Interview mit Prof. Holger Lütters und Dr. Otto Hellwig „Wäre ja toll, wenn wir die GOR in Zukunft mit einer Party auch beenden könnten“

Fünf Anläufe wird die GOR benötigt haben, wenn sie vom 7.–9. September wieder in Berlin stattfindet. Prof. Holger Lütters, HTW Berlin, und Dr. Otto Hellwig, DGOF, im Gespräch mit marktforschung.de, warum es höchste Zeit ist, dass die GOR wieder vor Ort stattfindet, die virtuellen Konferenzen aber dennoch ihren Nutzen hatten. Und was die zahlreichen Konferenzbesuchenden in Berlin erwarten dürfen.

Otto Hellwig und Holger Lütters im Interview zur GOR 22

Dr. Otto Hellwig (links) und Prof. Holger Lütters im Interview zur Organisation der diesjährigen GOR.

Erstmals nach zwei Jahren findet die General Online Research (GOR) wieder in Präsenz statt, vom 7. bis 9. September in Berlin. Was war der Auslöser für die Entscheidung, die Konferenz wieder vor Ort durchzuführen?

Dr. Otto Hellwig: Die GOR ist eine Präsenzveranstaltung, bei der sich einmal im Jahr die Forschungscommunity zum persönlichen Austausch trifft. Dies war die initiale Motivation zur GOR und dies hat bis heute Berechtigung. Bis zur ersten GOR kannten sich die Online-Forschenden nur per E-Mail oder telefonisch, man ist quasi virtuell gestartet. Mit den Jahren ist unsere Community immer größer und internationaler geworden und die GOR bietet jährlich einen Ort, der diese Forschenden zusammenbringt und neue Forschende in die Community aufnimmt. Deshalb ist es für mich keine Frage, die GOR, wenn immer möglich, in Präsenz zu veranstalten. Damit möchte ich nicht ausschließen, dass dies in Zukunft auch an einem virtuellen Ort funktioniert, aktuell gelingt dies noch nicht zur Gänze.

Prof. Holger Lütters: So gut die Online-GORs auch waren. Es fehlte immer etwas. Akademisch hat alles auch online gut funktioniert.

Aber online lacht halt jeder für sich allein und amüsiert sich nicht in der Gruppe.

Es finden sich online keine neuen Teams für weitere Forschung zusammen. Aus jeder Präsenz-GOR sind neue Verbindungen hervorgegangen. Online unterhält man sich eher mit denjenigen, die man schon kennt. Langfristig ist das ein schleichender Exitus für eine Community. Also höchste Zeit, die Sache wieder persönlich anzugehen.

Dr. Otto Hellwig: Exakt. Wissenschaft und Forschung leben vom Diskurs und dieser beginnt auf der GOR mit einem Vortrag oder einer Präsentation, verlagert sich dann aber in die Flure und an die Theken und diese Orte kann man virtuell nur sehr schwer bespielen.

Die GOR findet nun bereits zum vierten Mal in Kooperation mit der HTW Berlin statt. Was macht diese Kombination erfolgreich? Und werden weitere Jahre folgen?

Prof. Holger Lütters: Wenn ich mitzähle, dann ist diese GOR der fünfte Versuch zur Durchführung einer einzigen GOR. Damit halten wir vielleicht den Rekord für die am häufigsten vertagte Konferenz. Die Absage der GOR2020 war ehrlich gesagt mehr Aufwand als die Organisation im Vorfeld.

Wir kennen uns schon seit Dekaden persönlich und so war auch klar, dass wir jenseits der für den März 2022 geschlossenen Vereinbarungen beiderseits zu unserem Wort stehen und mit diesem Vertrauen auch jede Runde gemeistert haben. Für zukünftige Organisatoren der GOR kann man aber durchaus mal sagen, dass der Großteil der Arbeit bei der DGOF liegt und wir hier nur einen sehr kleinen Anteil an der Organisation haben. Die GOR lebt aber auch von der Abwechselung der Standorte. Ich selbst freue mich auch immer, wenn ich andere Hochschulen mal von innen erleben kann. In ein paar Jahren können wir es dann wieder an der HTW Berlin versuchen. Vielleicht dann mal am Campus Oberschöneweide direkt an der Spree mit Bootsfahrt.

Dr. Otto Hellwig: In den ersten zwei Dekaden der GOR hat diese jedes Jahr in einer anderen Stadt ihre Zelte aufgeschlagen. Dies hatte den Vorteil, dass man Menschen auch lokal von der Online-Forschung begeistern konnte und die Teilnehmenden tatsächlich viele Hochschulen von innen kennenlernen konnten. Der Nachteil war ein immenser organisatorischer Aufwand. Aus diesem Grund haben wir vor Jahren entschieden, die GOR abwechselnd in Berlin und Köln zu veranstalten. In diesen eingespielten Teams mit der HTW in Berlin und der TH in Köln konnten wir immer weniger Zeit in Organisatorisches investieren und uns stattdessen mehr auf Inhalte und neue Formate konzentrieren. Ich finde mit Erfolg und hier geht mein Dank an die tollen Partner in Berlin und in Köln. Das heißt aber nicht, dass wir andere Orte, auch den rein virtuellen, für die Zukunft ausschließen.

Die letzten beiden Jahre hat die GOR pandemiebedingt virtuell stattgefunden. Was ziehen Sie für ein Fazit aus dieser Erfahrung? Konnten Sie daraus auch Positives mitnehmen?

Dr. Otto Hellwig: Die Lernkurve der DGOF war in den letzten zwei Jahren extrem steil und viel von dem, was online professionell aussah, war anfangs ein Puzzle aus Improvisationen. Dabei mussten wir lernen, die Dinge schneller zu begreifen und bei wichtigen Entscheidungen uns aufs Wesentliche zu konzentrieren. Diese Erfahrung hat uns geprägt und stärker gemacht. Wir haben schnell gelernt, die Grenzen einer virtuellen Veranstaltung zu akzeptieren und stattdessen die neuen Möglichkeiten zu nutzen. Virtuell haben wir internationaler agiert, sowohl was die Teilnehmenden angeht als auch die Keynote-Speaker. Es ist virtuell einfacher, Sponsoren zu präsentieren und dies wurde gut genutzt. Diese Erfahrung und Verve gilt es jetzt zur GOR in Berlin mitzunehmen.

Prof. Holger Lütters: Zunächst habe ich erstmal gelernt, wie schnell die Welt sich dreht und was bei zukünftigen Planungen von Veranstaltungen zu berücksichtigen sein wird. Beim Sponsoringmaterial von 2020, welches mein Büro seither verstopft, gibt es Softwarecodes mit Haltbarkeitsdatum Juni 2020. Ein Sponsor hat Blumensamen zur Verfügung gestellt und ich bin froh, dass diese nicht in meinem Büro alle ausgeschlagen haben.

Es gab Fusionen auf Ebene der Sponsoren, die einige der Materialien marketingtechnisch unbrauchbar gemacht haben. Danke an Bilendi, deren tolle Kaffeebecher nun in den Erstsemestertüten der HTW Berlin landen dürfen.

Sponsoren empfehle ich daher für die Zukunft eher mit Materialien und Botschaften zu arbeiten, die etwas langfristiger Bestand haben können.

Das wichtigste Learning ist aber die Notwendigkeit der Anpassungsfähigkeit. Die Welt ist nicht mehr dieselbe. Für das originäre Thema der GOR – die Digitalisierung – sind die Lehren aus der Pandemie auch ein Segen. Zusammenarbeit geht jetzt anders und ist nicht automatisch schlechter. Aus akademischer Sicht finde ich vor allem das YouTube-Archiv sehr hilfreich, welches vielleicht eine längere Phase überdauern kann als der Abstract-Band.

Wie gehen Sie auf der Veranstaltung mit der Pandemie um? Gibt es noch bestimmte Vorkehrungen und Einschränkungen?

Prof. Holger Lütters: Die HTW Berlin hat in der Pandemie einen immer aktuellen Pandemieplan veröffentlicht, der in der Regel über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus definiert war. Wir wollen auch jetzt grundsätzlich eher zurückhaltend und vorsichtig agieren. Ob wir verhindern können, dass Menschen, die sich 3 Jahre nicht gesehen haben, sich umarmen, bezweifele ich.

Ich würde mich freuen, wenn sich die Teilnehmer vor der Anreise testen und wir so das Schlimmste verhindern können. Die Infektionsgefahr lauert aber wohl eher in der Stadt und der U-Bahn als in den doch recht großzügigen Räumen, die uns zur Verfügung stehen. Vorsicht ist aber weiterhin wichtig. Wir haben alle viel gelernt und sollten dies nun anwenden.

Dr. Otto Hellwig: Wie Holger schon sagte, hier orientieren wir uns an den Vorgaben des lokalen Partners. Persönlich kann ich feststellen, dass es im Leben auch immer um eine Risikoabwägung geht und dafür steht die Pandemie wie kaum ein anderes Ereignis der letzten Jahrzehnte. In dieser Abwägung spielt auch der Faktor Zeit eine große Rolle. Mit der gebotenen Vorsicht bewegen wir uns wieder ins Leben, weil mit der Zeit der Zurückhaltung die Kosten dieses Verzichts immer größer geworden sind.

Nach zwei Jahren, in denen neben der GOR viele weitere Präsenz-Veranstaltungen ausgefallen sind, wird sicherlich für viele Besucher das Networking vor Ort eine wichtige Rolle spielen. Welche Möglichkeiten werden hierzu geboten?

Prof. Holger Lütters: Das ist auch meine einzige Kritik an den Online-Versionen. Es ist uns nicht gelungen, den Partyfunken online überspringen zu lassen. Dazu haben wir jetzt wieder die Gelegenheit. Nach der Pandemie ist alles anders, z. B. heißen die Locations inzwischen anders und werden von neuen Betreibern geleitet. Der Ort des Get-Togethers wird einigen aber noch als Partylocation von 2017 bekannt vorkommen: Die ehemalige RadioBar heißt jetzt Palabra Bar.

Die eigentliche Party findet im Jung&Schönn in Mitte statt. Die GOR ist also auch für mich die einzige Chance, mal derartig hippe Orte zu besichtigen. Wie vor der Pandemie nimmt die Organisation aber keine Rücksicht auf das erhöhte Partybedürfnis. Am Freitag geht es direkt wieder um 9 Uhr pünktlich los. Vielleicht müssen wir uns hierbei auch etwas internationaler ausrichten.

Dort kennt man zum Abschluss von Konferenzen Gala Diners. Wäre ja toll, wenn wir die GOR in Zukunft mit einer Party auch beenden könnten.

Dr. Otto Hellwig: Wäre mal eine Idee, wenn mir jemand versprechen kann, das nicht der Großteil der Besuchenden vorher schon abreist. Wir sollten aber nicht die tolle Kaffeebar von Barflow aus Berlin vergessen, die uns in den letzten Präsenzveranstaltungen in Berlin als auch in Köln einen Ort der Begegnung geboten hat und die wir für die jetzige GOR wieder gewinnen konnten. Für Kurzweil und Networking ist also bestens gesorgt.

Die GOR geht bereits in die 24. Runde! Erwarten die Besucher dieses Jahr irgendwelche neuen Formate oder Programmpunkte?

Dr. Otto Hellwig: Genau, 24 GORs in 25 Jahren. Wir hatten zum 25-Jährigen eigentlich einen Ausstellungsraum zu 25 Jahren GOR geplant und dafür schon fleißig Devotionalien gesammelt. Da wir aber die GOR und nicht die Jahre feiern wollen, machen wir dies zur 25ten GOR im nächsten Jahr. Hierzu werden wir auch zeitnah einen Aufruf auf der Suche nach weiteren Erinnerungsstücken starten.

Fachlich erwarten uns tolle Vorträge. Mir hat die Mitarbeit im Programmkomitee viel Freude gemacht. Wir hatten viele Einreichungen und konnten aus den Besten zwei spannende und abwechslungsreiche Konferenztage zusammenstellen.

Prof. Holger Lütters: Ehrlich gesagt sind wir da wohl recht klassisch unterwegs. Eine wichtige Änderung ist aber die erstmalige Durchführung im September. Wir sind gespannt, ob wir aufgrund der Jahreszeit eine andere GOR erleben dürfen.

Werfen wir einen Ausblick auf die nächsten Jahre: Soll die GOR ab jetzt, soweit möglich, nie wieder virtuell stattfinden oder stellen virtuelle oder hybride Formate eine ernsthafte Alternative dar?

Prof. Holger Lütters: Das muss die DGOF modern entscheiden. Es fällt allen viel leichter, die Teilnahme an Präsenzdingen abzusagen und nach Hybridformaten zu verlangen. Ich war jedoch auf keiner Veranstaltung, wo hybrid wirklich die soziale Brücke geschlagen hat. Eine Präsenz GOR ist daher immer wünschenswert.

Dr. Otto Hellwig: Wir werden hier in Zukunft die jeweiligen Vorteile der unterschiedlichen Formate nutzen und darauf achten, dass sich die Formate nicht gegenseitig ausspielen, was tendenziell immer passieren kann. Die GOR als sozialer Klebstoff einer Forschungscommunity macht am meisten in Präsenz Sinn. Im persönlichen Miteinander entstehen neue Ideen und Kollaborationen. Hybrid kann man ganz neue Zielgruppe erschließen, die an der Sache interessiert sind, für die aber ein Präsenzbesuch eine zu hohe Hürde ist und virtuelle Formate haben ihre größte Stärke in der kurzfristigen Umsetzbarkeit für kleinere Events, etwa Fachtagungen oder Workshops. Am Ende habe ich aber keine Glaskugel und wir müssen das Nutzungsverhalten in einer sich schnell verändernden Welt genau beobachten.

Worauf freuen Sie sich nach zwei Jahren virtueller GOR am meisten? Was ist Ihr Highlight dieses Jahr?

Prof. Holger Lütters: Mein Highlight ist die Weitergabe des organisatorischen Staffelstabs an wen auch immer. An der HTW Berlin kennt inzwischen jeder die GOR, da wir wiederholt in so vielen Gremien genannt wurden mit Ansage oder Absage. Umgekehrt hoffe ich auch, dass die gemeinsam durchlebte Pandemie der Marke HTW Berlin gut getan hat im Windschatten der DGOF. Die Marktforschungscommunity kennt uns nun. Hoffentlich kommen auch viele persönlich nach Berlin, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Mein Highlight wäre also das persönliche Wiederaufleben der Forschungscommunity.

Dr. Otto Hellwig: Dem kann ich voll zustimmen. Neben dem Inhaltlichen, das Programm steht bereits online, freue ich mich vor allem auf die Menschen; auf alle, die ich seit Jahren dort treffe und auf neue Gesichter. Ich würde mich freuen, wenn wir in Berlin mindestens so viele Besucher begrüßen können wie auf der letzten GOR in Präsenz. Bei den Anmeldezahlen sieht es bisher gut aus. Also, auf geht’s nach Berlin.

Über Dr. Otto Hellwig

Otto Hellwig
Otto Hellwig war CEO der respondi AG von der Gründung im Jahr 2005 bis zum Verkauf der respondi-Gruppe an Bilendi im Jahr 2021. Seitdem ist er Corporate Integration Director bei Bilendi & respondi.

Seit Anfang der 1990er Jahre ist er im Bereich der Markt- und Sozialforschung tätig. Dr. Hellwig hat ein Studium der Sozialwissenschaften, Psychologie und Medienwissenschaften absolviert. Er arbeitete mehrere Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für angewandte Sozialforschung der Universität zu Köln und promovierte im Jahr 2000. Otto Hellwig ist seit März 2013 Vorsitzender des Vorstands der DGOF.

Über Prof. Dr. Holger Lütters

Holger Lütters
Holger Lütters (53) ist Professor für International Marketing an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und fungiert als Gastgeber der GOR 2022. Seit seiner ersten GOR-Teilnahme im Jahr 2001 in Göttingen ist er DGOF-Mitglied und immer wieder auf der GOR aktiv. In diesem Jahr stellt er ein Update zu seiner Forschung im Themenkreis “Voice in Research” vor und präsentiert eine auf umfangreichen Twitter-Daten basierende Studie unter dem Titel “Pandemic Social Media Hate Speech Analysis”.

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