Kolumne von Prof. Dr. Anna Schneider Von Zoom-Fatigue und dem Bedürfnis nach Authentizität

Warum werden wir bei Video-Konferenzen zunehmend müde? Mindert die digitale Meeting-Kultur Kreativität und wünschen wir uns doch mehr Authentizität? All diesen Fragen geht Prof. Anna Schneider in ihrer neuen Kolumne nach.

Bildnachweis: picture alliance / Zoonar | svyatoslav lipinskiy

Teilnehmende von häufigen Video-Konferenzen leiden oft unter "Zoom Fatigue", einer Ermündung durch die virtuellen Meetings, die sich teilweise auch auf die Gesundheit auswirken kann. (Bild: picture alliance / Zoonar | svyatoslav lipinskiy)

Wie Heise.de berichtet, ließ Apple kürzlich darüber abstimmen, ob die Entwicklerkonferenz WWDC bald wieder als Präsenzformat bzw. Hybridveranstaltung durchgeführt werden soll. Eine überaus interessante Wendung, hat es Apple mit der kürzlich vorgestellten Brille Vision Pro doch deutlich erleichtert, Kolleginnen und Kollegen im virtuellen Raum zu treffen und hier gemeinsam zu arbeiten. Dennoch scheint eine gewisse Offenheit zu bestehen, hier die reinen Online-Meetings zu kippen, sollte das Votum entsprechend ausfallen. Ein Begriff, der sich im Rahmen der Diskussionen um die Rückkehr ins Büro etabliert hat, ist die sogenannte „Zoom-Fatigue“. Und leiden wir nicht alle – zumindest ab und an – ein wenig darunter manche Kollegen seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie nur noch auf dem Bildschirm zu sehen?

Weniger kreativ und auf Dauer einfach erschöpfend

Die zahlreichen technischen Innovationen machen es möglich, uns auch digital zusammenzufinden und uns auszutauschen. Ob Unternehmen nun also in der Breite zu Treffen im „echten“ Raum zurückkehren, ist noch unklar. Besonders für Apple und Co. dürften die Ergebnisse einer internationalen Studie interessant sein, nach denen sich der kognitive Fokus im Prozess der Ideation verenge und zu einem signifikanten Absinken der Anzahl kreativer Ideen führe. Die durchschnittliche Kreativität der Teilnehmenden hingegen nahm laut den Autoren der Studie nicht signifikant ab.

Vielleicht sind die Gründe für die wachsende Ablehnung virtueller Zusammenkünfte urmenschlicher, als man zunächst denken mag.

Laut einer Studie der Stanford Universität, welche die Ursachen für die „Zoom-Fatigue“ ergründen wollte, ist insbesondere der intensive Augenkontakt mit den anderen Meeting-Teilnehmenden zehrend und erschöpfend. Die Größe der Gesichter auf den Bildschirmen sei unnatürlich und das Ausmaß an Augenkontakt zu viel. Oder anders formuliert – während wir Menschen als ursoziale Wesen nach sozialer Verbundenheit streben, sind wir nicht auf technologisch vermittelte Dauerkommunikation trainiert.

Kurz gesagt: Alle starren mich an!

Und diese sei, so der Autor, schlichtweg eine stressreiche Erfahrung. Die mögliche Lösung für das Problem liefert er direkt mit. Man könne den Bildschirm so einstellen, dass die anderen Gesichter in ihrer Größe reduziert seien. Ein anderer Faktor sei das dauerhafte Selbstmonitoring. Denn man sei gezwungen, sich selbst permanent anzusehen. Vergleicht man dies mit der „echten Welt“, würde man permanent von Spiegeln verfolgt. In der Tat keine schöne Vorstellung…

Anders als in persönlichen Meetings, könne es zudem deutlich schwieriger sein, nonverbale Signale deutlich erkennbar zu gestalten, beziehungsweise die Signale anderer Teilnehmender zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren. Ob Sie selbst von Zoom-Fatigue betroffen sind, können sie übrigens hier testen.

Authentizität? Wunschdenken weil Illusorisch?

Vielleicht schwingt bei Apples Abstimmung darüber, ob Meetings wieder persönlich stattfinden sollen, aber auch etwas anderes mit? Das Bedürfnis nach Authentizität? Längst findet die virtuelle Selbstdarstellung nämlich nicht mehr nur bei Instagram, TikTok, Snapchat und Co. statt.

Auch bei zoom, Teams und anderen Plattformen für Videotelefonie gibt es das ein oder andere Add-On, dass die Art, wie wir uns präsentieren, verändert. Und damit sind nicht nur Weichzeichner oder virtuelle Hintergründe gemeint.

Denn Nvidia Broadcasts Innovation Eye Contact Effect sollen die Augenbewegungen in Echtzeit so anpassen können, dass zum Beispiel auch bei Vorträgen, die abgelesen werden, der Blick immer in die Kamera gerichtet scheint.

Sicheres Auftreten bei völliger Unwissenheit also?

Vorbei die Zeiten, in denen man die Skripte so platzierte, dass niemand merkte, das man vorliest? Wer weiß. Die Möglichkeiten, uns im digitalen Raum perfekt zu präsentieren werden täglich vielfältiger und ausgefeilter. So weit so gut. Aber was bedeutet das für uns, wenn wir unseren nächsten Mitarbeitenden casten oder unsere künftigen Projektpartner kennenlernen wollen?

Da sind wir nun wieder beim Bedürfnis nach der Authentizität.

Eine naheliegende Lösung wäre es, wieder vermehrt auf Treffen im „real life“ zu setzen und sich darauf zu verlassen, dass wir „bekommen was wir sehen“. Wobei auch das vermutlich keine langfristige Lösung ist. Der bereits vor zehn Jahren veröffentlichte Kurzfilm „Meta Sight“ zeigt auf beeindruckende Weise, dass zukünftig auch in der „echten Welt“ nicht mehr alles sein muss, wie es scheint.

Digitale Abschminkpads und Fluchregistrierung?

Oder aber wir hoffen darauf, dass die Technologie uns dabei hilft, die digitale Schönfärberei zu enttarnen. Digitale Abschminkpads also? Vermutlich ist es nur noch eine Frage der (kurzen) Zeit, bis solche Ideen zur Marktreife gelangen. Eine Quelle der Inspiration stellt hier sicherlich der Designer Soren Iverson dar. Seine Ideen zu digitalen Helferlein, die beispielsweise das Aufnahmedatum von Profilfotos verraten, oder aber Bildfilter einfach wegradieren, zeigen, dass der digitalen Optimierung – zumindest gedanklich – auch Grenzen gesetzt werden könnten. Nun bleibt natürlich die Frage, ob wir in Zukunft auch bei Videomeetings wissen wollen, ob unser Gegenüber unangenehm duftet, oder aber vor dem Meeting nochmals ausführlich über die damit verbundene Zeitverschwendung geflucht hat?

Welche Funktionalitäten, verehrte Leserinnen und Leser, wünschen Sie sich, um die Zoom-Fatigue durch Zoom-Exitement zu ersetzen? Ich freue mich auf Ihre Ideen!

 

Über die Person

Prof. Dr. Anna Schneider ist Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Trier. Ihr zentrales Forschungsinteresse gilt den Auswirkungen der Digitalisierung auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Sie ist Mitglied in verschiedenen Forschungsverbänden und sitzt im wissenschaftlichen Beirat des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste, einem renommierten Think Tank für Kommunikations- und Internetpolitik.

Diskutieren Sie mit!     

  1. Sandra am 26.06.2023
    Vor 2 Jahren gab es Forschung von Gartner, die besagte, dass nächstes Jahr schon 75 % aller Meetings online stattfinden. Zoom Fatigue zu überwinden sollte als recht hoch auf der Agenda von vielen Unternehmen stehen, die mit hybriden Arbeitsmodellen Ihre Teams an unterschiedlichen Orten verteilt haben. Die guten alten Folienschlachten reißen niemanden mehr vom Hocker. Und die Versuche künstlichen Augenkontakt herzustellen oder echte Menschen mit Avataren zu ersetzen sind (noch) nicht erfolgreich und wirken eher gruselig. Authentizität bringen nur die Menschen selber. Und diesen wird in aktuellen Videokonferenzen zu wenig Raum gegeben sich ausdrücken zu können (kaum Gestik, eingeschränkt sichbare Mimik). Und wenn Präsentierende die Aufmerksamkeit nicht auf sich und ihre Inhalte ziehen können, dann lenken die meisten Teilnehmenden die Aufmerksamkeit auf sich und ihre Frisur, auf das Outfit von anderen oder auf ihr Handy. Also überall sonst hin, nur nicht auf das was zentral auf dem Bildschirm passiert. Inzwischen gib es mehr und mehr Unternehmen die in ihre Videoinfrastruktur investieren und sogar eigene Greenscreen-Studios für große Präsentationen haben oder Agenturen für wichtige Ansprachen anheuern. Und es gibt Lösungen wie mmhmm die Hintergründe verändern und den Präsentierenden ermöglichen im Bild zu sein. Oder Cinector, mit einer Art virtuellem TV-Studio für Videokonferenzen. Und dann kommt der ganze rein virtuelle Bereich im Metaverse und Co, der den echten Menschen neu interpretier. Der Markt bewegt sich, und Unternehmen sollten sich jetzt damit beschäftigen.

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf marktforschung.de