Affective Computing in der Marktforschung Wie KI helfen kann, das Überspringen von Werbung vorherzusagen

Einsatz von Facial Coding: eine Testperson verwendet den Technologie-Demonstrator von TAWNY. Das Münchner Start-up bietet seit 2017 eine Plattformlösung für automatisierte Emotionsmessung an. (Bild: TAWNY)
Ad-Annoyance und Ad-Intrusiveness in der Marktforschung
Internetnutzende werden oft unerwartet mit Werbung konfrontiert und müssen innerhalb kürzester Zeit entscheiden, ob sie sich damit auseinandersetzen oder die Werbung ignorieren. Zugleich belegen zahlreiche Studien eine hohe Ablehnung gegenüber insbesondere störender Onlinewerbung, was ein tieferes Verständnis der Attraktoren gut gemachter Onlinewerbung zwingend erforderlich macht. Vor allem auf Videoplattformen wie YouTube ist es dabei entscheidend, dass Werbespots innerhalb von fünf Sekunden überzeugen, da sie danach meist übersprungen werden können.
„Ad Intrusiveness“, das unerwartete und aufdringliche Auftreten von Werbung, führt häufig zu ärgerlichen emotionalen Reaktionen, die das Verhalten der Nutzenden beeinflussen können, da sie in ihren eigentlichen Zielen gestört werden. Diese Verärgerung, auch „Ad Annoyance“ genannt, ist eine wichtige Determinante von Online-Werbung. Aus Sicht der Marktforschung ist es von großem Interesse, die Auswirkungen emotionaler Reaktionen auf die Betrachtungsdauer von Skip-Werbung zu untersuchen und vorherzusagen.
Affective Computing als neue Methode zur Analyse von Gefühlszuständen
Eine vielversprechende Technologie zur Erfassung dieser emotionalen Reaktionen ist das Affective Computing. Dies umfasst unter anderem die Erfassung der Mimik des Nutzenden, um seine emotionalen Zustände zu erkennen. Dieser auch als „Facial Coding“ bekannte Ansatz erlebt derzeit durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz einen regelrechten Technologiesprung. TAWNY, ein Münchner Start-up im Bereich der KI-gestützten Emotionserkennung, hat sich auf diese Technologie spezialisiert und kann damit helfen, das Nutzerverhalten in der Werbung vorherzusagen.
Eine Softwareplattform ermöglicht es, menschliche Gefühlszustände auf Basis modernster, leistungsstärkster Algorithmen zu klassifizieren. Die Emotionsanalyse erfasst hierbei die Dimensionen Valenz (positiv und negativ) und Arousal (gelangweilt bis hocherregt).
In diesem Emotionsraum sind alle menschlichen Emotionen verankerbar. Weiterhin werden die vier zentralen und kulturübergreifenden Gruppen der Basisemotionen mit dem sogenannten „ROBY-Modell“ (Red für Ärger und Konzentration, Orange für Überraschung, Blue für Gleichgültigkeit oder Traurigkeit und Yellow für Freude) erfasst.

Ein qualitativ minderwertiger Clip (links) und ein qualitativ hoher Werbeclip aus dem Pool der zehn getesteten Clips. (Bild: TAWNY)
Kann Mimik helfen vorherzusagen, ob Werbung übersprungen wird?
Um diese Frage zu beantworten, hat TAWNY in Kooperation mit dem Master-Studiengang für Psychologie (Themenschwerpunkt „Behavioral and Consumer Psychology“) sowie Studierenden der Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Fresenius München in einer Grundlagen-Studie mit 25 Teilnehmenden untersucht, wie sich emotionale Reaktionen auf das Skip-Verhalten überspringbarer Werbung auswirken. Dabei wurde das Nutzererlebnis der Videoplattform Youtube simuliert und fünf qualitativ hochwertige, überspringbare Werbeclips sowie fünf qualitativ minderwertige Werbeclips von Computergames präsentiert. Spieleaffinen Testpersonen wurden diese Clips präsentiert und die Emotionsdaten der Teilnehmenden wurden während des Betrachtens aufgezeichnet und analysiert.
Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, in welchem Ausmaß überspringbare Werbespots (skipable ads) über die vorgegebene Zeit hinaus konsumiert werden. Die erfasste Mimik in Form einer höheren Ablehnung während des Betrachtens des Spots führte dazu, dass die Testpersonen den Spot mit höherer Wahrscheinlichkeit direkt übersprangen. Ein Gruppenvergleich mittels T-Test zeigt signifikante Unterschiede im Grad der Ablehnung (t(144.73) = -2.92, p = .004, d = -0.45), wobei die Ablehnung in der Gruppe mit den qualitativ minderwertigen Clips höher ist, d.h., diese somit keine (weitere) Beachtung fanden und deren werbliche Inhalte von den Betrachtern auch nicht „gelernt“ werden konnten.

Grad der Ablehnung im Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit des Überspringens (von -1 (keine Ablehnung) bis 1 (hohe Ablehnung).
Was folgt daraus?
Die Kooperation zwischen TAWNY und der Hochschule Fresenius München zeigt, wie Affective Computing in der Praxis eingesetzt werden kann, um Forschungsergebnisse zu generieren und die Marktforschung zu revolutionieren. Werbetreibende haben mit Affective Computing neue Möglichkeiten, spezifische Settings zu überprüfen - und durch Pretests Kosten zu sparen oder Fehlallokationen – durch Einsatz suboptimaler Werbemittel – zu vermeiden.
Die objektive Messung der emotionalen Reaktionen von Nutzern auf Werbung ermöglicht präzise Vorhersagen und die Optimierung von Werbestrategien sowie den effizienten Einsatz von Werbegeldern.
Zugleich ergänzt, wenn nicht sogar ersetzt ein solches Verfahren klassische Befragungsansätze, insbesondere wenn der Beurteilungsgegenstand – z. B. aufgrund einer nur sehr geringen Expositionsdauer oder nur geringer aktiver Zuwendung – eher unterschwellig wahrgenommen bzw. mental verarbeitet wird (z. B. bei low involvement Werbung). Unternehmen können diese Technologie nutzen, um die Wirksamkeit ihrer Werbung so zu verbessern und die Bedürfnisse der Nutzer besser zu erfüllen.
© (V.i.S.d.P.): Dr. Michael Bartl, Jonathan Rupp (beide Tawny), Michael Pusler (Hochschule Fresenius)
Über die Personen
Dr. Michael Bartl ist Gründer und Geschäftsführer des Emotion-AI-Start-ups TAWNY (tawny.ai) und Vorstand der Hyve Unternehmensgruppe für Innovation. Zuvor war er bei der Audi AG im Bereich der Entwicklung tätig. Seine Promotion und Wirtschaftsstudien schloss er in London, München und an der WHU ab. Von 2011 bis 2014 wurde er zum Bundesvorstand des Berufsverbands Deutscher Markt- und Sozialforscher gewählt. In 2012 erfolgte die Berufung zum Senator in den Senat der Wirtschaft. Seit 2019 ist er... mehr
Jonathan Rupp ist Psychologe und promoviert derzeit an der Universität Innsbruck. Seine Forschung konzentriert sich auf den Einsatz von Affective Computing als Prädiktor für den Erfolg von Innovationsprozessen. Jonathan hat umfangreiche Erfahrung im Design von Studien über menschliches Verhalten. Neben seiner Promotion arbeitet er als Datenanalyst bei Tawny, einem Münchner Startup im Bereich der KI-basierten Emotionserkennung, wo er von seinem Aufbaustudium in Data Science profitiert.
Michael Pusler ist Hochschuldozent und "Vollblut"-Marktforscher. Neben seinen beruflichen Stationen GIM, Infratest Wirtschaftsforschung, Hubert Burda Media, IMUK, Mediaplus sowie zuletzt als Gründer von MP RESEARCH ist beziehungsweise war er aktiv in zahlreichen Ehrenämtern, zum Beispiel als Mitglied des Bundesvorstandes der Markt- und Sozialforscher (BVM) oder als Experte in der technischen Kommission der Arbeitsgemeinschaft Mediaanalyse ag.ma.
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