Researchability - Verantwortung für Markt und Daten Wenn Algorithmen beleidigen

Prof. Dr. Rolf Schwartmann (Foto: Dörthe Boxberg)
Von Prof. Dr. Rolf Schwartmann
Bettina Wulff dürfte als bisher einzige First Lady in die Geschichtsbücher eingehen, der eine Vergangenheit im Rotlichtmilieu nachgesagt wird. Nachgesagt ist dabei nicht das richtige Wort. Es wurde ihr eine Zeit lang "nachgeschrieben" von vielen Tausenden von Suchmaschinennutzern. Jetzt steht der Verdacht und die ehemalige Präsidentengattin muss sich gegen eine Art Phantomschaden wehren. Von einem Phantomschmerz unterscheidet er sich allerdings dadurch, dass er in seinen Auswirkungen real ist. So falsch der Verdacht auch sein mag, er haftet ihr an und schädigt ihren Ruf, den sie gerade gerichtlich wiederherstellen lassen will.
Wer hat Bettina Wulffs Ruf geschädigt?
Fest steht, dass Bettina Wulff Opfer einer Rufschädigung ist. Wer aber ist der Täter und muss sich für die nach allem was bislang nachweisbar ist, unzutreffende Tatsachenbehauptung verantworten? Wem ist rechtlich etwas vorzuwerfen? Den vielen Menschen die in die Masken von Suchmaschinen den Namen Bettina Wulff und das Stichwort Prostituierte eingaben? Sicher nicht. Man darf das Netz alles fragen, und sich seine Meinung bilden ohne etwas Verbotenes zu tun. Im Gegenteil: Die Informationsfreiheit ist ein Grundrecht. Selbst wenn wir in einem Unrechtsstaat lebten, in dem Fragen verboten wäre – wer von uns sollte es denn gewesen sein? Man könnte man das Verhalten des einzelnen nicht zurechnen und müsste alle Laufen lassen oder alle bestrafen, die das Netz nutzen. Im Zweifel lässt man sie im Rechtsstaat aus guten Gründen laufen.
Was sagen die Gerichte?
Waren Google und Co. die Täter? Das Landgericht Hamburg hat jedenfalls über eine Unterlassungsklage von Bettina Wulff gegen die Ergänzungsvorschläge "Escort" und "Rotlicht" zu ihrem Namen in der Autosuchfunktion zu entscheiden. Der Bundesgerichtshof hat im Mai 2013 in einem vergleichbaren Fall Google als Diensteanbieter im Sinne des Telemediengesetzes angesehen und eine Haftung bejaht. Es wurde ein Unternehmer von der Autosuchfunktion mit den Begriffen Scientology und Betrug in Verbindung gebracht. Der BGH nimmt eine Haftung von Google an, da eigene Informationen, nämlich Suchwortergänzungsvorschlage als Ergebnis der Autocomplete-Funktion, zur Nutzung bereitgehalten werden. Demnach besteht ein Unterlassungsanspruch. Vielleicht ist das noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Unser oberstes Zivilgericht wird wegen dieser Rechtsprechung kritisiert, weil es die Suchvorschläge als eigenen Inhalt von Google begreift und es den Suchmaschinenbetreiber so zum Täter macht, im Ergebnis aber nur eine Störerhaftung annimmt. Das mag rechtspragmatische Gründe haben, denn anderenfalls käme es zu einer untragbaren Einschränkung der Informationsfreiheit.
Was ist Google vorzuwerfen?
Aber was ist Google denn vorzuwerfen? Ist der Algorithmus eine Gefahrenquelle, die man sichern muss, wie eine Mine in die man treten kann? Das ist eine befremdliche Vorstellung. Warum soll man dafür haften, dass man eine Formel aufstellt, die zählt und Fragen in eine Reihenfolge setzt und die einem verrät, das andere Nutzer die Frage auch schon gestellt haben?
Vielleicht deswegen weil Google diese Formel "gehört" und das Unternehmen sie beherrschen kann. Aber was bedeutet das für regulatorisches Vorgehen? Verpflichtet der Staat Google dazu, Suchanfragen zu bereinigen oder zu reduzieren, dann grenzt das an Zensur. Lässt er Google gewähren, dann sind Personen wie Bettina Wulff faktisch Freiwild.
Ohne Algorithmus kein Schaden
Fakt ist, dass der offensichtliche Rufschaden von Bettina Wulff durch ein Zusammenwirken von Nutzern und Suchdienst verursacht wurde, das offensichtlich nicht rechtswidrig ist. Wir haben ein Opfer und keinen Täter. Das ist eine befremdliche und beängstigende Vorstellung im Rechtsstaat.
Aber eines ist klar, auch wenn es keinen Täter gibt: Ohne den Suchalgorithmus und Autocompletefunktion gäbe es kein Opfer.
Der Vorwurf lautet Intransparenz
Vielleicht ist es diese Intransparenz, die man Google vorwerfen muss. Wie kann man ihr begegnen? Hier sind vor allem die in der Pflicht, die Suchformeln entwickeln und einsetzen. Möglicherweise müssen sie ihre Geschäftsgeheimnisse freiwillig lüften oder bei allem Verständnis für das Geschäft mit der Geheimhaltung von Information staatlich zu Transparenz verpflichtet werden. Gewiss ist nämlich, dass in einer Abwägung eher der Algorithmus daran glauben wird als der Mensch. Je mehr Opfer ohne Täter es gibt, desto mehr wird der Staat sich für die Zusammensetzung und Wirkweise der Suchformeln interessieren müssen. Das können wir von ihm ebenso erwarten, wie dass er den Ablauf von Kernschmelzungsvorgängen kennt, um uns vor deren Folgen schützen zu können.
Zur Person:
Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist seit 2006 Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Fachhochschule Köln. Zwischen Promotion 1994 in Köln im Verfassungsrecht und Habilitation 2004 in Mainz mit einer völkerrechtlichen Arbeit war er Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Medien- und Datenschutzrecht. Er ist Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e.V. (GDD) und des Gesprächs- und Arbeitskreises Geistiges Eigentum (enGAGE!).
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