Applied Science Vertrauenswürdige Werbung auf Social Media - Ein Paradoxon?

Ihre enorme Reichweite spricht klar für Kampagnen auf Plattformen wie Instagram, Facebook oder TikTok. Gleichzeitig gibt es keine Mediengattung, der weniger vertraut wird als Social Media. Also: Wie kann man seine Kampagne so gestalten und aussteuern, dass sie als vertrauenswürdig wahrgenommen wird? Genau das haben Carlson et al. in ihrer neuen Studie zur Kongruenz zwischen Nutzermotiv und Anzeigeninhalt untersucht. Die Marketing-Professoren Fretschner und Lüdtke fassen die Highlights für Sie zusammen.

Werbung auf Social Media gilt als so unvertrauenswürdig, wie auf keiner anderen Plattform (Bild: picture alliance / abaca | Joly Victor/ABACA).

Viel Reichweite + wenig Vertrauen = ?

Laut einer Studie von Spendesk beliefen sich die Ausgaben für Social-Media-Marketing in Deutschland im Jahr 2022 auf rund 2,3 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Anstieg von 231 Prozent gegenüber dem Jahr 2019. Der größte Anteil der Ausgaben entfiel auf Facebook (57 %), gefolgt von Instagram (27 %) und LinkedIn (12 %). Nichtsdestotrotz bleibt die Herausforderung bestehen, die Relevanz und Akzeptanz von Werbung auf Social-Media zu steigern, da lediglich 22 Prozent der Konsumierenden Social-Media-Werbeanzeigen vertrauen (emarketer, 2019).

Aus diesem Grund hat eine Forschenden-Gruppe um Jeffrey R. Carlson von der University of Richmond untersucht, wie das Vertrauen in Social-Media-Werbung durch die Motivation der Userinnen und User unterschiedlich beeinflusst wird. Laut Carlson et al. gibt es zwei Forschungsbereiche, die die komplexe Beziehung zwischen den Online-Motivationen der Verbraucher und deren Wahrnehmung von Online-Werbung behandeln. Der eine zeigt auf, dass diese das Internet aus verschiedenen Gründen nutzen, die ihre Einstellungen und Verhaltensweisen beim Surfen beeinflussen. Der andere betrachtet die Kongruenz, also den “Fit”, zwischen Werbeinhalt und -situation, und wie sich diese Kongruenz wiederum auf die Reaktionen auf Werbebotschaften auswirkt. Die Studie von Carlson et al. führt beide Bereiche erstmals zusammen.

State of the Art und Hypothesen zum Vertrauen in Social-Media-Werbung

Aus der Uses and Gratifications Theory (UGT) wissen wir, dass die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher aus einem der drei Motive Information, Entertainment oder Socializing online gehen.

  1. Die Informationsmotivation bezeichnet die Nutzung des Internets, um sich über aktuelle Ereignisse zu informieren und zu recherchieren,
  2. die soziale Interaktionsmotivation beschreibt die Nutzung des Internets, um mit Freunden, der Familie und anderen Personen in Kontakt zu treten, und
  3. die Unterhaltungsmotivation bezieht sich auf die Nutzung des Internets, um sich die Zeit zu vertreiben und unterhaltsame Aktivitäten zu betreiben.

Aus einer Vielzahl bisheriger Forschungsergebnisse wissen wir, dass Vertrauen eine entscheidende Rolle in der Werbewirksamkeit spielt und beeinflusst, wie Werbebotschaften aufgenommen werden. In dieser Studie wird das Vertrauen in Social-Media-Werbung in Abhängigkeit der drei Motive der UGT untersucht. Dabei vermutet das Autorenteam, dass das Vertrauen in Werbung in sozialen Medien größer ist, wenn die Online-Motivationen Unterhaltung oder soziale Motive sind, da hier Werbekontakte “gelernter” und erwarteter sind, im Gegensatz zu Settings mit informativer Motivation. So ist man es eher nicht gewohnt, mitten beim Lesen von Nachrichten durch Werbung unterbrochen zu werden.

Hypothese 1 lautet folglich: Das Vertrauen in Werbung auf Social Media ist größer, wenn die Userinnen und User aus einer unterhaltsamen oder sozialen Motivation online sind, und nicht aus einer informativen Motivation heraus.

Die Studie untersucht weiterhin die Rolle der Kongruenz zwischen Nutzermotiv und Werbeinhalt und dem resultierenden Effekt auf das Werbevertrauen im Kontext Social-Media. Hierbei gehen die Forschenden davon aus, dass Kongruenz zwischen der Motivation des Internetnutzers und dem Inhalt der Anzeige das Vertrauen in Abhängigkeit des jeweiligen Motivs Unterhaltung vs. Information beeinflusst.

Hypothese 2 lautet: Wenn Motivation und Werbeinhalt kongruent sind (vs. inkongruent), ist das Vertrauen in Werbung auf Social Media größer (bzw. geringer), wenn das Nutzungsmotiv Informationen sind.

Hierbei ist die Annahme, dass Nutzende, die aus einem bestimmten Beweggrund auf Social Media online sind und sich dort konkret über etwas informieren wollen, kognitiv engagiert sind und daher weniger bereit, inkongruenten “Unterbrechungen” wie Werbeanzeigen zu vertrauen. Genauso andersherum: Wenn man sich informieren möchte und dazu kongruente, relevante Werbeinhalte erhält, wirkt das vertrauensstiftend.

Der Effekt zum Motiv des Entertainments verläuft laut Hypothese 3 gegenläufig. Eine Unterhaltungsmotivation besteht darin, sich auf Genuss und Vergnügen zu konzentrieren. Dieser Zustand des Eskapismus reduziert das Gefühl der Kontrolle über die persönlichen Daten, was User damit assoziieren könnten, dass Vermarkter beim Schalten kongruenter unterhaltsamer Werbeanzeigen ihre Privatsphäre nicht respektieren (z.B. durch Echtzeit-Interessenstargeting). Das wiederum führt zu einem niedrigeren wahrgenommenen Vertrauensniveau. Entsprechend lautet

Hypothese 3: Wenn Motivation und Werbeinhalt kongruent sind (vs. inkongruent), ist das Vertrauen in Werbung auf Social Media geringer (bzw. größer), wenn das Nutzungsmotiv Unterhaltung ist.

Die Methodik

Der methodische Zugang der Forschenden um Carlson et al. bestand aus drei Studien, bestehend aus einer Qualtrics-Umfrage mit 409 Teilnehmenden sowie zwei Experimenten.

  • Für Experiment 1 wurden 136 Probanden in drei verschiedene Szenarien eingebunden. Das Szenario beziehungsweise die Manipulation des Informationsmotivs enthielt die Anweisung, online zu gehen, um die passende Ausrüstung für einen anstehenden Campingtrip zu recherchieren. Das Unterhaltungsmotiv band die Testpersonen in das Szenario ein, ihr Gefühl der Langeweile lindern zu wollen, einfach aus Gewohnheit im Internet zu surfen, sich die Zeit zu vertreiben und Spaß zu haben. In der Bedingung des sozialen Motivs wurden die Teilnehmenden angehalten, sich auf dem Laufenden zu halten, was bei ihren Freunden mit ähnlichen Interessen los ist und eigene Bilder von einer kürzlich unternommenen Reise zu posten.
  • Experiment 2 baut auf Experiment 1 auf, umfasst 284 Teilnehmende und komplettiert das Studiendesign durch die Ergänzung um zur jeweiligen Motivation korrespondierende Werbeanzeigen (informativ, unterhaltsam und sozial). Dadurch wird die zentrale Hypothese getestet, inwieweit Vertrauen in Social-Media-Werbung durch Werbe-Motiv-Kongruenz beeinflusst wird.

Ein zentrales Ergebnis: Das höchste Vertrauen gibt es bei informativer Werbe-Motiv-Kongruenz

Wie nachfolgende Abbildung zeigt, ist das Vertrauen in Social-Media-Werbung am höchsten, wenn die Motivation, online zu gehen, Informationen sind und der Inhalt der Werbeanzeige (in der Abbildung mit der englischen Abkürzung “Ad” bezeichnet) dazu kongruent ist. Das Autorenteam findet den gegenteiligen Effekt, wenn User von Social-Media online nach Unterhaltung suchen: Wenn die Motivation Unterhaltung ist und der Werbeinhalt kongruent, ist das Vertrauen der Studienteilnehmenden in die Werbung geringer als bei nicht kongruenter Motivation und Werbung. Für den Zusammenhang von sozialer Motivation und (in)kongruenter Ad konnten keine signifikanten Unterschiede beobachtet werden.

Abb. 1: Das größte Vertrauen in Social Media-Werbung gibt es, wenn der Inhalt der Ad zum Informationsmotiv passt, mit dem User gerade online sind. (Bild: Darstellung in Anlehnung an Carlson et al. 2022)

In a nutshell: Kongruenz ist (doch) kein Allheilmittel!

Die Studie zeigt erstmals, dass das Vertrauen in Social Media Werbung steigt, wenn ein Nutzer ein Informationsmotiv hat und der Inhalt der Social-Media-Werbung mit dem Informationsmotiv übereinstimmt.

Auf der anderen Seite ist das Vertrauen bei einem Entertainment-Motiv am größten, wenn der Inhalt der Werbung inkongruent ist, was eine kontra-intuitive und neue Erkenntnis in der Literatur zu Kongruenzeffekten darstellt. Hier gingen frühere Untersuchungen davon aus, dass Kongruenz im Allgemeinen die Werbewirksamkeit erhöht.

Die Erkenntnisse haben praktische Implikationen für Brand Manager und Entscheiderinnen in Mediaagenturen. Sie können durch die Berücksichtigung der Online-Motivationen ihrer Zielgruppen und die entsprechende Anpassung des Werbeinhalts an diese Motivationen (in Echtzeit) wirksamere Werbekampagnen distribuieren.

Die Ableitung der Nutzer-Motivation aus konsumierten Online-Inhalten ist zwar technisch anspruchsvoll, aber machbar, und wird - wie wir soeben gelernt haben - mit einer höheren Werbewirksamkeit belohnt. Werbenetzwerke und Vermarkter sollten also genau darauf achten, dass Nutzerinnen und Nutzer im “Lean Forward”-Motivationsmodus auch entsprechende informationsbasierten Anzeigen ausgespielt bekommen, während für User mit Entertainment-Motiv besser unkonventionelle, inkongruente Werbeinhalte passen.

 

Über die Personen

Prof. Dr. Jan-Paul Lüdtke ist Co-Gründer der smart impact GmbH sowie Professor und Studiengangsleiter für E-Commerce an der Fachhochschule Wedel.

Prof. Dr. Michael Fretschner ist Co-Gründer der smart impact GmbH und Professor für Marketing & E-Commerce an der NORDAKADEMIE Hochschule der Wirtschaft.

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