Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung "Unter der Hand erfährt man schon von dem einen oder anderen begründeten Verdacht"

Die "Akte Marktforschung" beschäftigt auch weiterhin die Gemüter der Marktforscher. Prof. Dr. Raimund Wildner, Vorstandsvorsitzender des Rates der Deutschen Markt- und Sozialforschung, wendet sich nun in einem offenen Brief an die Branche. Sein Appell: Marktforscher sollten bei Verstößen gegen die Standesregeln eine Beschwerde beim Rat einreichen.

Raimund Wildner (Bild: GfK Verein)

Raimund Wildner (Bild: GfK Verein)

Von Prof. Dr. Raimund Wildner

Der Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung hat das Ziel, die Einhaltung der Berufsgrundsätze und der Standesregeln der Markt- und Sozialforschung zu fördern. Dazu zählen auch die Qualitätsstandards, wie sie im ESOMAR-Kodex niedergelegt sind.

Betrachtet man nun die von Spiegel Online publizierten Betrugsvorwürfe, dann ist ganz klar und es bedarf keiner Diskussion: Das Erfinden von Interviews widerspricht diesen Qualitätsstandards diametral. Marktforscher müssen nach wissenschaftlichen Grundsätzen vorgehen, sie müssen die angewandten Methoden transparent dokumentieren. Dies alles ist bei erfundenen Interviews nicht der Fall. Darüber hinaus ist es schlicht Betrug und damit ein Straftatbestand. Der Rat verurteilt daher sehr deutlich alle Betrugsfälle in der Markt- und Sozialforschung.

Daraus folgt nun die Frage: Wenn nun der Rat die Einhaltung auch der Qualitätsstandards verfolgt, wie tut er dies konkret? Obwohl der Rat natürlich kein Gerichtshof ist (- ein solcher kann nur vom Staat oder überstaatlichen Stellen eingerichtet werden -), so lässt sich seine Vorgehensweise am besten mit dem Bild eines Gerichts erläutern. Ein Gericht verfolgt das Ziel, dass die Gesetze eingehalten werden, indem es Klagen annimmt, diese untersucht und dann zu einem Urteil kommt. Es tut dies aber nicht, indem es von sich aus zum Beispiel Betrugsfällen oder Diebstählen nachgeht.

Ähnlich wie ein Gericht wird auch der Rat nur tätig, wenn es einen Kläger gibt, wenn also eine Beschwerde über eine Person oder eine Firma eingereicht wird, die in der Marktforschung tätig ist oder dies behauptet. Dann wird dieser Fall einer der beiden Beschwerdekammern zugeteilt und dort untersucht. Bei schweren Verfehlungen kann die Kammer das Verhalten rügen, was dann auch mit den Gründen für diese Rüge veröffentlicht wird. Es ist klar, dass ein Unternehmen, das öffentlich für Betrug gerügt wird, es sehr schwer haben wird, neue Aufträge zu akquirieren.

Leider ist es so, dass Betrugsfälle zumindest in letzter Zeit nicht an den Rat herangetragen wurden. Unter der Hand erfährt man schon von dem einen oder anderen begründeten Verdacht. Entweder fehlt der letzte Beweis oder es wird der Aufwand einer Klage gescheut oder aber man einigt sich mit dem Betrüger und ein Teil der Einigung ist, dass über den Fall Stillschweigen vereinbart ist – wie auch immer: Im Ergebnis sind diese Betrugsfälle nicht an den Rat herangetragen worden.

Dabei ist ganz klar: Wenn Betrugsfälle nicht von der Branche selbst verfolgt werden, sondern durch die Presse gehen, dann schadet das der gesamten Profession. Von daher möchte ich an alle Markt- und Sozialforscher appellieren, bei Verstößen gegen die Standesregeln eine Beschwerde beim Rat einzureichen. Hinweise dazu finden sich auf der Website des Rates: www.rat-marktforschung.de.

 

Diskutieren Sie mit!     

  1. Torsten Brammer am 27.02.2018
    Ich denke, eine solche öffentliche Erinnerung an das Schweigegelübde ist für die Branche auch nicht wirklich hilfreich.
  2. Raimund Wildner am 27.02.2018
    Es geht um kein Schweigegelübde, weder fordert jemand ein solches ein noch hat das jemand geleistet. Jeder hat selbstverständlich das Recht, zur Staatsanwaltschaft zu gehen oder die Presse zu informieren. Vielleicht war das hier ja auch notwendig. Künftig bietet sich aber an, solche Dinge auf einer niedrigeren Stufe der Eskalationsleiter zu lösen und da ist - so glaube ich - der Rat eine gute Lösung. Anschließend Schadenersatz zu fordern oder wegen Betrugs anzuzeigen, das bleibt immer noch unbenommen.
  3. Peter Wiegelmann am 27.02.2018
    Lieber Herr Wildner,
    Ihren Worten kann ich nur beipflichten.
    Meines Erachtens nach sollte es allerdings ein größeres Maß an Transparenz zumindest am Ende des Beschwerdeprozesses geben. Als Ergebnis des Verfahrens sieht die Beschwerdeordnung ausschließlich bei einer erteilten Rüge eine Veröffentlichung des Sachverhaltes vor. Bei den abgeschwächten Urteilen, wie einer Missbilligung (zweitschlimmstes Urteil) oder eines Hinweises (drittschlimmstes Urteil) gibt es keine Veröffentlichung des Sachverhaltes. Nur in Ausnahmefällen kann in anonymisierter Form veröffentlicht werden. Diese Kannbestimmung ist aus meiner Sicht nicht ausreichend.
    Es sollten stattdessen alle Einreichungen und deren Urteile veröffentlicht werden. Auch wenn bei den milderen Urteilen nicht Ross und Reiter benannt werden, muss zumindest die Ausgangsproblematik in anonymisierter Form der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Es nutzt der Branche überhaupt nichts, wenn ausschließlich die Beschwerdekammer von den Missständen Kenntnis erlangt.
    Da der Rat eine gemeinsame Institution der deutschen Marktforschungsverbände ist, würde mehr Transparenz auch der Gefahr entgegenwirken, dass sich bei mach einem das Bild des Glashauses inkl. nicht genutzter Steine manifestiert.

    Mit freundlichen und kollegialen Grüßen
    Peter Wiegelmann

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