Melanie Aretz & Dominic Fumelli, Norstat We're sexy and we know it.

In den letzten Jahren haben sich die Problemstellungen für Marktforscher deutlich geändert. Das Aufkommen neuer Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten brachte neue Nutzer von Daten mit sich, die sich für ganz neue Fragestellungen interessieren. Neue Datenquellen können bei der Beantwortung dieser Fragen helfen, ebenso wie neue Möglichkeiten der Datenanalyse und der Berichtlegung. Vor dem Hintergrund all dieser Neuerungen wirkt traditionelle Marktforschung oft ein bisschen langweilig und altmodisch und scheint mit neueren Ansätzen um Relevanz und Einfluss zu konkurrieren.
Die Perspektive wechseln
Das Problem ist jedoch vielleicht vielmehr eine Frage der Perspektive, als dass hier eine echte Gefahr für unsere Branche entsteht. Marktforschung war ja schon immer mehr als das Beharren auf irgendwelchen Tools und Methoden. Im Gegenteil: in ihrer langen Geschichte hat sie sich immer mit den Leitmedien der Gesellschaft gewandelt und ist dabei vor allem ihrer konzeptionellen Stärke treu geblieben, um alle unternehmerischen Fragen empirisch zu beantworten.
- Entdecken: Sollen neue, relevante Aspekte entdeckt werden?
- Experimente: Sollen Alternativen verglichen und bewertet werden?
- Messen: Soll das Ausmaß eines Phänomens quantifiziert werden?
- Voraussagen: Soll eine zukünftige Entwicklung vorhergesagt werden?
Für jede dieser Kategorien stehen uns bereits heute bewährte Methoden zur Verfügung, z.B. Fokusgruppen (Entdecken) oder Bevölkerungsbefragungen (Messen). Die Neuerungen der letzten Jahre bestehen nun gerade nicht darin, dass diese Kategorien und ihre Methoden plötzlich obsolet geworden wären, sondern vielmehr darin, dass die Digitalisierung uns weitere, neue Möglichkeiten an die Hand gegeben hat, z.B. Social Media Listening (Entdecken) oder Passive Metering (Messen). An der grundsätzlichen Herangehensweise von Marktforschung hat sich jedoch wenig geändert.
Wir möchten daher eine Perspektive vorschlagen, die Marktforschung nicht über ein zulässiges Set an Methoden definiert, sondern beim eigentlichen Erkenntnisinteresse anfängt und davon ausgehend die richtigen Methoden bzw. den richtigen Methoden-Mix auswählt.
Ein Praxisbeispiel
Was das in der Praxis bedeuten kann, soll ein kleines Beispiel illustrieren. Betrachten wir eine Supermarktkette, die neben dem herkömmlichen Einkauf in stationären Filialen nun auch anbietet, Onlinebestellungen vor Ort abzuholen oder sich bequem nach Hause liefern zu lassen. Diese Omnichannel-Modalität sorgt für neue Wertschöpfungsketten und bringt auch neue Nutzer von Daten hervor: So bemühen sich zum Beispiel UX Teams, anhand der verfügbaren Nutzerdaten die Conversion im Onlineshop zu optimieren. Es entstehen in diesem Kontext jedoch auch ganz neue Fragestellungen: Inwiefern unterscheidet sich das Einkaufsverhalten zwischen online und stationärem Handel (z.B. Spontankäufe)? Spielt das Verpackungsdesign online eine andere Rolle als im Regal vor Ort? In welchem Maße erschließt der Onlinehandel auch neue Zielgruppen über den bestehenden Kundenstamm hinaus? Die Beantwortung dieser und vieler weiterer Fragestellungen macht es notwendig, neue Datenquellen und Methoden in Betracht zu ziehen, diese miteinander in Bezug zu setzen und die Erkenntnis daraus unterschiedlichen Teams zur Verfügung zu stellen.
An diesem Beispiel wird deutlich, warum die Grenzziehung zwischen traditioneller Marktforschung und neueren Ansätzen kaum einen Sinn macht und stattdessen eine integrierte Perspektive gefragt ist. Sowohl die Handelskette selbst als auch die angebotenen Produktmarken müssen ein konsistentes Kundenerlebnis ermöglichen, - auch, oder weil visuelle und sensorische Reize auf den einzelnen Vertriebskanälen sehr unterschiedlich funktionieren. Daneben gibt es zahlreiche Überlappungen und Interaktionen der einzelnen Touchpoints bei der Customer Journey, etwa wenn die Onlinebestellungen in der Filiale vor Ort abgeholt werden. Zuletzt macht Forschung in unterschiedlichen Silos aber auch deshalb keinen Sinn, weil die einzelnen Kunden ja oftmals dieselben bleiben, auch wenn sie auf unterschiedlichen Kanälen mit einer Marke in Kontakt treten.
Für integrierte Ansätze in der Marktforschung
Vor diesem Hintergrund machen wir uns für eine Perspektive stark, die nicht an der Unterscheidung zwischen traditioneller Marktforschung und neuen Playern ansetzt und dann versucht, die Betätigungsfelder gerecht unter ihnen aufzuteilen. Stattdessen lohnt sich ein integrierter Ansatz, der bei der Problemstellung des Kunden beginnt und davon ausgehend die passenden Datenquellen und Methoden kombiniert. Wenn man diesen Blickwinkel einnimmt, verschwinden auch plötzlich die Unterschiede zwischen einer altmodischen, "langweiligen" Marktforschung und neuen, aufregenden Playern. Es haben nicht nur beide ihre Berechtigung, beide müssen auch mit einer gemeinsamen Stimme sprechen.
Wie aber kann solch ein Ansatz in der Praxis funktionieren? Aus unserer Sicht benötigt es dafür eine bessere Zusammenarbeit zwischen Generalisten einerseits, die das große Ganze im Blick behalten und Spezialisten andererseits, die jeweils auf ihrem Gebiet belastbare Erkenntnisse erzeugen. Solch eine Zusammenarbeit wird maßgeblich erleichtert, wenn Insights aus unterschiedlichen Fachbereichen über eine gemeinsame Datengrundlage miteinander in Bezug gesetzt werden können. Gerade Onlinepanel können hier den Ausgangspunkt für die unterschiedlichsten Methoden der Datenerhebung darstellen und sie trotzdem immer wieder auf eine gemeinsame, konsistente Datenquelle zurückführen.
Zugegeben: richtig innovativ ist solch ein integrierter Ansatz sicherlich nicht, doch kommt es darauf wirklich an? Schließlich bemisst sich die Effektivität von Marktforschung nicht unbedingt am Grad ihrer Innovation, sondern eher an ihrer Fähigkeit komplexe unternehmerische Entscheidungen zu ermöglichen. Und darauf können wir mit Selbstbewusstsein stolz sein. We’re sexy and we know it!
Melanie Aretz ist Senior Lead Agency Consulting bei Norstat Deutschland, Dominic Fumelli ist Senior Project Consultant.
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