Wecke den Mafo-Künstler in Dir!

Oliver Tabino (Q | Agentur für Forschung)

Oliver Tabino (Q | Agentur für Forschung)

Von Oliver Tabino

Am 4.9. durfte ich bei der Research plus-Veranstaltung der DGOF einen Vortrag halten. Der Titel lautete "Mafo-Kunst. Alles Künstler hier."

Der Ausgangspunkt zu diesem Titel und dem Vortrag war eine Mail von den Research Plus Veranstaltern, die die "Mafo-Web"-Visualisierung offensichtlich ansprechend, interessant und inspirierend fanden.

Nach meinem Vortrag stellte Dr. Anke Müller-Peters von marktforschung.de unter dem Titel "Der Modal-Marktforscher – Ein Selbstbild" Ergebnisse einer Eigenstudie zum Image, zu Gehältern und zur Stimmung der Marktforscher vor. Ein Chart zeigte die Ergebnisse auf folgende Frage: Welche der folgenden Leistungsbereiche sind aus Ihrer Sicht am wichtigsten?

Hier die Ergebnisse in absteigender Wichtigkeit: "Hoher Anspruch an Qualität", "Methodische Kompetenz", "Zuverlässigkeit", "Serviceorientierung" und an letzter Stelle dieser Liste "Innovationskraft".

Wo bleibt die Kunst? Scheinbar war mein Vortragstitel "Mafo-Kunst. Alles Künstler hier." doch nicht so klug gewählt? Thema etwa verfehlt? Und tatsächlich führte ich nach meinem Vortrag einige Gespräche, die ungefähr so abliefen:

Das war wirklich ein spannender Vortrag und sicherlich haben Sie mit einigem Recht, aber im Alltag sieht es doch anders aus. Ich fragte nach, was denn im Alltag so anders sei? Darauf erhielt ich wiederum sehr ähnliche Antworten wie diese: "Naja, mit Kunst hat unsere Arbeit nicht so viel zu tun. Viele Kunden wollen Ergebnisse so wie sie diese gewohnt sind. Da gibt es wenig Raum für Experimente."

Ich fand das sehr interessant und kann das auch gut nachvollziehen, weil ich solche Situationen selbst kenne. Und sind wir mal ehrlich: Eigentlich ist es auch eine Art Bestätigung für gute Arbeit und für Zufriedenheit, wenn ein Auftraggeber sagt: Bitte machen sie es doch so wie beim letzten Mal! Aber selbst wenn Experimente schwierig sind, heißt das ja nicht, dass wir nicht trotzdem "künstlerisch" tätig werden können. Ein zweiter Teil eines Buches, ein weiteres Bild einer Serie, auch das sind kreative Leistungen.

Aber, hier nun meine 5 Thesen des Vortrages. Meiner Meinung hat Marktforschung durchaus etwas mit Kunst zu tun und vor allem können wir von der Kunst lernen. Deswegen gilt für mich:

  1. Marktforschung ist Kunst.
  2. Kunst – also Marktforschung – braucht Inspiration.
  3. Kunst hat eine Botschaft.
  4. Kunst eckt an.
  5. Kunst kostet. Marktforschung auch.

Man kann natürlich streiten, ob Marktforschung Kunst im eigentlichen Sinne ist. Aber Marktforschung kann definitiv ein kreativer Prozess sein. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir als Marktforscher wie einige Künstler die Grenzen ausloten und überschreiten müssen, um in Zukunft überlebensfähig zu sein und Sinn stiften zu können, in Form von Ergebnissen, die unsere Auftraggeber einen unschätzbaren Mehrwert liefern. Ich gehe sogar einen Schritt weiter: Wenn wir es nicht schaffen, die Grenzen zu verschieben und unsere Auftraggeber auch an ihre Grenzen zu bringen, werden wir unter Umständen unser Dasein als langweilige Erfüllungsgehilfen der Datenhuberei fristen.

Vor allem im Bereich der Social Media Forschung und der Visualisierung von komplexen Daten ist die Nähe zur Kunst oder zumindest zur professionellen Gestaltung immer wieder zu finden. Unsere linkfluence Visualisierungen von Communities und somit Zielgruppen im Web haben es immerhin schon in eine Ausstellung im Centre Pompidou in Paris und auf die Shortlist eines Designwettbewerbs geschafft.

Egal, ob wir uns als Künstler sehen oder nicht, das Ausloten und Überschreiten der eigenen Grenzen ist unumgänglich. Nur so können wir innovativ und kreativ sein und bleiben. Dazu brauchen wir wie ein Künstler auch Inspiration. Ich glaube, dass wir unsere Inspirationen aus vielen unterschiedlichen und bisher vielleicht noch gar nicht angedachten und vorstellbaren Bereichen holen werden. Und diese Suche nach Inspiration ist keine Kür, nein, die wird zur Pflichtaufgabe, denn sonst werden wir abgehängt und bekommen es gar nicht mit. Wir sind da meines Erachtens in einer guten Tradition, denn natürlich haben wir uns z.B. in der Quali-Forschung schon immer aus anderen Bereichen inspirieren lassen, egal ob Kognitionspsychologie, Tiefenpsychologie, systemische Therapie, etc.

Vor kurzem hatte ich ein Zwiegespräch mit einem Kunden. Es ging um die Social Media Strategie. Eine einfache, etwas provokative Frage von mir lautete: Haben Sie denn etwas zu sagen? Die Antwort ließ eine Weile auf sich warten. Letztendlich müssen wir als Marktforscher uns diese Frage immer wieder stellen: Haben wir etwas zu sagen? Für mich hat gute Kunst eine Aussage, eine Botschaft (oder mehrere). Sie sieht nicht nur gut aus. Das reicht nicht. Manches Kunstwerk erschließt sich nicht sofort, da muss man sich damit beschäftigen. Ob wir die Zeit dafür haben, das weiss ich manchmal selbst nicht so genau. Aber natürlich gibt es Botschaften, die auf den Punkt sind. Das müssen wir immer und immer wieder versuchen. Die Botschaft(en) stehen natürlich wie auch Kunst in einem Kontext und müssen letztendlich dem Auftraggeber helfen.

Falls jetzt jemand erwidern will in Richtung, "Lieber Herr Tabino, das Künstler sein ist ja schön und gut, aber gutes Handwerk ist die Basis. Wie ja auch die Studie von marktforschung.de zeigt", dann kann ich nur erwidern: Darüber rede ich überhaupt nicht mehr, weil es eine Selbstverständlichkeit sein muss. Tugenden oder Anforderungen wie Zuverlässigkeit, Qualität, (siehe Mafo Studie) sind die Basis von Allem. Sie sind sozusagen die Infrastruktur. Wenn wir das als Marktforscher nicht im Griff haben, was dann? Wenn wir das nicht können, dann brauchen wir uns gar nicht zu Wort zu melden.

Wenn wir uns zu Wort melden, dann bin ich wiederum fest davon überzeugt, dass wir Kante zeigen müssen. Kunst tut das auch. Sie eckt an. Sie ist nicht immer einfach. Manchmal schmerzt sie, weil sie Fragen stellt oder aufwirft und Entwicklungen kritisch hinterfragt. Das ist nicht immer leicht, denn wahrscheinlich kennt jeder von uns die Situation in einer Präsentation, in der man mal unter Beschuss gerät. Kante zeigen heißt für mich inhaltlich überzeugt von seinen Ergebnissen, von seinem Tun sein und diese Inhalte und somit vielleicht Überzeugungen zu verteidigen. Oder eben unbequeme Fragen stellen, wenn wir davon überzeugt sind, dass sie unsere Auftraggeber weiterbringen. Die richtigen Fragen zu stellen ist eine unserer Kernkompetenzen, insofern sind wir dafür hervorragend gerüstet.

Kunst ist oft streitbar, wenn sie nicht belanglos bleiben will. Insofern kann man dieses "Kante zeigen", noch weiter spielen oder ausdehnen: Kante zeigen bedeutet für mich nämlich Streitkultur. Diese Streitkultur ist wichtig, denn wenn wir innerhalb der Branche nicht streiten und uns kritisch mit uns und beispielsweise methodischen Ansätzen auseinandersetzen, hilft uns das nicht weiter Reibung erzeugt Energie und diese Energie ist wichtig, wenn sie in einen offenen und fairen Diskurs geleitet wird. Diesen offenen Diskurs in unsere Branche nehme ich nur selten wahr. Woran das liegt weiß ich nicht genau. Spekulieren kann man schon: Vielleicht ecken wir doch nicht gerne an. Vielleicht haben wir Angst, dass ein potenzieller Auftraggeber erschreckt. Vielleicht verwechseln wir Lethargie mit Harmonie. Vielleicht frisst uns der Alltag manchmal auf. Kann sein, aber es gibt die Möglichkeiten des Diskurses und wir sollten sie definitiv stärker nutzen. Aber es ist eine Bring-und Holschuld zugleich, sonst kann das nicht funktionieren.

Meine Kollegin Kerstin Klär hat vor kurzem von der Suche nach "Mut Forschern" geschrieben. Mut kann anstrengend sein. Mut kann bedeuten, dass man seine eigenen Grenzen überschreitet und ich bin mir sicher, Mut wird belohnt.

Meist sind wir, wenn die Metapher stimmt, eher Auftragskünstler, was uns aber nicht davon abhalten darf, Dinge zu tun, die auf den ersten Blick nicht abrechenbar sind, denn auch dadurch entsteht Neues. Dennoch spielt Geld eine Rolle. Ich bin nicht naiv-romantisch. Gehälter müssen gezahlt werden. Die Miete für das Teststudio in Innenstadtlage kann einen auffressen. Die Budgets für Marktforschung sind hart umkämpft. Die Auflistung von Beispielen, dass Geld eine wichtige Rolle spielt, können wir fast beliebig fortsetzen.
Aber das Thema Geld hat für mich noch einen anderen symbolischen Charakter. Für mich stellt sich sofort die Frage, was wir uns als Branche denn selbst wert sind? Halten wir unsere Arbeit selbst für wertvoll? Wenn ja, wie bepreisen wir diese? GfK Chef Hartmann will laut diesem Artikel die Beratung stärker in den Fokus rücken. Bedeutet diese Forderung zugleich, dass Tagessätze wie ein Unternehmensberater durchsetzbar sind? Trauen wir uns das als Branche zu? In meinem Vortrag habe ich ein Bild eines mit Diamanten besetzen Schädels (Titel: For the love of God) von Damian Hirst verwendet, um die These "Kunst kostet. Marktforschung auch." zu illustrieren. Warum? Erstens, über Kunst kann man streiten. Sollte man auch. Kunst und vor allem die Bewertung von Kunst hat immer etwas Subjektives. Das ist natürlich ein fundamentaler Unterschied zur Marktforschung, zumindest auf den ersten Blick. Natürlich müssen Marktforschungsergebnisse möglichst objektiv sein, keine Frage. Aber machen wir uns doch nichts vor, die Entscheidung für eine bestimmte Methode, für ein bestimmtes Institut, für einen bestimmten Dienstleister ist auch immer subjektiv. Deswegen, und da komme ich wieder auf Damian Hirst zurück, ist die Selbstinszenierung ein wichtiger Punkt. Wir werden nicht drum herumkommen, uns selbst zu inszenieren.

Ich möchte sogar noch einen Schritt weitergehen. Alle die sich in der Marktforschung selbst inszenieren und somit sichtbar werden, helfen unserer Branche weiter und das wird automatisch auch den Wert unserer "Kunst" steigern.

Deswegen gilt: Wecke den Mafo-Künstler in Dir!

 

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