Orkan Dolay, respondi AG Wie die Marktforschung vom Boom des E-Commerce wirklich profitieren kann

Business-Entscheidungen folgen im E-Commerce häufig einfachen A/B Tests. Wie kann die Marktforschung sich einbringen?

E-Commerce boomt seit Jahren und die coronabedingten Auflagen sind nun ein weiterer Katalysator dieses Wachstums. Marketing-Entscheidungen folgen im E-Commerce oft einfachen A/B-Tests, dies geht schnell und günstig. Marktforscher (auch betriebliche) gelten als zu langsam und wissenschaftsgetrieben und werden im Alltag selten einbezogen. Die Marktforschung droht hier auf ihrem angestammten Terrain des Konsums den Anschluss zu verlieren. Kann dies noch verhindert werden und wie?

Entwicklung E-Commerce in Deutschland

Laut Statista wird 2020 der E-Commerce-Umsatz hierzulande bei 78 Milliarden Euro liegen. 2017 lag er bei 55 Milliarden und für 2025 wird ein Umsatz von 104 Milliarden prognostiziert, dies entspricht einer Verdoppelung in weniger als zehn Jahren. Zum Vergleich ist der Umsatz im Einzelhandel in den letzten zehn Jahren um 29 Prozent gewachsen, wobei in 2019 der stationäre Handel um 1,2 Prozent und der Online-Handel um 9,1 Prozent gewachsen ist.

Marktforschung und Konsum

Konsumforschung ist traditionell das Hoheitsgebiet der Marktforschung. Customer Insights, Market Insights, Kundenzufriedenheit, Pricing usw. ist die DNA unserer Branche, mit der ein Großteil des Umsatzes generiert wird. E-Commerce-Abteilungen haben sich aber in Unternehmen häufig losgelöst vom stationären Handel entwickelt, anfangs belächelt und später unterschätzt wurden sie als eigene Silos oder sogar komplett separat geführt wie z.B. bei Tesco. Dies führte dazu, dass sie abgekoppelt von der betrieblichen Marktforschung eigene Methoden entwickelten, die sie an ihren Daten und ihrem Bedarf ausgerichtet haben:

  1. Daten, die ihre Kunden/Nutzer automatisch hinterlassen (Nutzungsdauer, Häufigkeit, Click-Through-Rate, ...)
  2. Bedarf nach schnellen und einfachen Antworten durch Experimente mit realen Kunden in einem realen Umfeld

Die Experimente folgen dabei meist dem Schema eines A/B-Tests und so wird parallel zum E-Commerce der Markt für A/B-Test-Software laut PR Newswire von 485 Millionen US-Dollar in 2018 bis Ende 2025 auf eine Milliarde US-Dollar wachsen.

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A/B-Testing als dominante Methode

1923 führte Claude Hopkins das A/B-Testing im Marketing ein, wonach zur Bewertung zweier Varianten eines Systems, die Originalversion gegen eine leicht veränderte Version getestet wird, mit dem Ziel, ein bestimmtes Verhalten zu steigern. Unternehmen wie Microsoft oder Amazon führen heute pro Jahr mehr als 10.000 A/B-Tests durch. Die größten nachweislichen Erfolge kommen von den kleinen täglichen 0ptimierungen mit eigenen Nutzerdaten wie man bestens dem Artikel "The Surprising Power of Online Experiments" in der Harvard Business Review von Ron Kohavi und Stefan Thomke entnehmen kann.

"Nein, diese Informationen haben wir nicht. Wozu soll das denn genau gut sein?"

In vielen Gesprächen mit Entscheidern in E-Commerce-Abteilungen ist der Tenor zu Beginn immer derselbe: "Wir haben alle Daten, die wir brauchen. Und nicht über ein paar Tausend Probanden, sondern über ein paar Millionen reale Nutzer". Doch bei Rückfragen wie: "Wie viel wissen sie denn über Ihre Nutzer? Arbeiten sie mit Segmenten (außer heavy/medium/light-user)? Haben sie Benchmarks über Wettbewerber?" wird es häufig stumm. Und manchmal kommt die Frage: "Nein, diese Informationen haben wir nicht. Wozu soll das denn genau gut sein?".

Und das ist die Frage, die die Marktforschung beantworten muss, um am E-Commerce-Boom teilzuhaben. Welchen Mehrwert kann die Marktforschung  jenseits der A/B-Tests liefern? Dies versuche ich auf zwei Dimensionen zu beantworten. 

1. Kosten und Optimierung: Effizienz steigern durch Customer Insights

A/B-Tests sind günstig, solange der Traffic günstig ist. Doch die Kosten für die Akquise von Leads steigt in den letzten Jahren. Bei großen Media-Agenturen kommt es schon mal vor, pro Account 150.000 Euro und mehr in einem Jahr an Lead-Kosten für A/B-Tests auszugeben, wobei vor allem der Zeitaufwand und das Personal hierfür kostet.

Hier zeigt sich das Dilemma der A/B-Tests: Sie sind nicht skalierbar, d.h. mit einem Test kann ich keine zweite Frage beantworten. Möchte ich ein Konzept durchtesten, muss ich jeden Faktor testen und dies kann sehr teuer werden. Wüsste man mehr über Konsumentenverhalten und -motive, könnte man sich mitunter viele Schritte sparen, indem man Testergebnisse prognostiziert. Hier kann die Marktforschung einen Mehrwert einbringen, der sowohl die Qualität der Tests verbessert, als auch die Kosten senkt, indem die zu testenden Konzepte/Veränderungen reduziert werden, dank besserer Hypothesen bzw. Theorien über Konsumentenverhalten.

2. Mehrwert schaffen, durch mehr Perspektive

Neben der fehlenden Wiederverwertung eines A/B-Tests fehlen auch Antworten auf das Verhalten meiner Konsumenten außerhalb meines Ökosystems. Wie und wo kauft meine Zielgruppe noch ein und wo informiert sie sich noch? Wo und was kauft mein Kunde, wenn er nicht bei mir kauft?

Hier kann die Marktforschung mit ihren Methoden einhaken: Daten aus Online-Panels, die mit passiven Messdaten des digitalen Verhaltens kombiniert werden und damit Menschen und ihre kompletten Digital Journeys beleuchten. Marktforscher haben somit die adäquaten (DSGVO-konformen) Tools zur Hand, um diese Wissenslücken zu füllen: digitale Nutzungsdaten über alle Marken und Websites hinweg, kombiniert mit tiefen Profildaten und Befragungen zu Motiven und subjektiven Wahrnehmungen.

Fazit

Die Unternehmen haben verstanden, dass sie ihre Silos aufbrechen und E-Commerce und stationären Handel gemeinsam denken müssen. Selbst in Produkt-Kategorien mit hoher Offline-Kaufrate spielen digitale Touchpoints eine immer größere Rolle.

Mit den Silos fällt aber die Dominanz der A/B-Tests im E-Commerce und die Marktforschung hat bereits heute das Instrumentarium, um Effizienz und Genauigkeit in der E-Consumer-Forschung zu steigern. Zum einen können wir die Zahl der A/B-Testungen durch Verhaltensprognosen deutlich senken und zum anderen können wir die Welten jenseits des eigenen Funnels ausleuchten und so die Entscheidungen im Funnel verbessern.

Über den Autor

Orkan Dolay ist Chief Operating Officer und verantwortet das gesamte operative Geschäft bei respondi. Der an der Universität Lumière Lyon 2 diplomierte Volkswirt ist seit 2007 in unterschiedlichen Rollen bei respondi tätig.

 

 

 

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