Meinungsbeitrag von Dr. Peter Matuschek, Geschäftsführer forsa Wahlforschung in Zeiten wie diesen

Ist der Vergleich von Vorwahlumfragen mit dem Wahlausgang sinnvoll, um die Güte der Umfragen zu bewerten? Dr. Peter Matuschek, Geschäftsführer von forsa, kritisiert in seinem Beitrag die zunehmende Praxis von Medien anhand von Kennzahlen wie der Summe der quadrierten Abweichungen ein Ranking der Institute vorzunehmen.

Wahlurne (Bild: picture alliance/dpa | Marius Becker)

Viel wichtiger als der Vergleich der unmittelbar vor dem Wahltag gemessenen Stimmungen mit dem Wahlergebnis ist die richtige Wiedergabe der Entwicklung von Stimmungen im Verlaufe eines Wahlkampfes. (Bild: picture alliance/dpa | Marius Becker)

Nach einer Wahl versuchen viele Medien, die Qualität von Wahlforschungsinstituten anhand von Rankings zu bewerten. Hierbei werden die jeweils letzten Vorwahlumfragen der Institute mit dem vorläufigen amtlichen Wahlergebnis verglichen. Die Summe der Abweichungen dient dann als angeblicher „Qualitätsindikator“, um die Güte von fälschlich als „Prognosen“ bezeichneten Umfragen kurz vor der Wahl zu bewerten. Dieses Vorgehen ist jedoch aus zwei Gründen kaum aussagekräftig.  

Vorwahlumfragen sind keine „Prognosen“ 

Erstens: Es ist nicht in erster Linie die Hauptaufgabe seriöser Wahlforschung, wenige Tage vor dem Wahltermin eine „Prognose“ über den Wahlausgang zu stellen. Seriöse Wahlforscher liefern vielmehr auch abseits von Wahlterminen für die Öffentlichkeit und die politischen Akteure zu jedem Zeitpunkt verlässliche Daten über den Stand der Entscheidungsprozesse der Wahlbürger. Sie weisen zudem auch immer darauf hin, dass vor einer Wahl ermittelte Stimmungen nicht mit den Stimmen am Wahltag identisch sein müssen. Als „Prognose“ können nur die um 18 Uhr am Wahlabend verkündeten Ergebnisse der Befragungen von Wählern am Wahltag – ohne die durch die Nichtwähler in Vorwahlbefragungen bedingten Unschärfen – bezeichnet werden. Und dabei handelt es sich nicht nur um ein begriffliches Problem. 

Zweitens: Viel wichtiger als der Vergleich der unmittelbar vor dem Wahltag gemessenen Stimmungen mit dem Wahlergebnis ist die richtige Wiedergabe der Entwicklung von Stimmungen im Verlaufe eines Wahlkampfes. Verlässliche Informationen über die Konstellationen im Vorfeld der Wahl haben die seriösen Wahlforscher so auch bei den letzten Wahlen regelmäßig geliefert. Die Konturen der späteren Wahlergebnisse wurden dadurch für die Öffentlichkeit frühzeitig sichtbar gemacht. 

Seriöse Wahlforschung zeichnet die Entscheidungsprozesse der Wahlbürger präzise nach 

So hatte sich im Saarland schon früh ein klarer Vorsprung der SPD vor der CDU abgezeichnet. Infratest-dimap wies schon im November letzten Jahres diesen klaren Vorsprung der SPD vor der CDU bei der Wahlabsicht und einen entsprechenden Vorsprung von Anke Rehlinger vor Tobias Hans bei der Ministerpräsidentenpräferenz aus. Am 16. Februar – also 5 Wochen vor der Wahl – betrug der Vorsprung der SPD vor der CDU schon 9 Prozentpunkte. Diese Dominanz der SPD wurde dann auch von der Forschungsgruppe Wahlen bestätigt.  

Ähnlich war es in Schleswig-Holstein: Hier lag die CDU schon im Januar laut Infratest-dimap 5, dann Mitte März 13, Ende März 16 und am 21. April 18 Prozentpunkte vor der SPD. Auch in Schleswig-Holstein wurden diese Daten von der Forschungsgruppe Wahlen bestätigt, die einen CDU-Vorsprung von 19 bzw. 20 Prozentpunkten vor der SPD vermeldete.  

Ebenso zeichnete sich in Nordrhein-Westfalen lange vor dem Wahltermin auf Grund der von forsa schon im Dezember letzten Jahres und von Infratest-dimap Ende Januar bestätigten Daten ab, dass die SPD in NRW anders als im Bund zu keinem Zeitpunkt vor der CDU lag. 

Die Konturen der späteren Wahlergebnisse, ein klarer Vorsprung der SPD vor der CDU im Saarland, ein großer Vorsprung der CDU vor der SPD in Schleswig-Holstein und ein leichter Vorsprung der CDU vor der SPD in NRW zeichneten sich also lange vor den jeweiligen Wahlterminen ab.  

Unplausible Veränderungen bei Civey 

Im Gegensatz zu diesen plausiblen und durch die späteren Wahlergebnisse bestätigten Erkenntnissen der Wahlforschung stehen Daten, die im Vorfeld dieser Wahlen durch Civey veröffentlicht wurden: Im Saarland sah Civey noch am 1. März, also nur drei Wochen vor dem Wahltermin, einen deutlichen Vorsprung der CDU (36,4 Prozent) von 8 Prozentpunkten vor der SPD (28,4 Prozent). Außerdem sollte laut Civey auch noch im März Tobias Hans über mehr Sympathien verfügt haben als Anke Rehlinger. Und mehr Saarländer wollten – so Civey –, dass die Landesregierung nach der Wahl von der AfD oder der CDU, nicht aber von der SPD „angeführt“ werden solle. 

Eine ebenso verkehrte Ausgangslage bildeten die Civey-Daten auch noch zwei Wochen vor dem Wahltermin in Schleswig-Holstein ab. Am 21. April lag die CDU im Norden – mit 30,2 Prozent nur 6,4 Prozentpunkte vor der SPD mit 23,8 Prozent. Laut Civey hätte somit die SPD mit den von Civey bei 21,6 Prozent ausgewiesenen Grünen eine rot-grüne Landesregierung bilden können. Und auch in Nordrhein-Westfalen sah Civey noch Ende Januar die SPD mit 30,8 Prozent klar vor der CDU mit nur 25,7 Prozent. 

Doch in allen drei Bundesländern gab es bei Civey in der letzten Phase des Wahlkampfs deutliche Veränderungen in der Wahlabsicht, bis dann kurz vor dem jeweiligen Wahltermin die Civey-Ergebnisse den bereits veröffentlichten Ergebnissen der Wahlforscher ähnelten. Das ist erklärungsbedürftig.  

Warum sind die Wahlabsichten bei den meisten Instituten stabil, während das Unternehmen Civey angibt, deutliche Veränderungen zu messen? Wenn Civey nun wie bei der Wahl in Schleswig-Holstein behauptet, man habe „die Dynamik der CDU und deren hohes Abschneiden im Endspurt am besten abbilden“ können, ist das eine Behauptung, die durch seriöse Erhebungen in keiner Weise belegt werden kann; denn weder das Ergebnis der SPD im Saarland noch das der CDU in Schleswig-Holstein kam wenige Tage vor dem Wahltermin im „Endspurt“ zustande, sondern zeichnete sich lange vor dem Wahltermin ab. Falls es diese Veränderungen aber tatsächlich gäbe, würden Wahlforscher nach den Gründen für den vermeintlichen Meinungswandel in der Bevölkerung suchen: Gab es einen Skandal? Hat sich die politische Themen-Rangliste verschoben? Spielten taktische Erwägungen der Wählerinnen und Wähler in großem Maßstab eine Rolle? All diese Fragen müssten dringend beantwortet werden.  

Auf die Entwicklungsprozesse schauen, nicht auf vermeintliche „Prognosen“ 

Wer also wirklich an der Güte der Wahlforschung interessiert ist, sollte dafür nicht ungeeignete Kennzahlen heranziehen.

Es stimmt daher nachdenklich, dass sich mit marktforschung.de regelmäßig auch ein Fachmedium an der Unsitte beteiligt, die Qualität von Wahlforschungsinstituten anhand der Güte der „Prognosen“ vor der Wahl abzuleiten.

Ein genauerer Blick auf die Entwicklung von Wahlabsichten über die Zeit hinweg wäre aufschlussreicher. 

Über Peter Matuschek

Peter Matuschek, forsa (Bild: forsa)
Dr. Peter Matuschek ist Geschäftsführer von forsa in Berlin und dort seit 2007, zunächst als Leiter der Politik- und Sozialforschung, tätig. Vor seiner Tätigkeit bei forsa war Peter Matuschek nach dem Studium in Göttingen, Madrid und Uppsala am Zentrum für Europa- und Nordamerikastudien in Göttingen, an der Universität Potsdam und am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung tätig. An der Universität Göttingen promovierte er in Politikwissenschaft zu einem Thema der vergleichenden Parteienforschung.

 

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