Wahlforschung Warum schneidet die AfD in Umfragen aktuell so gut ab?

Die Umfragewerte der AfD gehen steil nach oben. Aber warum genau, dürfte selbst nicht jedem Kopf unter der Mitgliedsmütze klar sein (Bild: picture alliance/dpa | Sebastian Willnow).
In der Wahlumfrage zur Bundestagswahl des Marktforschungsinstituts YouGov vom 4. August ist die AfD mit 23 Prozent die zweitstärkste Partei nach CDU/CSU und SPD. Forsa, Infratest dimap und INSA sehen die AfD aktuell mit 21 Prozent nur leicht niedriger. Damit setzt sich ein bereits länger bestehender Trend weiter fort. Die Umfragewerte für die rechtsextreme Partei steigen seit Ende April kontinuierlich an. Wie kann das sein in einem Land wie Deutschland, das katastrophale Erfahrungen mit Rechtsextremismus in seiner Vergangenheit gemacht hat?

Der Verlauf der Sonntagsfragen verschiedener Institute seit Anfang Januar 2023 aus dem pollytix Wahltrend. Deutlich erkennbar: Ab Mitte April steigen die Werte der AfD deutlich. (Quelle: pollytix Wahltrend)
Das Wiedererstarken der Rechten - ein europaweites Phänomen
Rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien befinden sich in Europa im Höhenflug. Nicht nur in Deutschland, auch in Italien, Frankreich, Schweden oder Finnland können Parteien mit rechtspopulistischen Inhalten punkten. Eine wesentliche Ursache für den Erfolg der AfD ist laut Friedrich-Ebert-Stiftung der Fakt, dass ihre politischen Positionen inhaltlich auf Resonanz stoßen. Die „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung zeige, dass rechtspopulistische Einstellungen von 13,5 Prozent der Bevölkerung explizit vertreten werden, weitere 33,3 Prozent seien latent rechtspopulistisch. Konkret gehe es um Demokratiemisstrauen, um Law-and-Order-Autoritarismus und die Abwertung von als fremd markierten Gruppen, insbesondere Einwanderinnen und Einwanderern, Asylsuchenden, Musliminnen und Muslimen und LGBTIQ*.
Soziale Ungleichheit nimmt zu
Die multiplen Krisen der jüngsten Zeit, sei es die Pandemie, der Krieg in der Ukraine oder zuletzt die Energiekrise und Inflation, haben die soziale Ungleichheit auch in Deutschland verstärkt, analysiert die Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève in der Frankfurter Rundschau. Das führe zu Unsicherheit und Unzufriedenheit, die wiederum zur Grundlage antidemokratischer Tendenzen werden. Hinzu komme die derzeitige Wortwahl der Politiker. Es fallen Begriffe wie Veränderung, (Zeiten-)Wende und Transformation. Viele deuten diese Worte als kaschierende Synonyme für drohende Verschlechterungen ihrer Lebenssituation.
Protest gegen Arbeit der Regierungskoalition
In ihrem ARD-Sommerinterview hat SPD-Vorsitzende Saskia Esken eingestanden, dass die Politik der Ampelregierung zum Erstarken der AfD beigetragen habe. Sie kam vor allem auf das Heizungsgesetz zu sprechen, bei dem die Ampel den Menschen „sehr nahe“ getreten sei. Das sieht auch Stephan Grünewald so, Gründer des rheingold Instituts. Vor Kurzem hat sein Institut im Auftrag der Identity Foundation, einer gemeinnützigen Stiftung für Philosophie aus Düsseldorf, die Studie „Deutschland auf der Flucht vor der Wirklichkeit“ durchgeführt. Die Studie habe gezeigt, dass die Menschen in eine Art Passivität verfallen und sich zurückziehen. „Nun hoffen sie auf eine erlösende Macht, die alles wieder zurechtrückt“, so Grünewald. „Und hier kommen wir zum Erstarken der AfD in der Politik. Sie stellte für einen Teil der Menschen in Deutschland eine solche erlösende Macht dar, die die Sachen wieder geradebiegt.“
Die zentrale Angst der Befragten ist der Verlust der eigenen Autonomie. Und hier habe die Regierung mit ihrer Heizungspolitik noch einmal Wasser auf die Mühlen geschüttet, so Grünewald. „Die Heizung ist der persönliche Klimawandler. Mit dem Heizungsgesetz und den damit verbundenen Kosten sehen die Menschen ihre eigene Autonomie bedroht. Daher wenden sie sich ab."
Überschätzt das Insa-Institut kontinuierlich die AfD?
Eine gänzlich andere Vermutung zum Höhenflug stellt die Autorin Vanessa Magri in ihrem Blog-Beitrag „INSA: Warum schneidet die AfD in Online-Umfragen so gut ab?“ vom Anfang August an.
In Onlineumfragen schneidet die AfD jedoch im Vergleich zu anderen Erhebungsmethoden besonders gut ab,
behauptet die Autorin und fügt als Beleg eine Tabelle an, die die AfD-Umfragewerte vor den letzten drei Bundestagswahlen darstellt.

Screenshot aus dem Artikel von Vanessa Magri vom 1. August 2023.
Sowohl 2013 und 2017 weist das Erfurter Institut INSA mit fünf Prozent und 13 Prozent jeweils den höchsten Vorwahl-Wert für die AfD aus (der tatsächliche Wert bei den beiden Wahlen lag 2013 bei 4,7 Prozent und 2017 bei 12,6 Prozent).
Im Vergleich zu anderen Instituten ist es zwar so, dass INSA höhere Werte für die AfD auswies, aber eben auch Werte, die dem Wahlausgang am nächsten kamen.
2021 liegt der Fall etwas anders: Laut Magri sagten sowohl YouGov als auch INSA zwölf Prozent für die AfD vorher. 10,3 Prozent erzielte die AfD am Wahlsonntag. Tatsächlich prognostizierte das INSA-Institut (nachzulesen auf Wahlrecht.de vom 20.9.2021 und in unserer eigenen Nachwahlanalyse) in ihrer letzten Umfrage vor der Bundestagswahl aber elf Prozent für die AfD (und nicht wie in der Tabelle fälschlicherweise ausgewiesen zwölf Prozent). Damit war das INSA-Institut in guter Gesellschaft mit Infratest Dimap, GMS, Ipsos und Kantar (Emnid), die allesamt in ihrer letzten Umfrage die AfD bei 11 Prozent sahen.
Auch wenn die vermeintliche Nähe des INSA-Instituts und ihres Chefs - der ehemalige CDU-Staatssekretär Hermann Binkert - zur AfD in verschiedenen Medien ausführlich beschrieben wurde, so kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die obige Vermutung von Magri sich zumindest nicht mit der von ihr dargestellten Tabelle belegen lässt.
Hat der Höhenflug der AfD etwas mit der Erhebungsmethode zu tun?
Offen bleibt die Frage, ob der aktuelle Höhenflug der AfD zumindest teilweise durch die Erhebungsmethode erklärt werden kann. Um diese Frage zu analysieren, hat das Berliner Institut pollytix für marktforschung.de die letzten 168 Sonntagsfragen seit dem 1. Januar 2023 ausgewertet. Die folgenden Institute sind dabei in die Analyse mit eingegangen: Allensbach, Kantar, Forsa, FGW, GMS, Infratest dimap, INSA und YouGov. Die Daten von Civey wurden hier bewusst außen vorgelassen, da die Werte fortlaufend erhoben werden.
Folgende Hypothesen wurden dabei analysiert:
- Die AfD-Werte sind bei Sonntagsfragen, die online (YouGov, INSA) durchgeführt werden, im Mittel höher als bei Sonntagsfragen, die mit anderen Methoden erhoben werden.
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Die AfD-Werte sind bei Sonntagsfragen, die vom INSA-Institut durchgeführt werden, im Mittel höher als bei Sonntagsfragen, die von anderen Instituten erhoben werden.

Darstellung der Mittelwerte der AfD bei den 168 in Deutschland veröffentlichten Sonntagsfragen seit dem 1. Januar 2023 (Grafik: marktforschung.de, Analyse von pollytix)
Bei der Analyse wird deutlich, dass die AfD bei Online-Befragungen im Durchschnitt auf 17,5 Prozent kommt, ihr höchster Umfragewert stammt aus der letzten YouGov Umfrage am 4. August 2023 mit 23 Prozent. Bei Hybrid- Befragungen (Telefon & Online) kommt die AfD im Durchschnitt auf 16,93 Prozent (hier macht es, so pollytix, aber keinen großen Unterschied, ob man die hybriden INSA-Stichproben mit einberechnet oder nicht).
F2F | Telefon | Hybrid | Online | Alle, außer INSA | INSA gesamt | |
Mittelwert AfD | 15,57% | 16% | 16,93% | 17,50% | 16,23% | 17,19% |
Maxwert AfD | 18% | 21% | 21,5% | 23% | 23% | 22% |
Standardabweichung | 0,0140 | 0,0239 | 0,0232 | 0,0230 | 0,0242 | 0,0226 |
Oberes Konfidenz-Intervall | 16,36% | 16,12% | 17,14% | 17,73% | 16,32% | 17,33% |
Unteres Konfidenz-Intervall | 14,79% | 15,88% | 16,73% | 17,27% | 16,15% | 17,04% |
Anzahl Umfragen | 7 | 77 | 45 | 39 | 107 | 61 |
Streng genommen bedeutet das Nicht-Überlappen der Konfidenzintervalle der verschiedenen Methoden, dass sich die Werte für reine Online- und Offline-Methoden statistisch signifikant voneinander unterscheiden. Dennoch trägt Lutz Ickstadt von pollytix aufgrund der berechneten Konfidenzintervalle die Aussage nicht mit, dass die AfD-Werte durch die Erhebungsmethode beeinflusst werden, da die Werte nicht ohne weiteres vergleichbar sind und auch von der jeweiligen Stichprobengröße beeinflusst werden.
Die höchsten Werte stammen tatsächlich von Online-Befragungen, die allerdings sowohl von YouGov als auch vom INSA-Institut stammen. Beachtet man allerdings, dass INSA mit Online-Erhebungen sowohl 2013 und 2017 die beste Schätzung für das AfD-Ergebnis hatte, so kann an der Stelle vermutet werden, dass niedrigere AfD-Werte nicht per se auch näher am „wahren Wert“ sind. Die geringsten Werte für die AfD weisen F2F-Erhebungen aus, gefolgt von Telefon-Erhebungen.
Was bedeutet der Unterschied?
Eine naheliegende Erklärung für die höheren Online-Werte, so Lutz Ickstadt, könnte sein, dass Online-Befragungen in der Regel einen zeitlichen Vorsprung haben. „Wir sehen, dass mit etwas zeitlichem Abstand die Telefon-Befragungen in der Regel auch höhere AfD-Werte publizieren“, so Ickstadt.
Ob dies an der Methode, dem Feldstart oder an den Instituten und ihren Gewichtungsverfahren liegt, lässt sich allerdings anhand der hier analysierten Daten nicht abschließend bewerten.
Es stellt sich, so Ickstadt weiter, die Frage, ob der gefundene Unterschied zwischen den Methoden tatsächlich so relevant ist, da der Unterschied mit maximal einem Prozentpunkt Unterschied recht klein ist.
Höhenflug im Bund, aber was passiert mit der AfD in Hessen und Bayern?
Auch wenn es in den analysierten Sonntagsfragen Hinweise darauf gibt, dass die AfD in Online-Befragungen etwas höhere Werte bei der Sonntagsfrage erzielt, scheint der Effekt, so das Urteil des Experten, doch gering zu sein. Und wenn, dann scheinen in der Regel die anderen Erhebungsverfahren mit etwas zeitlicher Verzögerung nachzuziehen. Der Vorwurf, dass das Erfurter Insa-Institut die Werte der AfD vor den letzten drei Bundestagswahlen bewußt hochgerechnet hätte, lässt sich bei genauerem Hinschauen nicht bestätigen. An der Umfrageforschung scheint der Höhenflug der AfD zumindest nicht zu liegen.
Bleiben letztlich doch nur die Erklärungsversuche von Experten wie Grünewald, Esken und de Nève.
Bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen am 8. Oktober, also in weniger als zwei Monaten, wird sich zeigen, ob die hohen Werte in den Sonntagsfragen nur Denkzettel der Bürger für die Ampelkoalition sind. In Hessen liegt die AfD aktuell bei 13 Prozent in den Umfragen. Das wäre fast exakt das Ergebnis der Landtagswahl 2018. In Bayern scheint die AfD dagegen etwas zuzulegen (13 Prozent in der Sonntagsfrage, 10,2 Prozent bei der Landtagswahl 2018).
Zur Erinnerung: Die nächste Bundestagswahl findet voraussichtlich im Herbst 2025 statt.
Über die Personen
Weitere Informationen zum Unternehmen auf marktforschung.de:

YouGov Deutschland GmbH

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