Kolumne von Prof. Dr. Dirk Lippold Warum der Sales Funnel ausgedient hat

Die ganze – naja die halbe – Verkaufswelt spricht vom Sales Funnel. Und natürlich die anglo-amerikanische Sales Community. Sie hat ja schließlich diesen Begriff erfunden beziehungsweise eingeführt. Unser Kolumnist Prof. Lippold will kein ewiger Nörgler oder gar Besserwisser sein, aber diese Bezeichnung trifft das wahre Vertriebsgeschehen aus seiner Sicht nun wirklich nicht. Warum?

Was oben in einen Trichter reingefüllt wird, kommt unten wieder raus. So aber nicht beim Sales Funnel, der laut Prof. Lippold eigentlich gar nicht existiert. (Bild: picture alliance / Newscom | Rafael Ben-Ari/ Chameleons Eye)

Sales Funnel bedeutet übersetzt „Vertriebstrichter“. Und bei einem Trichter kommt alles, was man oben in ihn hineingegeben hat, auch unten wieder heraus. Und danach müssten alle Kontakte, die man in den Trichter hineingibt, auch bis zum „bitteren Ende“ verfolgt werden. Das ist beim Akqui-sitionsprozess aber ganz anders, denn auf jeder Kontaktstufe werden Kontakte (engl. Leads), die nicht weiterverfolgt werden sollen, herausgefiltert. Daher ist „Vertriebsfilter“ (und nicht Vertriebstrichter) die einzig richtige Bezeichnung. 

Diese Überlegung ist deshalb so wichtig, weil der Vertriebsbereich bzw. die Akquisition wohl das  teuerste Handlungsfeld im B2B-Bereich überhaupt ist.

Und die teuerste Aktion innerhalb des gesamten Vertriebsbereichs wiederum heißt „Luftnummern verfolgen“. Somit ist ganz entscheidend, dass die „Luftnummern“ – also die Kontakte ohne seriösen Hintergrund – sehr frühzeitig herausgefiltert werden, da sonst die teuren vertrieblichen Ressourcen unnötig vergeudet werden. Und zur Sichtbarmachung solcher Luftnummern dient der Vertriebsfilter mit seinen Eskalationsstufen. Die grundsätzliche Systematik bietet dazu die Darstellung als Vertriebstrichter, pardon als Vertriebsfilter. 

Abb. 1: Beispiel für einen Vertriebsfilter im B2B-Bereich 

In Abbildung 1 ist dieser Vertriebsfilter auf der Grundlage von sieben Kontaktstufen beispielhaft dargestellt. Während in Stufe 1 sämtliche Kontakte als Leads des Unternehmens erfasst sind, verdünnt sich der Filter stufenweise bis zur Stufe 7, in der nur noch jene Kontakte enthalten sind, die eine hohe Auftragswahrscheinlichkeit haben und bei denen die Akquisition prinzipiell abgeschlossen ist. 

Eingebettet ist der Vertriebsfilter in den Sales Cycle (Akquisitionszyklus). Der Sales Cycle befasst sich mit den vertrieblichen Aktivitäten innerhalb eines Zeitraumes, der sich vom Erstkontakt mit einem Interessenten beziehungsweise Kunden bis zum Auftragseingang oder der Ablehnung eines Angebotes erstreckt. Besonderes Merkmal von stark erklärungs- und unterstützungsbedürftigen Produkten und Leistungen ist ein relativ langer Akquisitionszyklus. Neben Entscheidungstragweite und Risiko dürfte die Länge des Akquisitionszyklus von der Anzahl der am Entscheidungsprozess beteiligten Personen (beziehungsweise von der Größe des Buying Centers) abhängen.

Im Geschäftskundenbereich und bei Systemprodukten kann der Sales Cycle durchaus mehrere Monate oder auch ein Jahr dauern. Die beiden Prozesse, die den Akquisitionszyklus bestimmen, sind der Leadmanagement-Prozess sowie der eigentliche Akquisitionsprozess, wobei die Grenze zwischen dem Leadmanagement und den nachfolgenden Sales-Prozessen, die zuweilen auch als Opportunity Management bezeichnet werden, nicht klar zu ziehen ist.  

Abbildung 2 gibt einen Überblick über die verschiedenen Begrifflichkeiten und Prozesse im Vertriebsmanagement. 

Abb. 2: Begrifflichkeiten und Prozesse im Vertriebsbereich 

Der Vertriebstrichter und das damit verbundene Pipeline Management ist Teil des Leadmanagement-Prozesses. Das Leadmanagement befasst sich mit der Generierung, Qualifizierung und Priorisierung von potenziellen Kunden mit dem Ziel, dem Sales werthaltige Kontakte bereitzustellen. 

Zu guter Letzt stellt sich für die Marktforschung die Frage, an welcher Stelle des Vertriebsfilters ihre Leistung besonders gefragt ist. Entsprechend dem Grundsatz, dass die Marktforschung vor („ex ante“) und nach (ex post“) den Marketingentscheidungsprozessen zum Einsatz kommt, ist zum einen eine Aktivierung in der ersten Phase, also bei der Gewinnung von Leads anzustreben. Hierbei geht es um die Segmentierung des Marktes mit der Festlegung des Marktausschnittes, der Zielgruppen und der Zielpersonen. Auf der anderen Seite ist eine Aktivierung der Marktforschung zum Schluss des Sales Cycles, also in der Phase der Betreuung zu sehen. Hierbei kann es beispielsweise um die Durchführung einer Kundenzufriedenheitsanalyse gehen. 

Quellen (mit weiteren Literaturhinweisen): 
D. Lippold: B2B-Marketing und -Vertrieb. Die Vermarktung erklärungsbedürftiger Produkte und Leistungen, Berlin/Boston 2021 
D. Lippold: Die Marketing-Gleichung. Einführung in das Prozess- und wertorientierte Marketingmanagement, 2. Aufl. Berlin/Boston 2015 

 

Über die Person

Prof. Dr. Dirk Lippold ist Dozent an verschiedenen Hochschulen. Seine Lehrtätigkeit umfasst die Gebiete Unternehmensführung, Marketing & Kommunikation, Personal & Organisation, Technologie- und Innovationsmanagement sowie Consulting & Change Management. Zuvor war er viele Jahre in der Software- und Beratungsbranche tätig – zuletzt als Geschäftsführer einer großen internationalen Unternehmensberatung. Auf seinem Blog www.dialog-lippold.de schreibt er über aktuelle betriebswirtschaftliche Themen.

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  1. Jan Strasser am 11.04.2023
    "Was man oben einfüllt, kommt unten auch wieder heraus" – so wurde der Sales Funnel noch nie verstanden: Es ging beim SF schon immer um die Idee, dass Kontakte im Laufe des Journeys "herausfallen" oder "weggefiltert" werden.
    Der reißerische Titel "Warum der Sales Funnel ausgedient hat" ist daher irreführend. Letztlich bringt dieser Artikel ja nur eine terminologische Argumentation: "Filter" statt "Trichter". Klar: Das Ende des SF zu propagieren sichert dem Artikel Aufmerksamkeit. Ich finde aber, dass sich Marktforschung um Seriosität bemühen und darauf verzichten sollte, Clickbaiting zu betreiben.

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