbeit basiert auf dem bewährten psychologischen Modell vom SELBST & ICH, welches eine differenzierte Erklärung des Verbraucherverhaltens ermöglicht. 

 

Diskutieren Sie mit!     

  1. OS am 05.03.2019
    "Das SELBST möchte noch immer den aufregenden Sportwagen".
    Herzlichen Glückwunsch - das 20te Jahrhundert hat angerufen und möchte seine Vorstellung von den Bedürfnissen des Mannes zurück.
  2. Katharina Winter am 05.03.2019
    "Mit erhobenem moralischem Zeigefinger fordert Gillette den Mann von heute auf, sich zu ändern. Der Mann von heute soll seine Wünsche und Gefühle nicht mehr ausleben und sich jederzeit unter Kontrolle haben."

    Schauen wir uns doch mal an, was genau Gillette in der Werbung "anprangert", denn darauf verweist Frau Sommer leider nicht: Mobbing, Gewalt, sexuelle Belästigung. Ich vermute/hoffe, dass auch Frau Sommer nicht wirklich denkt, dies seien die Wünsche und Gefühle "der Männer". Und da bleibt auch keine Männlichkeit auf der Strecke, liebe WELT und liebe Frau Sommer, wenn Gillette fordert bei so einem Verhalten nicht weg zu schauen sondern zu reagieren.

    Mag sein, dass Gillette mit dieser Kampagne einen Teil der Kund*innen nicht erreicht hat und der Spot bei ihnen zu Reaktanz führt. Zum Glück gibt’s aber bereits genug Männer und Frauen die sich mit diesem Steinzeitverhalten nicht mehr identifizieren können. Und die rasieren sich auch.
  3. Annika Wiesner am 05.03.2019
    Ich finde es schade, dass die neue Werbung der Mercedes B-Klasse hier keine Erwähnung findet. Es ist ja nicht so, dass die Gilette-Werbung ein Einzelfall ist, sondern wirkt für mich eher wie ein größerer Trend, bei dem das Männer(selbst)bild insgesamt vielleicht mal überdacht und ins neue Jahrtausend geholt wird.
  4. Michael Baleanu am 06.05.2019
    @Katharina Winter: "Zum Glück gibt’s aber bereits genug Männer und Frauen die sich mit diesem Steinzeitverhalten nicht mehr identifizieren können."

    Eben: Gillette hat lediglich bewiesen, dass es noch in der Steinzeit lebt.

    Denn eine "Kritik" an Männer als solche, wenn es bereits "genug" Männer gibt, die damit nichts zu tun haben, bleibt nur Eines: Misandrie!

    Sollte Ihnen das nicht einleuchten: Machen Sie doch die Probe aufs Exempel! Es gibt leider nicht wenige Frauen, die Falschbeschuldigungen aussprechen: Warum schauen Sie da weg?

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf marktforschung.de