Werbung und Zensur in China – Hinweise nicht nur für Werbeforscher

China ist der drittgrößte und am schnellsten wachsende Werbemarkt der Welt; mit besonderem Potential für digitale Medien. Die elastische Auslegung gesetzlicher und ethischer Hürden fordert Kreative und Marktforscher heraus.

Von Matthias Fargel

"Habt weniger Kinder und züchtet mehr Schweine"; "Weniger Geburten- besser Geburten, für den Fortschritt Chinas" hieß es 1979 auf den Plakaten an grauen Hausfassaden, zum Auftakt der Einkind-Politik.

Was Werbung angeht, waren Chinesen wirklich nicht verwöhnt. Und dennoch signalisierten diese Poster den Quantensprung in der Plakatierung und die neue Freizügigkeit, seitdem 1978 Deng Xiaoping die Devise „Reform und Öffnung“ ausgegeben hatte. Auf einem dieser Plakate ist ein junges, beschwingtes Paar mit Kleinkind auf den Schultern zu sehen; der Vater modisch in Poloshirt, Sporthose und gewienerten Lederschuhen, die Mutter in wehendem hellgelben Kleid, das sogar die Knie freigibt – keine Spur mehr von der Darstellung heroisch dreinblickender Volksgenossen in blauer Arbeiterkluft, die zuvor drei Jahrzehnte lang das Menschenbild idealer Chinesen verkörpert hatten. Nur drei Jahre früher prangten auf roten Spruchbändern in weißen Schriftzeichen noch grimmige Sätze wie „Zerschlagt die Viererbande“* als Nachfolger auf die Banner mit „Zerschmettert die vier Alten (Übel)“**.

- Wer heute Zensur in der chinesischen Werbung beklagt, sollte sich den langen Weg vergegenwärtigen, den die Aufsichtsbehörden seitdem zurückgelegt haben (s.u.). -

Ein paar Zahlen zur Gegenwart vorab. Mc Kinsey Quarterly (Juni 2013) schätzt den chinesischen  Werbemarkt 2012 auf 40 Milliarden USD mit ungebrochenen zweistelligen Wachstumsraten. 2014 sollen schon 53 Milliarden USD erzielt werden. Das macht China, nach den USA und Japan, zum drittgrößten Werbemarkt; unter den Top Ten zum am schnellsten wachsenden weltweit. 2012 entfielen auf TV Werbung 37% der Etats, gefolgt von 24% für Internet, 18% für Printmedien, 15% für Außenwerbung und 3% für Radio. Bezeichnenderweise (s.u.) gehen die Aufwendungen für TV und Printmedien zurück zugunsten Internet und Außenwerbung. Längerfristig  gehört in China der digitalen Werbung die Zukunft. Der Online-Werbemarkt ist allein von 2011 auf 2012 um 47% angewachsen und verwertet damit 11% des weltweiten digitalen Werbevolums. Onlinewerbung entfällt zu 30% auf Banneranzeigen, 29% sind mit Suchbegriffen verlinkt. Besonders dynamisch, aber auch besonders fragmentiert und bar jedweder stimmiger Zahlen, stellt sich der Mobile Werbemarkt dar, der sich auf eine halbe Milliarde Smartphone Nutzer einstellt. 52% des Onlinewerbungsetats teilen sich die Suchmaschine „Baidu“ mit dem Onlineshop „Taobao“. Die umsatzstärksten Märkte für Onlinewerbung sind Automobil (allen voran VW gefolgt von Shanghai GM und zwei lokalen Herstellern: Changan und FAW), Onlinedienste und e-Commerce (z.B. China Mobile), Immobilien, Lebensmittel (Unilever), Finanzdienstleister, IT Produkte und an 7. Stelle Kosmetik (P&G, L‘Oreal).

Die Zeiten der mit kraftvollem Pinselstrich sozialistisch gemalten Plakate sind längst vorbei. Es überwiegen Fotos und Filme, bisweilen mit Weichzeichnern verklärt, schöner jugendlich glatter Gesichter, anmutiger Gestalten vor dem Hintergrund meist hochmoderner Kulissen wie glitzernde Hochhäuser, Flugzeuge, Autos und Möblierung. Seit jüngerem tummeln sich die Ankerpersonen auch an Ufern kristallklarer Seen, in saftig grünen Wäldern oder vor strahlenden Bergkulissen unter blauem Himmel – die Sehnsucht nach heiler Natur wird im technik- und fortschrittstrunkenem China immer deutlicher. Aber auch prächtig gediehene Kleinkinder und gütige Senioren preisen die Vorzüge der stets innovativen Produkte. Hintersinnige Zitate aus der chinesischen Klassik, Hinweise auf Internationalität, Skurriles und Humor machen chinesische Werbung durchaus unterhaltsam.

Und das hat sie auch nötig. Denn trotz solcher satten Etats und neuen Gestaltungsmöglichkeiten bleibt Werbung in China für die Kreativen und entsprechend spezialisierte Marktforscher eine intellektuelle Herausforderung. Die Werbeagenturen reiben sich an den tagesaktuellen Grenzen des Legalen, teilweise lokalen Vorgaben und immer aufs Neue auszulotenden zumutbaren Moralvorstellungen - vor und nach erfolgter Marktforschung.

Die Einschränkungen betreffen politische Anspielungen, religiöse Botschaften, exzessiven Luxus und jedwede Art an Erotik.

Ca. zwei Millionen staatliche Experten schützen im Zuge des Projektes „Goldenes Schild“ – im Ausland als „Große Feuermauer“ bezeichnet - die Netizens vor schädlichen Einflüssen. Seit 2011 verweist die „State Administration of Radio, Film and Television“ (SARFT oder SAPPRFT) vermehrt auf den volkserzieherischen und kulturellen Auftrag der Medien.

So wurde 2012 die Zahl der Unterhaltungsshows von 17 auf 9 Sendungen pro Abend gekürzt, wohl auch wegen der teilweise leicht frivolen Sprüche und spontanen Szenen. Spielfilme dürfen seit 2012 im CCTV nicht mehr durch Werbeblöcke unterbrochen werden, sondern werden nunmehr vor Anfang und nach Ende der Dramen ausgestrahlt. Was dazu führt, dass die Verlosung der TV-Werbeblöcke geringere Gebote aufrufen und die Werbetreibenden einen Teil der Ressourcen zu den digitalen Werbeträgern umlenken.

Besondere Aufmerksamkeit genießt die regionale Plakatwerbung. In Beijing führte die Stadtverwaltung ab April 2011 eine Wortzensur in der Plakatwerbung für Luxusgüter ein. Vom Bann getroffen wurden Produktversprechen wie „luxuriös“, „königlich“, „erstklassig“ und „höchstrangig“, weil diese unsozialistische Eigenschaften propagierten und den Sozialneid in der Öffentlichkeit schüren würden. Die Stadt Chongqing zog 2013 nach und belegte Außenwerbung für Luxuswohnungen, Golfclubs, ausländische Weine und Uhren mit Strafe, wenn diese als „beste“, „einzigartig“ oder „unersetzlich“ beworben wurden. – Ehre jenem Texter und Marktforscher, der den aktuellen Tabu-Katalog a priori kennt, bevor die Druckmaschinen anlaufen oder Filme abgedreht sind. - Die direkte Übersetzung von Motiven und Texten international konzipierter, standardisierter Werbekampagnen ins Chinesische scheitern regelmäßig und füttern als komische Brüller Sites von YouTube und Youko.

Da ist es mit der Erotik in der Werbung für die Kreativen wesentlich einfacher: Nichts. Blanke Busen, knappe Tangas, pralle Kurven, viel Schenkel, Kuss- oder andere Szenen der hautnaher körperlichen Zuneigung: Nicht im Bild, nicht im Text – nicht einmal in Gedanken. ***

Hier ein Beispiel: Ein Möbelhaus in Nanjing hatte eine große Schautafel an einer belebten Straße aufgestellt mit folgendem Text: “Woran denken Sie, nachdem Sie gut gegessen haben und nachdem Sie sich gut eingekleidet haben? Na…? – ans Möbelkaufen!“ Witzig? - Unmöglich, unanständig, befanden die städtischen Sittenwächter und zwangen das Möbelhaus zur sofortigen Einstellung der Werbung. Denn ein allseits bekannter chinesischer Trinkspruch lautet "Woran denkst Du, nachdem Du gut gegessen hast und nachdem Du Dich gut eingekleidet hast? – Ans Liebe machen!"

VW China hat die Lösung mit dem richtigen Text: da hört man im Radio und liest sich auf den Anzeigen „Volkswagen – das Auto“ – in akzentfreiem Deutsch.

Korrektes Chinesisch ist eben schwer- offensichtlich selbst für chinesische Berufstexter. Womit ich wieder auf meinen Aufsatz „Market Research  in China mit den richtigen Worten“ verweisen darf.

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* gemeint war die linksradikale Fraktion um die Mao Witwe Jiang Qing, die nach Maos Tod einer der letzten mächtigen Figuren der zehnjährigen Kulturrevolution

** seit Beginn der Kulturevolution 1966 von den Roten Garden propagierte und leider auch praktizierte Zerstörung bürgerlicher, traditioneller Kultur

*** siehe zum Thema „Tabu: Sexualität in China“, getrennt erscheinender Artikel

 

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