"Was ist das eigentlich für eine blöde Umfrage?" - Aus dem Leben eines Panelisten

Von Philip-Maria Schmidt*, Incentive-Jäger
(*Ähnlichkeiten mit tatsächlich lebenden Personen sind rein zufällig)

Ich gebe es zu: ich bin Incentive-Jäger. Die Vorstellung, mit der Teilnahme an Umfragen bequem von zu Hause aus Geld zu verdienen, finde ich ausgesprochen reizvoll. Und so bin ich mittlerweile bei 16 Panels angemeldet, die mich mehr oder weniger regelmäßig um meine Meinung bitten.

Die Aussicht auf den ein oder anderen Amazon-Gutschein oder gar Bargeld motiviert mich, also wie immer als erstes am Morgen: Kaffeekochen, Duschen, Rechner an, E-Mails checken. Ich sehe auf Anhieb: mindestens drei der acht Einladungen kann ich direkt löschen. Es gibt einfach ein paar Anbieter, bei denen kann man sich die Teilnahme einfach sparen. Entweder, man wird ewig nach persönlichen Daten gefragt und fliegt vor der eigentlichen Umfrage sowieso raus, oder man klickt sich durch die immer gleichen Fragestellungen, die sich so geringfügig unterscheiden, dass man vor Langeweile einschläft. Apropos Einschlafen: quietschbunte Aufmachungen, die mich eher an Comicserien für Kinder als an seriöse Marktforschung erinnern, brauche ich auch nicht unbedingt, um bei Laune gehalten zu werden…

Laune macht mir übrigens stattdessen, bei den Auswahlfragen, die mir am Anfang einiger Umfragen gestellt werden, so zu tricksen, dass ich doch teilnehmen darf, obwohl ich gar nicht zur Zielgruppe gehöre. Schließlich will ich ja meinen Bonus, ich bin ja Incentive-Jäger.

Meine persönliche Marktforschungskompetenz: Ich weiß, dass eine Einfachauswahl "Single Choice" und Mehrfachauswahl "Multiple Choice" heißt. Was mancher Umfragen-Programmierer offenbar nicht weiß: dass diese Option zur Beantwortung der Fragen auch entsprechend programmiert werden sollte. Ich will die Frage "Welche Online-Portale nutzen Sie regelmäßig? (Mehrfachauswahl)" wahrheitsgemäß beantworten und meine diversen Favoriten angeben, nur leider lässt mich das System nicht und weigert sich beharrlich, mehr als einen Haken anzunehmen. Was ist denen jetzt wohl lieber – Falschangabe oder Abbruch? Für mich keine Frage, ich will ja meinen – ach, Sie wissen schon. Also entscheide ich mich für mein allerliebstes Internetportal, ignoriere den Rest und mache weiter.

"Besitzen Sie ein Auto?", werde ich in einer anderen Umfrage gefragt. Meine wahrheitsgemäße Antwort: "Nein". Die nächste Frage löst Erstaunen aus: "Ist Ihr Auto ein Neuwagen?" Nun, Logik ist ja nicht jedermanns Sache, denke ich, ignoriere auch diesen Programmierfehler und lasse mich zu wahrheitsgemäßen Träumen über meinen fiktiven Neuwagen hinreißen, die ich dem Fragebogen pflichtbewusst mitteile.

"Eine Flasche von die Bier, die so schön hat geprickelt in meine Bauchnabel" kommt mir dann unweigerlich in den Sinn, als ich mir nach einem kurzen Besuch bei meinen Facebook-Freunden den nächsten Fragebogen anschaue. Was in einem Werbespot charmant rüberkommt, funktioniert in der Marktforschung bedingt gut. Anders ausgedrückt: der unerschütterliche Glaube an das einwandfreie Funktionieren von Übersetzungs-Tools führt zu phantastischen Wort- und Satzschöpfungen, deren einziges Potential darin liegt, zur Verwirrung des Befragten beizutragen. Dass das im Hinblick auf die Qualität der mittels Umfrage gewonnenen Daten nicht zielführend sein kann, leuchtet auch mir als Nicht-Marktforscher unmittelbar ein. "Welche der folgenden Geräte, die Ihres Mobiltelefons/Handys sind?", werde ich gefragt.  Das verstehe wer will…

Heute reichen Zeit und Nerven nur noch für einen weiteren Fragebogen. "Was ist das denn schon wieder für eine blöde Umfrage?", schießt es mir im ersten Moment durch den Kopf. Doch halt: nach ein paar Klicks durch Screeningfragen befinde ich mich in der weiten Welt des Produktmarketings – und habe großen Spaß. Irgendwo habe ich mal den Begriff "Surveytainment" gehört – wenn dieser so gemeint ist, wie ich ihn verstehe, trifft das hier den Nagel auf den Kopf. Visuell gut gemacht, interessantes Thema und eine Sinnhaftigkeit, die mir das Gefühl gibt, mit meinen Antworten wirklich Einfluss auf eine wichtige Entscheidung zu haben.

Kein Einzelfall übrigens, das muss ja auch mal erwähnt werden. Bei gut gemachten Umfragen schreibe ich auch gern mal lobende Worte in ein entsprechendes Textfeld – sofern vorhanden. Ich hoffe, das kommt dann auch an der richtigen Stelle an.

So, jetzt aber den Rechner aus, keine Lust mehr. Außerdem klingelt das Telefon. Eine freundliche junge Dame ist dran. Sie will von mir wissen, wie zufrieden ich denn mit meiner Hausbank bin – auf einer Skala von eins bis fünf. Das Interview lehne ich freundlich, aber bestimmt ab. Schließlich bin ich ja Incentive-Jäger.

 

Diskutieren Sie mit!     

  1. Herbert Höckel am 20.04.2012
    Liebe Redaktion von Marktforschung.de,

    obgleich ich seit vielen Jahren ein Verfechter des guten Fragebogens bin und viele der Kritikpunkte der oben dargestellten "Story" auch nachempfinden kann - finde ich diesen Beitrag nur wenig sachdienlich, denn es entbehrt dem Verfasser die notwendige Portion Mut zu seiner Kritik auch zu stehen oder die konstruktive Grundhaltung nicht nur zynisch sondern auch für die Branche an sich förderlich zu sein.

    Im Fazit ist mir somit der Sinn und Zweck dieses Beitrages nicht klar und ich kann ihn nur mit müdem Kopfschütteln begegenen. Ich hätte mir mehr von Ihnen erhofft, als so platte Polemik.

    Mit besten Grüßen,
    Herbert Höckel
  2. Stefan Vogt am 20.04.2012
    Sehr geehrte Damen und Herren,

    ich kann dem Autor dieser Glosse leider voll und ganz beipflichten - außer darin, das Ganze als Glosse zu bezeichnen. Ich würde es eher als Reportage sehen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Stefan Vogt
  3. Claas Lübbert am 20.04.2012
    Lieber Herr Höckel,

    vielen Dank für Ihren Kommentar und auch für Ihre Kritik an dem Beitrag!

    "Es geht nicht darum, Wahrheit dokumentarisch nachzustellen, sondern in der Fiktion Dinge zu erzählen, die sich so oder so ähnlich zugetragen haben könnten. Auf diese Weise kommt die Wahrheit komischerweise durch die Hintertür wieder rein." So hat sich sinngemäß der von mir sehr geschätzte Filmemacher Edgar Reitz mal zu seiner Art des "Geschichtenerzählens" geäußert.

    In diesem Sinne geht es in dem Beitrag nicht darum, Missstände explizit anzuprangern, die – nebenbei bemerkt – in unserem Leserkreis hinlänglich bekannt sein dürften. Es geht an dieser Stelle auch nicht darum, den Zeigefinger zu heben und zu sagen, dass es Unternehmen gibt, die ihren Job besser machen als andere und diese "anderen" dafür – mutig? – offen zu kritisieren.

    Es geht vielmehr darum, zu beobachten, zu beschreiben, festzustellen, vielleicht die "Research-Professional"-Perspektive zu verlassen. Ich wünsche mir, dass in dem Beitrag eben auch das Stückchen Wahrheit gelesen wird, das ihm tatsächlich eingeschrieben ist.

    Ob man den Artikel deshalb nun als platte Polemik oder im positiven Sinne augenzwinkernd verstehen mag – ich hoffe, er trägt dazu bei, dass man in unserer Branche wachsam bleibt, die Augen offen hält, sich austauscht und diskutiert.

    Wenn wir das erreichen können, so finde ich, ist der Beitrag sehr wohl förderlich.

    Mit den besten Grüßen,
    Claas Lübbert
  4. Maggus am 23.05.2012
    Den Inhalt des Artikels kann ich nachvollziehen. Es gibt genug dieser "Klickaffen" / Incentive-Jäger die genau so vorgehen. Nur! Der Artikel zeigt nun auch noch denjenigen die das bisher nciht machen, das so etwas geht. Vielleicht kontraproduktiv.

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf marktforschung.de