Interview mit Dr. Ralph Wirth und Dr. Stefanie Huber Warum Diversity und Fehlerkultur unverzichtbar sind

Dr. Ralph Wirth leitet als Global Head, Science & Technology, die neue Einheit SUPERCRUNCH der GfK. Im Interview mit ihm und Dr. Stefanie Huber, Director Technical Product Development, geht es um den Ansatz dieser neuen Einheit und die Frage wie agil Marktforschung heute sein sollte.

Ralph Wirth, Stefanie Huber von Supercrunch

Dr. Ralph Wirth und Dr. Stefanie Huber (Bild: GfK)

marktforschung.de: GfK hat sich schon seit geraumer Zeit mit Big Data und neuen Analysemethoden auseinandergesetzt, was gab nun den Ausschlag für die Gründung einer eigenen Einheit?

Ralph Wirth: Das ist wahr: Wir haben bei GfK weltweit ein Netzwerk an Marketing und Data Scientists sowie IT-Experten. Es gibt im Unternehmen auch weiterhin viele Stellen und Projekte, an denen diese Expertise einfließt. Mit SUPERCRUNCH wollen wir nun einen Schritt weitergehen und auch außerhalb unseres klassischen Marktforschungs-Portfolios als Anbieter datenbezogener Dienstleistungen und Lösungen agieren. Unser Leistungsportfolio geht von der Definition der Use Cases im Rahmen von Design Thinking Workshops über die Entwicklung von Prototypen bis hin zur Implementierung analytischer Lösungen beim Kunden. Die Idee ist immer, Marketing-Entscheidungen durch analytische Lösungen schneller und besser zu machen. GfK-Daten können dabei eine Rolle spielen, müssen es aber nicht. Letztlich steht die Kundenfragestellung im Zentrum. Erst danach prüfen wir, welche Daten dafür notwendig und nützlich sind. Das kann gut und gerne auch nur ein Mix aus der Datenlandschaft unserer Kunden und offenen Daten sein. Da wir hier also durchaus ein neues Feld betreten, lag es auf der Hand, dies auch unter einer neuen Marke zu tun. 

marktforschung.de: Inwiefern war es GfK wichtig, durch das Gründen einer eigenen Einheit nicht den direkten Bezug zur klassischen Marktforschung herzustellen bzw. einen Abstand zur klassischen Marktforschung? Spielte hier etwa eine Rolle, im Umfeld von Big-Data-Unternehmen bestehen zu können? 

Ralph Wirth: Zunächst einmal wollen wir uns auf keinen Fall von Marktforschung und insbesondere GfK distanzieren. Ganz im Gegenteil: Wir sind stolz auf die Erfahrung und das Vertrauen, das Unternehmen in Bezug auf Datenschutz in GfK setzen. Deshalb sind wir ja auch SUPERCRUNCH by GfK, wir verstecken unsere Herkunft also nicht. Es ist aber natürlich so, dass GfK noch nicht unbedingt als Data-Science-Dienstleister gesehen wird. Fakt ist auch, dass Big-Data-Unternehmen jeglicher Art – vom großen IT-Unternehmen bis hin zum kleinen Startup – sehr aktiv in diesem Feld sind. Mit SUPERCRUNCH haben wir nun einen Bereich etabliert, der weltweit Data-Science-, IT- und Beratungstalente anzieht. Die globale GfK-Datenlandschaft in unserem Rücken zu haben, ist natürlich auch kein Nachteil. 

marktforschung.de: Wie gestalteten sich bisher die ersten Gespräche? Wo sehen Sie den Bedarf für das Angebot von Supercrunch?

Ralph Wirth: Aktuell, also kurz nach unserem Launch, haben wir bereits sehr gute Gespräche geführt. Manche Kunden haben bereits sehr klare analytische Use Cases im Kopf und fragen uns, wann wir dafür eine automatisierte Lösung anbieten können. Sehr viele andere sind ganz am Anfang der Reise und wollen unsere Unterstützung bei der Beantwortung der allgegenwärtigen Frage: „Ich sammle so viele Daten, von vielen weiß ich nicht einmal, dass sie existieren – was soll ich denn nun damit machen, und wie kann ich die Big-Data-Herausforderung richtig angehen?“

marktforschung.de: Können Sie Unterschiede ausmachen bei der Bereitschaft mit neuen Ansätzen umzugehen zwischen kleineren Unternehmen und Konzernen?

Ralph Wirth: Ich denke, da kann man nicht klar zwischen kleinen und großen Unternehmen trennen: Wenn Kunden erst einmal Unterstützung dabei brauchen, KPI-Systeme aufzubauen und deskriptiv auszuwerten, dann macht es keinen Sinn, in einem nächsten Schritt gleich über Predictive Modeling nachzudenken. Wenn hingegen bereits seit Jahren an Prognosemodellen gearbeitet wird, besteht unsere Aufgabe eher darin, gemeinsam Potenziale für präskriptive oder sogar vollautomatisch agierende Analysen zu bewerten. Hier gibt es kein gut oder schlecht, sondern nur die passende Lösung für das jeweilige Kundenbedürfnis.

marktforschung.de: Welche Bedeutung spielt die interdisziplinäre Zusammensetzung der Teams?

Ralph Wirth: Wir möchten, dass die Komplexität unserer Lösungen im Backend beim Nutzer nicht ankommt. Jede Lösung muss intuitiv und einfach zu bedienen sein und vom Nutzer gerne verwendet werden. 

Stefanie Huber: Eben weil es dieses Spannungsfeld gibt, investieren wir viel Zeit und Energie, um das genaue Nutzerbedürfnis oder Problem wirklich zu verstehen. In der Regel folgen wir dabei einem auf unsere spezielle Situation angepassten Design-Thinking-Prozess. Das Nutzerproblem wird dann von einem crossfunktionalen Team aus Data Scientists, Big Data Engineers, Beratern, Produktmanagern, UX-Designern und Entwicklern in eine technische Lösung übersetzt. Über diese fachlichen Grenzen hinweg an derselben Problemstellung beziehungsweise Lösung zu arbeiten, dabei zu berücksichtigen, dass sich Nutzerbedürfnisse und Projektparameter auch während des Entwicklungszeitraums ändern können und gleichzeitig eine gemeinsame Sprache zu finden, ist natürlich eine Herausforderung. Genau dafür gibt es aber zum Glück viele Konzepte aus der agilen Toolbox. 

Die crossfunktionalen Teams sind fest bestimmten Entwicklungsprojekten zugeordnet, damit klar ist, wer für das Produkt verantwortlich ist und ein Teamgefühl mit einem gemeinsamen Ziel entstehen kann. Wenn dann innerhalb eines Produktes klar wird, dass zum Beispiel ein Clusteralgorithmus benötigt wird, mit dem jemand in einem anderen Produktteam schon gearbeitet hat, dann wird das Wissen transferiert, anstatt die Experten auszutauschen. Diese Art des agilen Arbeitens bedeutet, dass wir flexible, lernfähige und kommunikative Spezialisten brauchen. 

marktforschung.de: Was verbinden Sie mit dem Begriff agiles Projektmanagement? Warum hat es aus Ihrer Sicht etwas länger gedauert bis sich diese Art des Vorgehens auch in der Marktforschungsbranche etablieren konnte?

Stefanie Huber: Agiles Projektmanagement stellt den Nutzer beziehungsweise Kunden ins Zentrum aller Entscheidungen, fokussiert sich auf crossfunktionale Teams und ermöglicht über kurze Entwicklungszyklen schnelle Reaktionen auf Änderungen von Kundenbedürfnissen und Projektparametern. Auch Missstände im Entwicklungsprozess und inhaltliche Herausforderungen werden so sehr schnell aufgedeckt. 

Ralph Wirth: Was die Adaption in der Marktforschung angeht, bin ich mir gar nicht sicher, ob die Branche da so sehr hinterher hinkt. In den Bereichen, in denen agiles Projektmanagement traditionell zu Hause ist – also zum Beispiel Softwareentwicklung – wird zumindest bei GfK bereits seit längerem primär agil gearbeitet. Gleichzeitig gibt es eben auch Arten von Projekten, die über klassische Projektmanagementtechniken, also über die Wasserfallmethode mit intensiver Vorabplanung, sehr gut gesteuert werden können. Agiles Projektmanagement ist ja kein Selbstzweck. Man muss immer beurteilen, welche Technik für welche Art von Projekten am besten geeignet ist. 

marktforschung.de: Was können agile Einheiten wie Supercrunch von Unternehmen des Silicon Valley lernen?

Stefanie Huber: Diversity: Jeder darf mitmachen und ist gleich viel wert. Das gilt einerseits für Herkunft und Geschlecht, anderseits aber auch für die fachliche Disziplin. Wir arbeiten abteilungsübergreifend im Produktteam an Problemen. Inputs und Bedenken von Entwicklern gelten gleich viel wie die unserer Business-Experten.

Außerdem ist die Fehlerkultur sicher noch ein Thema, bei dem europäische Unternehmen lernen können. Man sollte es sportlich sehen, wenn die eigenen Ideen zu Grabe getragen werden. Sei es, weil sie sich nicht umsetzen lassen oder weil sich Kundenbedürfnisse ändern. Das heißt nicht, dass wir munter jahrelang entwickeln müssen, um dann am Ende herauszufinden, dass alles umsonst war. Die Devise sollte heißen: Fail, but fail quickly. 

Ralph Wirth: Das kann ich hundertprozentig unterschreiben. Bei SUPERCRUNCH definieren wir diese Punkte von Anfang an als zentralen Teil unserer Kultur. Diversity wird uns keiner absprechen, der jemals unser Team kennengelernt hat. Und was das schnelle Scheitern angeht, hilft uns übrigens auch wieder der agile Ansatz des Projektmanagements.

marktforschung.de: Wenn Sie einen Ausblick wagen, wo sehen Sie sich und Ihr Team  in fünf Jahren?

Ralph Wirth: Unser Ziel ist es natürlich einerseits erfolgreich ein breites Portfolio an Lösungen entwickelt zu haben. Andererseits schließen wir intern Wetten ab, wie international unser Team in ein paar Jahren sein wird. Aktuell vereinen wir bereits Kollegen aus 15 verschiedenen Ländern

marktforschung.de: Eine persönliche Frage zum Schluss: Wie digital-affin sind Sie privat? Verwenden Sie etwa digitale Sprachassistenten oder Video-Streaming-Angebote oder könnten Sie sich vorstellen, das Autofahren zukünftig einem Autopiloten zu überlassen?  

Ralph Wirth: Ich bin schon ziemlich digital unterwegs, wenn auch kein absoluter Early Adopter. Ich habe beispielsweise lange an physischen Tonträgern und Büchern festgehalten. Wenn der Vorteil eines digitalen Services aber nicht von der Hand zu weisen ist, dann bin ich früher oder später auch begeisterter Nutzer. Kindle, Spotify & Co gehören bei mir also auch zum Alltag dazu. Mit autonomen Autos habe ich noch so meine Probleme, da ist das Vertrauen noch nicht groß genug. Aber auch das wird sich früher oder später ändern, denke ich. 

Stefanie Huber: Ein Leben ohne Netflix, Spotify oder das Internet ist für mich schwer vorstellbar. Ich lese aber auch gerne eine Zeitung oder ein schönes Magazin. Auf den Autopiloten freue ich mich und hoffe, dass das nicht zu noch mehr Verkehr führen wird. In ein paar Jahren werden wir staunend zurückblicken, dass wir jemals so fahrlässig sein konnten, Menschen fahren zu lassen. 

 

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