Bettina Klumpe, Geschäftsführerin ADM e.V. Von TED bis Sommerzeit

von Bettina Klumpe
TED, das stand für Tele-Dialog und wurde in den 1990er Jahren von Fernsehanstalten eingesetzt. Zunächst im Unterhaltungssektor, später dann auch in Nachrichtenmagazinen und anderen Informationssendungen. Für alle, die nach 1995 geboren sind, hier eine kurze Erläuterung: Bei TEDs konnten Zuschauer per Telefonanruf über Fragen abstimmen, die innerhalb einer TV-Sendung gestellt wurden. Am Ende oder während der Sendung wurde das Abstimmungsergebnis veröffentlicht. In Unterhaltungssendungen war ihr Einsatz dafür gedacht, den Unterhaltungswert zu steigern. Um die Einstellungen der Bevölkerung zu ernsten und sachlichen Themen zu ermitteln und darauf weitreichende Endscheidungen zu fußen, war TED sicherlich nicht geeignet. Aber warum?
Aufgerufen wurde damals in Fernsehsendungen. Dabei ist klar, dass die Struktur der Zuschauer*innen, sowohl nach soziodemografischen Merkmalen als auch nach Einstellungen und Meinungen, gewöhnlich von der Gesamtbevölkerung in erheblichem Umfang abweicht. Allein schon deshalb konnten die Ergebnisse des TED nicht repräsentativ sein. Außerdem wiesen am jeweiligen Thema stark interessierte Zuschauer*innen eine höhere Teilnahmebereitschaft auf als andere. Dadurch wurde die Repräsentativität der Ergebnisse von TED-Abstimmungen weiter eingeschränkt. Emotional engagierte Zuschauer*innen dürften darüber hinaus auch bereit gewesen sein, mehrmals anzurufen, um das Ergebnis des TED in ihrem Interesse zu beeinflussen. Aus diesen Gründen hatte sich der ADM damals besorgt über den Einsatz von TEDs zu Meinungsforschungszwecken geäußert.
Die EU-Umfrage zur Sommerzeit scheint – ohne dass hierzu bisher Genaueres zu erfahren ist – einen ähnlichen Bias zu haben wie ehemals TED. Bei der EU-Umfrage wurde in verschiedenen Medien über die Abstimmung informiert und zur Teilnahme aufgerufen. Es handelt sich somit auch um eine selbstselektierte Stichprobe. Personen, die die entsprechenden Medien nicht genutzt haben, waren gar nicht über die Abstimmung informiert und fehlen damit in der Stichprobe. Am Thema Sommerzeit stark Interessierte werden eine höhere Teilnahmebereitschaft aufweisen als solche, die sich nicht für das Thema interessieren. Emotional Engagierte haben darüber hinaus eventuell auch mehrmals abgestimmt, um ein für sie wünschenswertes Ergebnis herbeizuführen. Von der Repräsentativität einer solchen Abstimmung für die Bevölkerung der EU kann also nicht ausgegangen werden. Sie kann damit auch nicht auf diese hochgerechnet und verallgemeinert werden.
Im Internet begegnen einem Abstimmungen dieser oder ähnlicher Art immer häufiger. Mehr und mehr tauchen solche "Barometerumfragen" plötzlich zwischen Onlinebeiträgen auf und erfragen die Einstellung zu einem im Artikel behandelten Thema. Es spielt sich das gleiche Szenario ab: Nur bestimmte Personen – die Leser*innen des Artikels – werden aufmerksam (selbstselektierte Stichprobe), am Thema Interessierte werden eher teilnehmen als nicht-interessierte Leser*innen, weiteren Verzerrungen durch Mehrfachteilnahmen – nach eigener Recherche in den beschriebenen Fällen möglich – sind häufig Tür und Tor geöffnet. Außerdem sind teilweise die Abstimmungen der vorherigen Teilnehmenden sichtbar, was weitere Verzerrungen der Ergebnisse verursacht. Dem Anschein nach ist bei einigen Abstimmungen Repräsentativität gar nicht relevant. Sie verfolgen ein anderes Ziel: Es geht um die Steigerung der Aufmerksamkeit der Leser*innen. Per se ist das natürlich nichts Verwerfliches. Wenn sie allerdings als Meinungsumfrage daherkommt, die üblicherweise mit der Markt-, Meinungs- und Sozialforschung assoziiert wird, halten wir diese Entwicklung für mehr als gefährlich.
Wer Ergebnisse von Befragungen und Abstimmungen veröffentlicht, muss damit verantwortungsvoll umgehen. Wer nur ein Stimmungsbild einholen will und auf Repräsentativität verzichtet, sollte die Ergebnisse in der Schublade lassen und nicht veröffentlichen – oder zumindest darauf hinweisen, welche begrenzte Aussagekraft die Stichprobe hat.
Wenn auf Basis von Befragungen grundlegende Entscheidungen getroffen werden sollen, müssen für die betroffenen Bevölkerungsgruppen repräsentative Stichproben die Grundlage bilden. Sicherlich ist in Zeiten abnehmender Erreichbarkeit und Teilnahmebereitschaft an Befragungen – egal mit welchem Modus – solch ein Ziel nicht leicht zu erreichen, aber es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, diesen Anspruch umzusetzen. Die Basis der Repräsentativität ist, dass für jedes Mitglied der Grundgesamtheit die Wahrscheinlichkeit bekannt ist, mit der es in die Stichprobe gelangt. Dies ist die Grundvoraussetzung, um systematische Fehler zu erkennen. Wenn ganze Teile der Grundgesamtheit in der Stichprobe fehlen, wird die Qualität der Stichprobe auch durch große Fallzahlen nicht – wie von einigen angenommen – verbessert.
Der ADM ist sehr besorgt über diese Entwicklungen. Repräsentativität ist unabdingbar, um mittels Befragungsdaten verlässliche Grundlagen für Entscheidungen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zu liefern. Nicht repräsentativ erhobene Daten sind keine solche Grundlage. Alle an diesen Prozessen Beteiligten sollten diesen Grundsatz verinnerlichen und verantwortungsvoll danach handeln.
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