„Vom Zahlenlieferant zum Kundenversteher“ – Interview mit Christian Halemba über die Rolle des Marktforschers

Christian Halemba
Christian Halemba ist selbstständiger Marktforscher und Interim Manager mit langjähriger Erfahrung im Bereich Marktforschung, Insights und Analytics bei Konzernen, Beratungsunternehmen und Marktforschungsinstituten. Er hat mehrfach in Großunternehmen Organisationsbereiche aus Marktforschung, Database Marketing und Sales Support aufgebaut und geleitet.
marktforschung.de: Herr Halemba, als selbstständiger Marktforscher und Interim Manager haben Sie Einblick in Marktforschungsabteilungen verschiedener Unternehmen erhalten. Welches Standing haben die betrieblichen Marktforscher Ihrer Erfahrung nach in den Unternehmen?
Christian Halemba: Es hängt natürlich vom Einzelfall ab, aber insgesamt ist es so, dass viele Marktforscher auf der dritten oder vierten Ebene arbeiten. Ihnen wird ein umfangreiches Methodenwissen und eine gute Übersicht über Quellen und Anbieter von Daten und Erhebungen attestiert. Ebenso die Fähigkeit Signale zu interpretieren, die Kunden und der Markt aussenden.
Manchmal ist es aber so, dass Erkenntnisse der Marktforschung nicht präsent sind, wenn wichtige Entscheidungen im Management getroffen werden.
marktforschung.de: Wie spürbar ist dieses Problem?
Christian Halemba: Seit vielen Jahren untersuchen führende Unternehmensberatungen, wann/warum Marketing Investments (Product Launches, Kampagnen, etc.) sich nicht amortisieren (ROI). Neben strategischen Fehlentscheidungen ist es die mangelnde Einbeziehung von Market Insights. Nach diesen Untersuchungen wird ein beträchtlicher Teil der "customer related decisions" nicht auf Basis von Marktforschungsergebnissen getroffen. Manche sprechen sogar von 40% der Entscheidungen, die nicht auf Fakten und Insights basieren, sonder auf "Managers gut-feeling".
Die Hauptursachen sind nicht mangelndes Wissen der Marktforscher, sondern eine suboptimale organisatorische Verankerung der Marktforscher, unzureichende Zirkulation der Informationen und fehlendes Wissensmanagement.
marktforschung.de: Was sehen Sie als die Hauptaufgabe der betrieblichen Marktforscher an?
Christian Halemba: Was die betrieblichen Marktforscher schon lange gut machen: Bündelung des Informationsbedarfes, Umsetzung in Erhebungen und Analysen, Kondensierung der Ergebnisse, Erläuterung und Präsentation im Hause.
Was unterschiedlich ausgeprägt ist und weiterentwickelt werde sollte: Die Fähigkeit mit den Bereichsleitern und der Geschäftsführung auf Augenhöhe zu kommunizieren.
Sie sollten proaktiv handeln und ein Gefühl dafür mitbringen, wie sie sich in Prozesse der Entscheidungsfindung einfädeln.
Ein betrieblicher Marktforscher sollte nicht nur "Zahlenlieferant", sondern "Kundenversteher" sein. Voraussetzung sind sehr gute kommunikative Fähigkeiten, denn als Anwalt des Kunden sollten sie offensiv agieren, um ihrer Rolle im Unternehmen gerecht zu werden.
marktforschung.de: Wie sollten die Marktforscher in Unternehmen aufgestellt sein?
Christian Halemba: Das Ziel der Marktforscher, aber auch jener, die Organisationen aufbauen, sollte sein, dass die Informationen über Markt, Kunden, etc. möglichst direkt an die Entscheider gelangen. Die Rolle, welche sich z.B. Pressesprecher oder Chefvolkswirte schon seit vielen Jahren in den Unternehmen erarbeitet haben - nämlich möglichst nah an den Entscheidungsträgern zu sein - stünde auch unserer Zunft gut zu Gesicht.
Meines Wissens hat kein einziger CIO in Deutschland einen Mafo Background. Die meisten kommen mit einem IT Werdegang in diese Positionen und erklären dann dem CEO auf Basis von internen IT Analysen, wie die Kunden da draußen ticken. Das könnten doch unsere Kollegen sehr viel besser und auf Basis fundierter Daten.
marktforschung.de: Sie sagen, Unternehmen hätten zu viele Daten (Stichwort: Big Data), aber zu wenig handlungsrelevantes Wissen. Was meinen Sie genau damit?
Christian Halemba: Jeden Tag wird man mit Daten, Reports, Studien zugeschüttet. Es gibt nicht erst seit dem WWW einen Data Overload, aber jetzt wird das Problem noch sichtbarer.
Das Internet und die Digitalisierung verändern gerade alle Lebensbereiche, privat wie beruflich. Auch unsere Profession wird sich anpassen müssen. Die quasi Monopolstellung der Marktforscher über Quellen, Methoden und Daten wird nun durch eine Fülle anderer Informationsströme aufgeweicht (Webanalytics, Social Media Monitoring, Predictive Analytics, Aufzeichnung von Verhaltensmustern, etc.).
Aber auch in ihren alten Kernaufgaben sind viele Marktforschungsabteilungen projektgetrieben: Ein interner Kunde äußert Informationsbedarfe, der Marktforscher "gießt" das in ein Studiendesign, ein Institut wird beauftragt, die Erhebung wird durchgeführt, die Ergebnisse präsentiert. Danach geht man zum nächsten Projekt über.
Die Folgen sind: Eine Fülle an Daten, die Struktur und Kondensierung benötigen. Ergebnisse einzelner Erhebungen und Analysen sollten gespiegelt werden an Learnings aus anderen Quellen, um zu "Insigts" zu gelangen.
marktforschung.de: Wie kommt man Ihrer Meinung nach zu Market Insights?
Christian Halemba: Was sind eigentlich "Insights"? Ist das nur ein neuer Begriff für "Findings"? Nach Ansicht einiger Kollegen, die eine Definition versucht haben, sollten Insights drei Kriterien erfüllen:
- Ein tiefes Verständnis über Marktmechanismen und Kundeneinstellungen, die über Findings aus einer Quelle hinausgehen
- Es sollte ein Erkenntniszugewinn sichtbar sein, der wertschöpfende Einblicke ermöglicht, die an den Unternehmenszielen ausgerichtet sind
- Die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen sollten sehr konkret formuliert sein
marktforschung.de: Sie schlagen eine Vorgehensweise vor, wie Daten sinnvoll in Unternehmen gesammelt und zirkuliert werden können. Können Sie uns Ihre Idee erläutern?
Christian Halemba: Mein Ansatz ist zunächst zu fragen: Was sollte man als Unternehmen über den Markt und die Kunden wissen? Ich habe dafür eine Checkliste entwickelt, die sieben Kategorien enthält (Markt, Kunden, Brand, etc). Für jede Kategorie gibt es eine Reihe von Fragen. Die Antworten sind z.T. im Unternehmen bekannt oder in Rohdaten/Reports verfügbar, aber noch nicht "entdeckt"/kommuniziert, andere müssen erhoben oder durch Analysen bereitgestellt werden. Man stellt auf diese Weise eine Vollständigkeit her und entzieht sich der Überflutung von Daten.
Bisher werden Daten/Ergebnisse/Insights präsentiert und/oder an einem Verteiler verschickt und/oder im Intranet oder anderen Datenbanken hinterlegt.
Die Art und Weise der Zirkulation (also der Verteilung des Wissens im Unternehmen) ist sehr wichtig: Es kommt darauf an, die richtigen Daten, zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Portionierung/Aufbereitung, an die richtigen Personen zu bringen. Oder mindestens einen Prozess zu installieren, der das ermöglicht.
Ich plädiere auch zusätzlich für Aufbau/Pflege einer Datenbank. Diese sollte allerdings nicht - wie heute üblich - nach Quellen strukturiert sein (Studie x, Report y), sondern nach "Topics" (Kunde, Brand, Product, etc.).
marktforschung.de: Wo sehen Sie die Aufgabe der Institute?
Christian Halemba: Die Institute haben keinen großen Handlungsspielraum, um in den Unternehmen das Market Insights Management zu unterstützen. Als eine Chance würde ich Erkenntniszugewinne betrachten, die aus dem qualitativen Bereich kommen könnten oder anderen Techniken, da wo man bisher auf Befragungen gesetzt hat.
Die Institute werden in Zukunft aber beobachten, dass ihre Kunden auch andere Quellen gleichberechtigt in die Wissensgenerierung einbeziehen (Inhouse Wissen durch Crowd Sourcing, Data Warehouse Analysen durch Data Mining, Social Media Monitoring und Web Analytics).
marktforschung.de: Herr Halemba, vielen Dank für dieses Gespräch!
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