Martins Menetekel Unübersichtliche Gemengelage: 3. Welle oder nicht?

Ziel dieser Kolumne ist es, die LeserInnen zu befähigen, sich selbstständig ein Urteil über Lage und mögliche Entwicklungen der Pandemie in Deutschland zu machen. Es liegt an ihnen, welche Folgerungen sie aus dem Widerspruch harte Bekämpfung der Ausbreitung der Krankheit gegen harte Folgerungen für Menschen und Wirtschaft ziehen. Gleichzeitig liefere ich mathematische Hintergründe, die Licht darüber scheinen lassen sollen, ob und wie Modelle das Geschehen abbilden und Prognosen ermöglichen.
Fakt ist, dass alle Kennziffern in die falsche Richtung weisen.

Der Reproduktionsfaktor R und die Quotienten der täglichen Zuwächse liegen derzeit konstant über 1, das Mittel von R beträgt geglättet 1,03 , viel zu hoch, um die Pandemie zu stoppen. Ziel ist R bei 0,5 , dazu müsste über die Hälfte der Bevölkerung immun sein. Derzeit sind aber nur 3,76 Prozent zweifach geimpft und hoffentlich immun. Wenn man bedenkt, dass dieses hohe R auf einer in der gesamten Bevölkerung verbreiteten Viruspopulation beruht, ist jede Befürchtung vor einer 3. Welle berechtigt.
Seit ein paar Tagen steigt R wieder
Die Inzidenzzahlen, das heißt die Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner bezogen, steigen unaufhörlich und liegen bei etwas über 90. In den USA wurden sie auf 40 gedrückt, ein zweifelsfreier Erfolg der massiven Impfkampagne. Dort haben schon über 20 Prozent eine Zweitimpfung und ca. 1/3 die Erstimpfung. Deren R ist schon um etwa 0,8 verringert worden.
Die Frage: "3. Welle oder nicht?", erfordert die Analyse der Zuwächse aller Fallzahlen seit März 2020, solange verfolge ich die Pandemie in Deutschland. Hier die Grafik der Zu- und Abnahmen der ersten Ableitung als Annäherung an die Zuwächse pro Tag: Grob betrachtet hatten wir das erste Maximum um den 3. April, gleichzeitig der Wendepunkt der Fallzahlen und die erste Nullstelle der zweiten Ableitung. Dann ging es bis Mitte Juni gleichmäßig bergab, unsere Verhulstkurve damals war eine sehr gute Prognosekurve. Die richtigen Fehler wurden ab Oktober gemacht. Die zweite verbeulte Welle wurde ab dem 7. Januar ständig kleiner und erreichte ihr Minimum um den 11. Februar, seit dem geht es wieder für das Virus bergauf und für uns Menschen bergab!

Rein mathematisch ist es der Beginn einer dritten Welle, denn die letzten 4 Wochen kann eine noch so wohlwollend interpretierte Verhulstfunktion nicht ausgleichen. Zur Zeit ist nur eine Exponentialfunktion mit einem b > 1 (b = c = 1,0065) in der Lage, die Zeitreihe zu approximieren.
Sie ist nur Referenz, ob es schlimmer oder besser wird.

Vielleicht hat mein Beitrag der letzten Woche einige verwirrt. Wie kann es sein, dass bei dem Ansatz E-Funktion die Integrationskonstante das eine Mal obere Schranke, das andere Mal unterer Sockel sein kann?
Dazu ein mathematischer Leckerbissen über die E-Funktionen für alle, die es interessiert, alle anderen können es schlicht und einfach übergehen.
Exponentielle Funktionen exp(t) sind durch die Eigenschaft exp(t+1)/exp(t) = b konstant gekennzeichnet. Es sei exp(0) = A und t laufe von 0 über 1 zur 2, zur 3 , zur 4 und so weiter. Daraus folgt sofort: exp(1) = exp(0) * b = Ab ,denn es ist exp(2) = exp(1)*b = Ab2, exp(3) = Ab3 und so weiter.
Wichtig ist es, die Ableitung einer Exponentialfunktion exp(t) = Abt zu bestimmen: Zur Erinnerung: Die Ableitung f'(t) ist der Grenzwert, den der Differenzenquotient(f(t+h) - f(t))/h bei Übergang zu immer kleinerem h erreicht, h kann positiv oder negativ sein, h darf nie 0 sein, der Betrag muss kleiner werden.
Berechnen tut man ihn, in dem der Zähler f(t+h) - f(t) solange umgeformt wird, bis man h ausklammern und gegen das h im Nenner kürzen kann. Danach kann man direkt die übriggebliebenen h's zu Null setzen. Man kann sich also bei dem Differenzenquotienten die ganze Limesbetrachtung ersparen!!
Es sei e die Eulersche Zahl e = 2,718281828 .........
Zur Erinnerung: e wird definiert durch den Grenzwert, wenn man in dem Term (1 + 1/n)n n immer größer werden lässt. Das kann man wunderbar in einem Tabellenkalkulationsprogramm simulieren, aber aufgepasst, n muss weit über 1000 sein, damit obiger Wert 2,71828 erreicht wird. Die Zahlenfolge (1 + 1/n)n ist monoton wachsend, die Differenzen zwischen zwei aufeinander folgenden Zahlen sind alle positiv und werden mit jedem n kleiner.
Jetzt kommt der Leckerbissen:
Wir wollen für et die Ableitung bestimmen: (et+h - et )/h , wenn h immer kleiner wird. Für e können wir nur e(n) = (1 + 1/n)n für n sehr groß einsetzen, so ist e definiert. Ganz einfach: n wird sehr groß und h sehr klein, also setzen wir h = 1/n und lassen nur n wachsen. Dann können wir in (et+h - et )/h et ausklammern und erhalten et *(eh - 1 )/h und müssen nur ein für allemal den Term ( eh -1)/h für h immer kleiner ausrechnen, und das ist ganz leicht:
Wir zeigen, dass der Ausdruck gegen 1 strebt, und wir sind fertig: Da n gegen unendlich strebt, setzen wir h = 1/n, dann wird h immer kleiner und es ist h*n = 1(e(n)h - 1)/h = (1 + 1/n)n h -1)/h = (1 + h)nh -1)/h = (1 +h -1)/h = h/h = 1 für alle Paare n und h mit h*n = 1. Wenn aber in der Doppelfolge immer der direkte Wert 1 auftaucht, muss das der Grenzwert sein. Toll!
So sieht der Verlauf der Differenzenquotienten aus, wenn n größer und h kleiner werden.

Fazit:
Die einzigen Funktionen, bei denen gilt f'(x) = f(x) sind die Funktionen Aex mit e diese Eulersche Zahl, oft geschrieben als Aexp(x) . Wegen b = exp(ln(b)) ist dann die Ableitung von Abt die Funktion ln(b)*Abt und eine Integration oder Stammfunktion oder Aufleitung ist Abt/ln(b). Dazu kommt immer noch eine Integrationskonstante I . Jede Stammfunktion ist Abt/ln(b) + I
Jetzt sind wir fertig: Ist b < 1 so fällt Abt ständig gegen 0 für große t und der ln(b) ist negativ, die Stammfunktion Abt/ln(b) ist negativ und I ist obere Schranke.
Ist b > 1 so sind wir in der Wachstumsphase, nur für t gegen große Minuswerte wird Abt sehr klein und I ist unterer Sockel.
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/mvw
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