Vorsicht vor dem Unbewussten: Kennen Sie die typischen Interpretationsfehler Ihres impliziten Systems?

Ralph Ohnemus (K&A BrandResearch)

Von Ralph Ohnemus, CEO der K&A BrandResearch AG

Als Manager wollen wir die unbewussten und bewussten Treiber und Barrieren unserer Zielgruppen genau verstehen. Dabei übersehen wir gerne, wie wir selbst unbewussten Bewertungsmechanismen ausgesetzt sind! Wie gut sind unsere Fähigkeiten zur neutralen Observation? Spannende Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung werden hier so knapp und pointiert wie möglich dargestellt. Wenn man die Mechanismen versteht, kann man die Reliabilität gerade qualitativer Studien erhöhen.

Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahnemann hat in seinem lesenswerten Buch: ‚Thinking, Fast and Slow‘ ein hilfreiches Erklärungsmodell für menschliches Entscheidungsverhalten vorgelegt, das auf dem in der Psychologie bekannten ‚System 1‘ und ‚System 2‘ Ansatz aufbaut. Es hilft, die Wunder und Fehler unseres Beurteilungs- und Entscheidungsverhaltens zu verstehen. Unser implizites System 1 läuft automatisch und leitet unsere Gedanken und Aktionen routiniert. System 2 läuft meist in einem bequemen Niedrig-Aufwand Modus, repräsentiert aber das, wofür wir uns halten, wie wir uns selbst erleben. System 1 liefert ununterbrochen Vorschläge an das System 2: Eindrücke, Intuitionen, Absichten und Gefühle / Bewertungen. Wenn System 2 ‚zustimmt‘, werden z. B. aus Intentionen Handlungen. Wenn alles glatt läuft, was es die meiste Zeit tut, nimmt System 2 die Vorschläge von System 1 mit geringer oder keiner Anpassung an. Man glaubt seinen eigenen Eindrücken und handelt nach den Vorschlägen, und das ist gut so – normalerweise. Wenn System 1 in Schwierigkeiten kommt, ‚ruft‘ es System 2 zur Unterstützung, z. B.: Was ist 17x24? Anders ausgedrückt: Was Sie (Ihr System2) denken und machen, stammt mehrheitlich aus System 1. System 2 übernimmt nur, wenn die Dinge so schwierig werden, dass Sie aufmerksam werden. Dieses Vorgehen ist effizient, minimiert die Anstrengung und optimiert die Gesamtperformance. Vor allem in vertrauten Situationen sind die Anstöße von System 1 akkurat. Aber System 1 macht systematische Fehler, die in bestimmten Situationen auftauchen. So beantwortet es häufig leichtere Fragen, als gestellt, z. B. bei "Wie gefällt Dir Dein Job?" (komplex) mit "Ich fühl mich gerade...". Zudem hat es leider sehr wenig Ahnung von Logik und Statistik. Und man kann es nicht abstellen. Auch wenn System 2 glaubt, immer in Kontrolle des Verhaltens zu sein - und sich damit gewaltig irrt.

Welche Auswirkungen hat System 1 auf uns Manager, z. B. bei der Beobachtung von Gruppendiskussionen?

Kognitive Leichtigkeit führt zu positiven Emotionen in System 1. Sachen die man schon kennt gefallen intuitiv, weil anstrengender Verarbeitungsaufwand entfällt. System 1 beschränkt sich immer auf das Wahrnehmbare: Was man sieht, ist alles was es gibt: Und konstruiert daraus die bestmögliche Geschichte, die alles beinhaltet, was assoziativ aktiviert worden ist. Es kann aber keine Vorbehalte machen, für Informationen, die nicht vorliegen! Sie erkennen das Problem des Managers sofort. Eigentlich ‚wissen‘ wir, dass alles viel komplexer ist. Aber System 1 sieht sich als erfolgreich, wenn es eine kohärente Geschichte aus den vorliegenden Eindrücken erzeugen kann. System 1 rennt voran, den Fakten weit voraus, beim Ableiten eines reichhaltigen Gesamtbildes auf Basis kleiner Teilstücke von Anhaltspunkten. Genereller ausgedrückt: Es baut ein Abbild der Realität, das zu viel Sinn macht. 

Die gefühlte, subjektive Sicherheit der System 1 Ableitung hängt leider nicht von der Quantität oder Qualität der Daten ab, sondern allein von der gefühlten Qualität der selbst erzeugten Geschichte. Eine kohärente Story äußert sich in einem Gefühl kognitiver Leichtigkeit und der Illusionen der Wahrheit, angenehmen Gefühlen und reduzierter Wachsamkeit (System 2). Dabei geht System 1 recht weit, es unterstellt und erfindet Ursachen und Intentionen bei den beobachteten Teilnehmern. Meist vernachlässigt es Mehrdeutigkeiten und unterdrückt Zweifel. Es ist voreingenommen für geäußerte Meinungen und Bestätigungen der Story und übersieht mit eleganter Leichtigkeit gegenläufige Informationen. Weil nicht sein kann, was nicht ‚passt‘. Jeder kennt das, zwei Manager hinter dem Spiegel erleben unterschiedliche ‚Geschichten‘. System 1 überschätzt dabei drastisch geringe Eintrittswahrscheinlichkeiten. Etwa die Gefahr radioaktiv kontaminierte Waren aus Japan. Es reagiert unverhältnismäßig stärker auf drohende Verluste, als auf mögliche Gewinne. Bildhafte Kritik der Teilnehmer alarmiert das System 1 des Beobachters - aber ist das im Markt relevant? Wir richten mehr Aufmerksamkeit auf die Inhalte von Nachrichten, als auf deren Reliabilität.

Ein übergesundes Selbstvertrauen wiegt uns in Sicherheit

System 1 ist nicht anfällig für Zweifel! Es unterdrückt Mehrdeutigkeit. Daher kommt auch die intuitive Überzeugung, dass auch kleine Samples die Grundgesamtheit gut repräsentieren, der sie entstammen. Selbst erfahrene Forscher wie Kahnemann fallen darauf herein. Wir sind Mustersucher, glauben an eine kohärente Welt, in der Regelmäßigkeiten nicht als Zufall erscheinen, sondern das Ergebnis von mechanistischer Kausalität oder von menschlichen Absichten sind. System 1 fällt nicht auf, dass seine Prognosen statistisch extrem sind oder dass die Ableitungen auf Basis schwacher Informationen entstanden sein könnten. Es liegt in der Natur von System 1 selbstsicher weitreichende Ableitungen zu entwickeln.

Noch ein Beispiel: Es wird Ihnen nicht bewusst, dass Ihr gutes Gefühl über die Ergebnisse der Gruppendiskussion vor allem der gelungenen Moderation zuzuschreiben ist. Gute Moderation ist kein logischer Beweis für reliable Ergebnisse! Ihr System 2 weiß das, kommt aber nicht zum Zuge, wenn man sich dieses Umstandes nicht bewusst macht. System 1 weiß das nicht, es hat kein Problem verschiedene Dimensionen (Moderationsfähigkeiten und Informationsqualität) kausal zu verknüpfen.

Empfehlungen für Manager:

Etwas ernüchternd stellt Kahnemann fest, dass es sehr schwer ist, bewusst das System 1 zu ‚erziehen‘. Erfahrung und erworbene Fähigkeiten helfen, trotzdem weiß System 2 nicht, ob die selbstsicheren Empfehlungen von System 1 auf Kenntnissen oder zweifelhafter Heuristik beruht. Machen Sie sich bewusst, in welchen Situationen die Fehlerwahrscheinlichkeit steigt. Erkennen Sie Anzeichen, sich in einem kognitiven Mienenfeld zu bewegen, halten Sie an und fordern Sie die Ressourcen von System 2 an: „Nur weil mir die Geschichte plausibel erscheint, muss sie nicht relevant sein.“; „Gibt es nicht noch mehr relevante Punkte, als ich heute ‚gesehen‘ habe?“

Teams sind übrigens sehr gut geeignet, die fehlerhaften Ableitungen Einzelner von System 1 zu erkennen und eine reliablere Analyse herzustellen.

Wir nutzen in unseren K&A Psychodramen® mehrere Sicherheitsmechanismen, die die Auswirkung automatisierter Bewertungen von System 1 kontrollieren helfen:

  • Über die lange Dauer von 8 Stunden kommen viel mehr Puzzlestücke zusammen, die eine einfache Storykonstruktion nicht mehr zulassen. System 2 wird gebraucht, um die Informationen gesamtheitlich auszuwerten.
  • Wir nutzen vielfältige Forschungsbausteine, die es dem System 1 der Teilnehmer erschweren, unsere Fragen mit spontan gefundenen kohärenten Geschichten zu beantworten.
  • Wir trennen die Moderation von der Auswertung und Aufbereitung. Damit haben wir mehrere, psychologisch trainierte Fachleute (Team), die eine echte Analyse schaffen können.
  • Wir bestehen darauf, dass wir gute zwei Wochen für die Aufbereitung der Erkenntnisse und Ableitungen bekommen. Jede verfrühte Bewertung hat zu viel System 1 Gehalt.
  • Last but not least: Wir werten auch Gruppendiskussionen mit mehreren Projektleitern aus, empfehlen aber immer, nicht den Ergebnissen zu folgen, nur weil sie plausibel erscheinen, wenn es um wichtige Entscheidungen geht. Dann ist eine Quantifizierung der einzig richtige Weg. Ihr System 2 wird es Ihnen danken.
 

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