Warum sich apparative Forscher nicht unbedingt in der Komfortzone bewegen

Bereits 1983 gründete Dr. Beate von Keitz das Institut für Kommunikations-Forschung in Saarbrücken.
marktforschung.de: Frau von Keitz, wann sind Sie zum ersten Mal mit apparativen Forschungsmethoden in Berührung gekommen?
Beate von Keitz: Prof. Kroeber-Riel, Gründer des Instituts für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität des Saarlandes, ist ja ganz früh in mein Leben gekommen. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, Konsumentenverhalten zu studieren, war das der einzige Weg – es gab sonst weder bei den Psychologen noch bei den Betriebswirten dieses Lehrangebot, das war komplett neu. Und bei Prof. Kroeber-Riel war ich nicht nur in den Veranstaltungen, sondern ich durfte ein Praktikum am Lehrstuhl machen. Ja, und da waren Methoden wie das Eye-Tracking, der Aktivierungstest über Hautwiderstandsmessungen oder der Tachistoskop-Test im täglichen Einsatz. Ich war auch in Forschungsprojekte involviert wie das legendäre HOBA-Experiment zur "emotionalen Konditionierung". Es ging da um den Nachweis, dass Verbraucher durch emotionale Werbung beeinflusst werden. Das war damals eine ganz neue Theorie in der BWL und heiß umstritten ...
marktforschung.de: Gegen welche Widerstände mussten Sie seinerzeit ankämpfen?
Beate von Keitz: Als ich mit dem Institut startete, da war bei vielen Auftraggebern schon ein hohes Interesse an den apparativen Verfahren vorhanden und auch eine Offenheit. Ich war ja auch die erste, die die ganzen Verfahren in einem Institut anbot und die die Methoden bei Prof. Kroeber-Riel quasi "gelernt" hatte. Aber ich hörte schon öfter mal den Vorwurf, dass die apparativen Methoden mit ihren Geräten das Verbraucherverhalten verfälschen würden, zum Beispiel die Brille beim Eye-Tracking. Schon damals lernten wir in Validierungsstudien – Dr. Lachmann von Philips war hier ein toller Sparringspartner – dass selbst die großen Brillen, die wie Skibrillen aussahen, das Wahrnehmungsverhalten nicht verändern. Aber da existierten öfters irrationale Vorurteile, mancher Auftraggeber "mochte" die Geräte einfach nicht.
Dazu kam: Die Möglichkeit, für apparative Tests die Geräte bei den Herstellern zu mieten, gab es damals noch nicht, und der Kaufpreis der Geräte war immens hoch. Da musste ich dann auch noch die Bank überzeugen, dass auch eine Mutter mit zwei Kleinkindern erfolgreich eine Firma gründen kann und dass sie kreditwürdig ist …
Von großen Geräten, die immer kleiner wurden
marktforschung.de: Sie haben Ihr Institut 1983 gegründet. Was waren die wesentlichen Milestones der Firmenhistorie? Welche technologischen Entwicklungen haben Ihr Unternehmen maßgeblich geprägt?
Beate von Keitz: Als ich angefangen habe, war das noch die Zeit der Großrechner. Wir mussten eigene Software für die Auswertung der apparativen Tests programmieren lassen, und vieles musste auch manuell ausgewertet werden. Insofern habe ich ganz tolle Dinge erlebt: Die PCs wurden immer leistungsfähiger und preisgünstiger, das Angebot an Standardsoftware wurde immer umfangreicher, die Auswertung wurde immer leichter, und vieles konnte man zumindest halbautomatisieren. Es gab eigentlich ständig Neues.
Auch das Problem der großen und auffälligen Geräte hat sich in Wohlgefallen aufgelöst. Es kamen berührungslose Systeme auf, die der Verbraucher praktisch nicht mehr sieht. Eines ist für mich aber ganz witzig: Jetzt folgt wieder ein Revival der "Glasses" – also der Eye-Tracker, die der Verbraucher aufsetzen muss. Aber mit denen kann er sich frei bewegen. Das ist zum Beispiel in POS-Studien oder in Mailing-Tests wichtig. Die Diskussion ist in jedem Fall viel sachlicher geworden. Und das ist ein fortlaufender Prozess: die Geräte werden immer kleiner, leichter und komfortabler, und die Unterstützung durch die Software wird immer umfassender. Heute gerade haben wir ein nettes kleines Päckchen aufgemacht – es enthielt unseren Eye-Tracker, den wir neu gekauft haben.
marktforschung.de: Apparative Techniken haben eher den Ruf eines marktforscherischen "Nischenprodukts". Wie verorten Sie Eye-Tracking, Tachistoskop und Co. im Methodenmix?
Beate von Keitz: Ich persönlich bin ein absoluter Fan des Interviews – mir ist aber auch sehr bewusst, dass man viele Dinge nicht abfragen kann. Das heißt: man kann natürlich immer fragen, und man bekommt auch meist Antworten. Aber diese Antworten können schlichtweg falsch sein. Immer wenn es um Fragen der Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Zuwendung geht, sind die apparativen Verfahren meilenweit überlegen.
Sie reichern das Interview in seiner Aussagefähigkeit deutlich an. Sie machen zum Beispiel die Bewertung von Werbemitteln sicherer, indem sie weitere Indikatoren der Werbewirkung in den Test integrieren: Aufmerksamkeit, Zuwendung, emotionale Reaktionen. Und sie sind absolut nützlich, wenn es um die Diagnostik und um die Optimierung geht. Können die Benefits nicht überzeugen, weil sie in der Werbung gar nicht beachtet werden oder weil sich die Verbraucher nicht intensiv genug damit beschäftigen oder weil sie sie nicht verstehen oder weil die Argumente nicht glaubwürdig wirken? Die Kombination "Interview + apparativ" bringt nach unserer Erfahrung einen signifikanten Mehrwert, weil die Evaluation und die Diagnostik viel präziser werden. Unsere Verortung der Methoden im täglichen Einsatz:
- Eye Trackings: Tests für visuelle Kommunikation (Print, Digital), Packungen, POS
- Aktivierungs-Tests über elektrodermale Reaktionen: Werbung, speziell TV-Spots, Visuals, Claims
- Tachistoskop-Tests: Plakat, Erscheinungsbilder, Packungen – gern auch in Kombination mit einem Eye Tracking
"Apparativ" bedeutet aber immer auch einen Mehraufwand. Es sind Geräte nötig, es geht um Investitionen und um Organisation, man braucht qualifizierte Manpower, und man hat oft auch mit technischen Störungen zu kämpfen. Kein Wunder, dass es viele Forscher vorziehen, sich auf Interviews zu beschränken. Der Einsatz von apparativen Verfahren ist anspruchsvoll, und man bewegt sich als apparativer Forscher im Institut nicht immer in der Komfortzone, gerade wenn man es gut machen möchte. Insofern sind die apparativen Verfahren vielleicht ein Nischenprodukt, aber ihr Einsatz steigt doch kontinuierlich an.
Warum Digitalisierung und Big Data eine Chance sein kann
marktforschung.de: Was ist für die Aussagekraft apparativer Methoden wichtig?
Beate von Keitz: Extrem wichtig ist der Test mit Umfeldern. Wenn man ohne Umfeld testet, dann verändert das die Ergebnisse. Verbraucher nehmen Kommunikation ja immer auch in einem Umfeld wahr. Wichtig ist etwas, was ich als "strukturell realistisches Setting" bezeichne. Ein Beispiel dazu: Eye-Trackings am Regal sind eine spannende Sache, um die Suchprozesse der Verbraucher aufzuzeigen. Nun möchte ich vielleicht auch wissen, was den Verbrauchern dabei durch den Kopf geht. Wenn ich die Probanden nun auffordere, parallel zur Suche ihre Gedanken zu verbalisieren, dann verändere ich damit gleichzeitig den Ablauf des Suchprozesses. Menschen sprechen langsamer als sie gucken; mit dem Sprechen wird der Wahrnehmungsprozess verlangsamt und verändert. Das Eye-Tracking zeigt dann also nicht mehr den natürlichen Wahrnehmungsprozess. Solche Dinge muss man wissen, um zu validen Ergebnissen zu kommen. Auch Tests in den "falschen" Medien, zum Beispiel der Printtest auf dem Bildschirm, sollte man immer hinterfragen. Und eine solide Stichprobe ist natürlich ein Must.
Wir sind sehr froh, dass sich bei unserer Methodik immer wieder positive Korrelationen zwischen den apparativen Ergebnissen und den Reaktionen im Markt zeigen – bis hin zu hohen Korrelationen mit den Absatzzahlen.
marktforschung.de: Die fortschreitende Digitalisierung bringt nicht nur eine schier unfassbare Menge an Daten hervor, sondern auch Produkte wie Wearables, denen man eine hohe Bedeutung im Hinblick auf die zukünftige Gewinnung von Informationen attestieren kann. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Beate von Keitz: Wenn man mit apparativen Verfahren arbeitet, dann ist man es gewohnt, dass man mit hohen Datenmengen und mit ständig neuen Technologien umgehen muss und umgehen darf. Auch hier gilt wie bei Big Data sonst auch: Es sind intelligente Lösungen und kluge Köpfe gefragt, um aus Daten Erkenntnisse und Learnings zu machen.
Das Interview führte Claas Lübbert.
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