Martins Menetekel Was bedeutet der Knick nach oben?

Wenn man die offiziellen Fallzahlen zu den an Corona Infizierten verfolgt, sieht man, dass diese Zeitreihe seit Mitte Juni nicht mehr langsamer steigt, sondern im Bogen nach oben zeigt. Ist das der Beginn einer zweiten Welle? Wir möchten Sie mit dieser Kolumne befähigen, sich darüber ein fundiertes Urteil zu bilden.

Zur Methodik

Corona-Fallzahlen vom 11.08.2020 (Quelle: Martin Lindner)
Wir verwenden die Zahlen der Johns Hopkins University in Baltimore, um einen Vergleich mit anderen Ländern zu ermöglichen. Die Zahlen laufen denen des Robert-Koch-Instituts in der Regel nur um ein bis zwei Tage voraus. Diese Werte werden etwas aufwendiger als üblich geglättet. Wir glätten im 7-Tage-Modus, wenn für einen Tag t alle drei Folgewerte bekannt sind. Sind nur zwei Folgewerte bekannt, also heute zum Beispiel vorgestern, so bilden wir das Mittel aus 5 Tagen, das Mittel gestern wird aus drei Tageswerten berechnet, der Wert heute abend wird als Zahl übernommen. Damit sind die letzen drei Mittelwerte provisorisch. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, das wir jeden Trend sofort verfolgen können.

Wie werden Wachstumszeitreihen modelliert?

Wachstumsprozesse in einer gegebenen Population, hier Verbreitung des Corona-Virus in Deutschland, gehen grundsätzlich davon aus, dass der Zuwachs in der gewählten Zeiteinheit, bei uns Tage, proportional der Population ist. Dieser Zuwachs ist automatisch größer oder gleich Null.  Bezeichnen wir die Fallzahlen mit N(t), so gilt N'(t) = k*N(t), wenn der Zuwachs N(t) – N(t-1) durch die erste Ableitung ersetzt wird. Die brauchen wir für die Prognosekurve M(t). Es ist k > 0.

Betrachten wir die Gleichung  M'(t) = k*M(t) :
M(t) = A * bt ist die allgemeine Lösung: Es ist A > 0 und b > 1

M'(t) = A*(ln(b) * bt = ln(b) * M(t) = k*M(t) mit k = ln(b).

Dieses exponentielle Wachstum geht nicht lange gut, da jede Exponentialfunktion mit Wachstumsbasis b > 1 sehr schnell alle Grenzen übersteigt. Das ist in der reellen Natur nicht möglich. Wir benötigen einen Limitierungsfaktor L, der dafür sorgt, dass k automatisch kleiner wird, am besten zu Null. Der einfachste Ansatz ist

M'(t) = k*M(t)*(1 – L*M(t)) mit L zwar unter Umständen sehr klein, aber > 0.

Untersuchen wir 1 – L*M(t) : L klein und M(t) klein ist praktisch exponentielles Wachstum, aber M(t) wird jeden Tag größer und kommt der 1 immer näher. Damit wird 1 – L*M(t) immer kleiner und der Zuwachs M'(t) wird auch immer kleiner.

Offenbar ist bei M(t) = 1/L = S Schluss mit dem Wachstum, S ist eine natürliche obere Schranke, die es zu bestimmen gilt. M(t) nähert sich von unten asymptotisch an S heran.

Eine geschlossene Lösung  für M'(t) = k*M(t)*(1 – M(t)/S)  ist mit S = 1/L

M(t) = A*S*(1/(A + S/bt ))

Es gilt, aus den geglätteten Fallzahlen N(t) A, b und S zu bestimmen, wobei A eine Integrationskonstante ist und zur Optimierung benutzt wird. Das Problem ist natürlich N'(t), eine Ableitung ist wie eine Lupe, um das Verhalten einer Kurve im Kleinen zu betrachten. Unsere Lupe ist aber leider der Tag, und nicht Bruchteile von Sekunden, die wir für den Grenzprozess zur Bildung der Ableitung bräuchten. Ich bin jederzeit bereit, mathematische Einzelheiten zu erläutern, Hilfe kann auch wikipedia oder die Schulmathematik liefern.

Prognosekurve vs. Fallzahlenkurve
Die rote Prognosekurve vs. die blaue Fallzahlenkurve (Quelle: Martin Lindner)

Die Übereinstimmung ist nicht gut.

Was sind die Probleme?

  1. Sind A, b und S überhaupt bestimmbar?
  2. Über welche Dauer sind A, b und S einigermaßen konstant?
  3. Kann man dann mit der Extrapolation von M(t) Prognosen für den zukünftigen Verlauf der Fallzahlen wagen?

Wir werden diese und andere Fragen und Probleme behandeln und im Rahmen des Möglichen auch beantworten.

Bleiben Sie gesund!

Über den Autor:

Martin Lindner ist promovierter und habilitierter Mathematikprofessor im Ruhestand und beschäftigt sich intensiv mit nachhaltiger Wirtschaft und der Zukunftsfähigkeit unserer heutigen Lebensformen. Zusätzlich hat er eine Ausbildung und auch Berufserfahrung in Wirtschaftsmediation.

 

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