Versicherungsmarketing als Vertriebsunterstützer

Von Prof. Dr. Matthias Beenken
Die Versicherungsbranche war bis 1994 hoch reguliert. Dementsprechend spät entwickelten sich erst Marketingabteilungen und Marktforschungsaktivitäten.
Eine gemeinsame Studie der AMC Finanzmarkt GmbH, Köln, und der Fachhochschule Dortmund aus dem Jahr 2013 zeigt, dass die Marketingabteilungen meist noch eher als Anhängsel an die schon allein zahlenmäßig weit überwiegenden Vertriebsabteilungen der Versicherungsunternehmen geführt werden. Das widerspricht auf den ersten Blick dem klassischen Selbstverständnis des Marketings.
Regulierte Vergangenheit hemmt Marketing-Entwicklung
Bei näherem Hinsehen wird die Situation der Marketingabteilungen verständlicher. Bis 1994 waren wesentliche Funktionen wie die Produkt- und Preisgestaltung entbehrlich, weil im Grunde durch die Versicherungsaufsichtsbehörde vorgegeben. Wettbewerb vollzog sich daher in erster Linie über die Distributionsfunktion. Auch theoretisch spricht viel für einen starken Vertrieb. Versicherungen sind Dienstleistungen, deren immaterieller und nicht leicht verständlicher Charakter eine besonders umfangreiche vorvertragliche wie vertragliche Beratung notwendig macht. Der Kunde muss in die Dienstleistungserstellung einbezogen werden, deshalb übernimmt der Versicherungsvertrieb gleichzeitig einen wichtigen Teil der Produzentenfunktion.
Um die Strukturen, Aufgaben und Selbstverständnis der bestehenden Marketingabteilungen besser zu verstehen, wurden theoriebasiert strukturierte Interviews mit den Marketingverantwortlichen von 20 Versicherungsunternehmen verschiedener Größenklassen und Zielgruppenausrichtungen geführt. Die befragten Unternehmen repräsentieren 29 Prozent Marktanteil.
Adressat Vertrieb statt Kunde
Auffallend ist, dass nur jedes fünfte Unternehmen eine eigene Marketingdefinition besitzt. Der „Marketinggeist“ lässt sich so nur schwer im Unternehmen etablieren. Die vorhandenen Marketingbereiche sehen sich fast ausnahmslos als Unterstützer des Vertriebs, während weniger als die Hälfte ihre primäre Aufgabe in der Adressierung von Endkunden sieht.
Der Stellenwert wird auch darin deutlich, dass das Marketing zwar jeweils in einem Vorstandsressort verankert ist, dort aber regelmäßig gemeinsam mit dem Vertrieb oder diesem untergeordnet. Die Ressourcen sind sehr heterogen verteilt. Die Anzahl der Beschäftigten in den Marketingbereichen reicht von 5 bis 100 Personen oder knapp unter einem Prozent bis zu knapp 10 Prozent der insgesamt im Innendienst beschäftigten Mitarbeiter. Durchschnittlich sind 35 Personen (knapp 2 Prozent des Innendienstes) im Marketing tätig. Wenig überraschend, ist die personelle Ausstattung hochgradig positiv mit der Unternehmensgröße korreliert.
Ähnlich breit streuen auch die Angaben zu finanziellen Ressourcen. Gefragt war nach dem Marketing-Sachkostenbudget. Die Spannbreite reicht von knapp 400 TEUR bis 20 Mio. EUR oder prozentual von den Gesamtbeitragseinnahmen zwischen 0,3 und 2,3 Prozent.
Aufschlussreich sind auch die geclusterte Nennung von Bereichen innerhalb des Marketings und deren personelle Ausstattung. Drei Viertel der Befragten haben einen Bereich Werbung, der zudem mit durchschnittlich 18 Personen am besten personell ausgestattet ist. Nur die Hälfte der befragten Unternehmen hat die Unternehmenskommunikation in der Verantwortung der Marketingabteilung. Ähnlich verteilt sind die Bereiche Markenmanagement und Verkaufsförderung. Gerade noch jeder fünfte Versicherer verfügt über einen Bereich Marktforschung.
Produktmanagement oft noch in Spartenverantwortung
Bei den von den Marketingbereichen erfüllten Aufgaben fällt auf, dass innerhalb des strategischen Marketings von gut der Hälfte der befragten Unternehmen die Vertriebsplanung ausgeklammert wird. Bei der Marktforschung gibt es Nachholbedarf beim Geomarketing, das nur von 13 befragten Unternehmen betrieben wird. Eine der regulierten Vergangenheit geschuldete Besonderheit stellt das Produktmanagement dar, das immer noch nicht selbstverständlich im Marketing angesiedelt ist. In der traditionellen Gliederung eines Versicherers war dies die Aufgabe der Versicherungsspartenabteilungen, in denen auch die für die Tarifkalkulation verantwortlichen Aktuare ansässig sind.
Im Aufgabenbereich Kommunikation ergibt sich ein sehr differenziertes Bild. Während Werbung, Corporate Design und Verkaufsförderung fast selbstverständlich zu den Aufgaben der Marketingabteilungen gehören, sind Unternehmenskommunikation, PR und Sponsoring eher selten dort angesiedelt. Unter den Marketing-Services wird in gut drei Viertel der Fälle das Marketing-Berichtswesen genannt. Dagegen sind beispielsweise kundengerichtete Services wie das Beschwerdemanagement, Hotlines und Assistance nur in Ausnahmefällen im Marketing angesiedelt. Dasselbe gilt für Distributionsfunktionen, selbst dann, wenn es sich um telefonischen bzw. Internet-Direktverkauf handelt. Gegenüber dem Vertrieb ist das Marketing nur für die Verkaufsförderung der Vertriebsmitarbeiter und der Erstellung von schulungsbegleitenden Maßnahmen gefragt, das aber in drei Viertel aller Fälle.
Umfeld- und Vertriebsentwicklung wichtiger als Kunde
Die Marketingabteilungen sehen ihre wichtigsten Herausforderungen in der allgemein politisch-gesellschaftlichen Entwicklung sowie in der Wettbewerbsentwicklung. Das ist verständlich, hängt doch der wettbewerbliche Spielraum der Versicherer in erster Linie von gesetzlichen Vorgaben ab, da sich der Bedarf an privaten Versicherungen vielfach in Abgrenzung zur Sozialversicherung definiert und damit immer wieder Änderungen unterworfen ist. Zudem herrscht immer noch eine sehr hohe Wettbewerbsintensität vor. Neben schätzungsweise 30 größeren konkurrieren weit über 100 kleinere und kleinste Versicherungsgruppen teilweise in Nischenmärkten miteinander. Bezeichnend ist allerdings, dass unter den Nennungen der Herausforderungen Kundenorientierung erst auf dem dritten Platz folgt, noch nach der Absatzförderung.
Das spricht dafür, dass die Entwicklung des Versicherungsmarketings noch bei weitem nicht den beispielsweise aus der Konsumgüterindustrie und dem Handel bekannten Reifegrad erreicht hat. Es fällt nicht schwer zu prognostizieren, dass Versicherungsunternehmen noch eine lange Entwicklung ihres Marketings vor sich haben. Die momentane Vielzahl an gesetzgeberischen Maßnahmen, bei denen auf die Interessen der Versicherungsunternehmen und ihres Vertriebs wenig Rücksicht genommen wird, spricht für einen erheblichen Nachholbedarf an besserem Kundenverständnis und entsprechend reiferem Auftreten am Markt. Versicherer sollten vor allem weit mehr in ihre Markenführung sowie allgemein in die Wertschätzung ihrer Dienstleistung und Vertrauensbildung bei den Kunden investieren. Die Branche hat durch öffentlichkeitswirksame Skandale und manche erschreckend autistische Reaktionen auf Verbraucherschutzanforderungen und Gerichtsurteile Vertrauen verspielt. Dienstleister brauchen aber ein Grundvertrauen in ihre Leistung als fruchtbaren Boden für erfolgreiche Geschäfte.
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