Beitrag von Frank Knapp und Jonas Reichelt Warum Virtual Reality in unser Wohnzimmer Einzug hält

Virtual Reality wird aktuell aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert, nachdem die ersten massentauglichen Geräte am Markt eingeführt wurden. Das Thema interessiert sowohl private Besucher der Gamescom als auch professionelle Anwender, zum Beispiel im Tourismus. Psyma hat ausgewertet, welche Meinungen Nutzer in sozialen Netzwerken äußern und somit, welche Informationen den Entscheidungsprozess beeinflussen können. Im Vordergrund standen die Fragen, welche Anwendungen von Virtual-Reality-Konsumenten begeistern können und welche Hürden wahrgenommen werden. Zu diesen Themen haben wir Online-Kommentare gesucht und analysiert.

Methodisch kann dabei insbesondere gezeigt werden:

  • Die diskutierten Themen unterscheiden sich je nach Kanal (Blogs vs. Foren).
  • Kanäle sind durch unterschiedliche Tonalitäten gekennzeichnet (Kritik vs. Ankündigungen / Produktbeschreibungen).
  • Unterschiedliche Positionierungen von VR-Geräten sind erkennbar.

Wer sagt was, wann und wo?

Über das Psyma-Online-Radar erfassen wir in einem mehrstufigen Prozess Online-Beiträge von Nutzern (vgl. Abb. 1 zum Vorgehen). Basis bildet ein Webcrawler, der verschiedenste Quellen weltweit durchsucht. Neben sozialen Online-Netzwerken, wie Facebook, werden auch Blogs, Foren, Microblogs, Video-Communities und News-Beiträge mit Kommentaren abgedeckt.

Abb. 1: Ablauf des Psyma Online Radars
Abb.1: Ablauf des Psyma Online Radars (Bild: Psyma)
 

In diesem Fall gaben wir die Bezeichnungen der verfügbaren Produkte und den deutschsprachigen Raum als Suchfeld vor. Weitere Einschränkungen erschienen uns nicht sinnvoll: Einerseits mussten keine unerwünschten Objekte ausgeschlossen werden, da die Produktnamen nicht in anderen Kontexten erschienen (wie es zum Beispiel bei "real", "Magnum" oder "Mars" der Fall ist). Andererseits konnte die Suche nicht soweit eingeschränkt werden, dass sie nur die interessierenden Beiträge zu Anwendungsmöglichkeiten erfasst und zum Beispiel Beiträge zur Preisbewertung ausschließt. Hätten wir Begriffe wie "Gaming" oder "Film" vorgegeben, wären schon allein wegen Schreibfehlern und unterschiedlicher grammatischer Formen zu viele relevante Kommentare unentdeckt geblieben. Zudem sollte die explorative Recherche gerade auch zu unerwarteten Funden führen.

Für eine handhabbare Analyse haben wir die Auswahl weiter eingeschränkt:

  • Produkte mit zu wenigen Beiträgen wurden ausgeschlossen, da auf der Basis weniger Kommentare keine Interpretationen möglich sind.
  • Den Zeitraum haben wir auf die erste Hälfte März 2016 beschränkt, in diesem Zeitraum stimulierten Produkt-Neuheiten die Diskussion (vgl. Abb. 2). Der Hype um Pokémon Go (Augmented Reality) war damals noch nicht abzusehen.
  • Die Selektion beinhaltet nur Beiträge aus Foren und Blogs, da dort erfahrungsgemäß die meisten Kommentare zu den Produktleistungen zu finden sind. Speziell werden gerade in Foren Meinungen diskutiert und nicht nur faktenorientierte Ankündigungen verbreitet. In anderen Kanälen dominiert hingegen die private Kommunikation gegenüber Produktbeurteilungen oder die Kommentare zu Produkten werden von professionellen Autoren verfasst.
  • In einer manuellen Analyse wurden aus der Liste von Beiträgen jene ausgewählt, die relevante Kommentare zu Anwendungen enthalten (rund 18 Prozent).

Im Ergebnis wurden etwa 500 relevante Beiträge zu den Anwendungen identifiziert. Diese Beiträge wurden komplett manuell kategorisiert. Die inhaltlichen Kategorien wurden am Material entwickelt, das heißt, die Forscher prüften und überarbeiteten Ideen ausgehend von Hypothesen. Bei jeder solchen Analyse ist nicht nur die Ebene der Diskussionsthemen interessant, sondern auch der Kontext. Anders als bei typischen Marktforschungsfragen werden Inhalt und Anreize nicht vom Forscher vorgegeben, das heißt, es ist zu fragen, warum Nutzer überhaupt kommunizieren.

Abb. 2: Anzahl der erfassten Beiträge im Zeitverlauf
Abb.2: Anzahl der erfassten Beiträge im Zeitverlauf (Bild: Psyma)

Welche Themen stehen im Vordergrund?

Es ließ sich eine Bandbreite an Diskussionsthemen zu Anwendungen finden, auch wenn nur einzelne Themen prominent auftauchen: Gaming und neu veröffentlichte Spieleanwendungen, Unterhaltung (zum Beispiel Videos), Tourismus, Bildung und Lernen, Design / Zeichnen, Produkt-Tests, Produkt-Entwicklung / Forschung, Telekommunikation (zum Beispiel Video-Telefonie), Medizin und Psychologie, Pornografie, Augmented Reality, technische Umsetzung (zum Beispiel Hardware-Anforderungen). Die Verteilung der Themen auf die verschiedenen Produkte zeigt klar unterschiedliche Positionierungen (vgl. Abb. 3):

Drei der Produkte werden hauptsächlich in Bezug auf Gaming diskutiert: Oculus Rift wurde speziell für Spiele-Anwendungen entwickelt, bei der PlayStation VR impliziert dies bereits der Name. Die HTC Vive erscheint als High-End-Gerät, das mittels Room-Scale-Technologie freie Bewegungen im virtuellen Raum erlaubt. Die Verbindung der Vive mit Steam, einer Vertriebsplattform für Computerspiele und Software, betont den Fokus Gaming-Anwendungen. Diese Geräte arbeiten mit aufwendiger Computer-Hardware beziehungsweise Spiele-Konsole (PlayStation VR).

Die drei Gaming-Produkte werden über die Monate von Februar bis August 2016 insgesamt ähnlich häufig erwähnt, Peaks entstehen zum Beispiel durch die Ankündigung von Verkaufspreisen wie für die PlayStation VR im Zeitraum der Stichprobe.

Abb. 3: Themenverteilung nach Produkten
Abb. 3: Themenverteilung nach Produkten (Bild: Psyma)
 

Im Kontext der Spiele-Anwendungen finden sich häufiger Diskussionen in Foren, vor allem solchen mit einschlägigem Fokus (zum Beispiel computerbase.de, www.forum-3dcenter.org, vgl. Abb. 4).

Bei diesen Diskussionen werden negative Meinungen deutlich (vgl. Abb. 5), die sich auf die technische Umsetzung beziehen, vor allem die hohen Systemanforderungen der HTC Vive. Hier zeigt sich die Kehrseite der aufwendigen Spielanwendungen. Schließlich geht es hier auch um den Kostenfaktor, denn neben dem Headset muss auch die geeignete Computer-Hardware als Basis gekauft werden. 

Ein weiterer Kritikpunkt behandelt den Bedarf  an einer hinreichenden Menge passender Spiele, die allerdings mit den ersten kommerziellen Produkten erst einmal entwickelt werden muss. Spieler halten zudem nicht alle Spiele für den Einsatz von Virtual Reality geeignet.

Abb. 4: Themenverteilung in Blogs und Foren
Abb. 4: Themenverteilung in Blogs und Foren (Bild: Psyma)
 

  • Samsungs Gear VR stellt hingegen eine kostengünstige Ergänzung zu Smartphones dar, für die Software von Oculus verfügbar ist. Das Smartphone als Rechner begrenzt hier die Anwendungsmöglichkeiten, deshalb steht statt Spielen eher die Unterhaltung durch Filme im Vordergrund.
  • Die HoloLens von Microsoft ist bisher nur in einer Entwicklerversion verfügbar. Anders als die übrigen Produkte kommt hier Augmented Reality beziehungsweise Mixed Reality zum Einsatz, das heißt, Elemente der realen Welt werden in Interaktionen einbezogen. Zu diesem Produkt werden von Microsoft eher professionelle Anwendungen bereitgestellt, zum Beispiel bei der NASA oder in der Architektur-Entwicklung. Online-Diskussionen dazu (oder zu anderen professionellen Themen wie Tourismus oder Lernprogramme) finden sich (im deutschsprachigen Raum) nur wenige, was sicher auch am Konsumenten-Schwerpunkt in den Medien liegt. Diskutiert wird eher von privaten (Gaming-)Enthusiasten. Für B2B-Kommunikation könnte der persönliche Austausch mit geschäftlichen Kontakten relevanter sein. Zudem könnte der offene Austausch über kommerzielle Anwendungen aus Wettbewerbsgründen eingeschränkt sein. Beiträge, die sich trotzdem finden lassen, stellen meist neutral die Möglichkeiten dar.

Abb. 5: Tonalität nach Thema (alle Produkte zusammengefasst)
Abb. 5: Tonalität nach Thema – alle Produkte zusammengefasst (Bild: Psyma)
 

Erste Erkenntnisse aus der frühen Phase des Marktes

Diese explorative Analyse kann als Basis für weitere klassische Marktforschungsstudien dienen. Wir konnten einen Markt in einer frühen Phase beobachten, in der aktive Nutzer generell überzeugt sind von den Nutzenpotenzialen der Technologie, aber auch Kritik an den technischen Anforderungen und der Wunsch nach mehr interessanten Anwendungen laut wird.

Es werden ganz unterschiedliche Produkte mit variierenden Preis-Positionierungen und Leistungsversprechen angeboten. Basierend auf den identifizierten unterschiedlichen Anwendungsszenarien bleibt offen, wie groß die entsprechenden Marktsegmente jeweils sind und wie sich die Kunden genau charakterisieren lassen. Auch zur Wahrnehmung der verfügbaren Produkte können wir nur Hypothesen entwickeln, da die aktiven Online-Kommentatoren sicher nicht repräsentativ für die potenziellen Kunden sind.

Um Kundenansprache und Produktentwicklung zu unterstützen, können Antworten auf diese offenen Fragen auf verschiedenen Wegen gewonnen werden:

  • Vertiefung der Social-Media-Analysen: Zum einen könnten größere Stichproben untersucht werden, was die Analyse speziell für Nischenthemen ermöglichen würde. Zum anderen würden zusätzliche Metadaten zu den Nutzern helfen, den Hintergrund von Kommentaren einzuschätzen: Wie unterscheiden sich die demografischen Merkmale je nach Anwendung? Aufgrund der großteils anonymen Kommunikation sind diese Informationen jedoch nur sehr lückenhaft verfügbar.
  • Quantitative Marktforschungsstudien zur Prüfung von Hypothesen. Auf diese Weise ließen sich zum Beispiel Größen von Marktsegmenten schätzen (Gaming, Unterhaltung etc.), Zahlungsbereitschaften für verschiedene Produkte und Anwendungen ermitteln oder Produktpositionierungen anhand von Wahrnehmungsprofilen vergleichen.
  • Qualitative Interviews und Tests zur zielgerichteten Tiefenexploration von Meinungen und Wahrnehmungen, etwa zur Identifikation von Marktlücken. Kommunikation muss sich notgedrungen auf wenige Features beschränken. Welche davon die höchste Resonanz bei potenziellen Nutzern haben – und damit in der Kommunikation eine hervorgehobene Rolle spielen sollten – lässt sich am besten durch eine Diskussion der Produktfeatures im Wettbewerbsvergleich mit potenziellen Nutzern herausarbeiten, zum Beispiel in Fokusgruppen oder Einzelexplorationen.

Die Autoren

Jonas Reichelt, Frank Knapp, Psyma
Dr. Frank Knapp (rechtes Bild) ist CIO der PSYMA GROUP AG und operativ zuständig für den Geschäftsbereich E-Business, IT & TK.

Dr. Jonas Reichelt arbeitet bei Psyma als Senior Consultant mit den Schwerpunkten Kundenbetreuung und interne Produktentwicklung im Bereich E-Business.

 

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