Und jährlich stirbt der Lebkuchen! – Eine marktpsychologische Betrachtung von Dr. Uwe Lebok

Dr. Uwe Lebok, K&A BrandResearch
In "Täglich grüßt das Murmeltier" wacht der Schauspieler Bill Murray in der Kleinstadt Punxsutawney tagtäglich auf und erlebt dieselbe Geschichte, bis er überfahren wird und am nächsten Tag wieder in seinem Hotelbett erwacht. Analog stirbt auch jährlich der Lebkuchen, wenn die Weihnachtszeit vorbei ist. Zwar kommen sie wieder, der Lebkuchen, die Printen und die Lindor-Kugel, aber erst so richtig im nächsten Spätherbst. So vielversprechend Saisonalität für viele Markenartikler sein kann, um Marken über Line Extensions neu zu beleben, so "schwer wie ein Mühlstein" kann der Jahreszeitenbezug auch sein. Für Marken und für ganze Produktkategorien.
Je stärker das Bild eines Zeitraumes oder eines situativen Kontextes mit bestimmten Erwartungen an Kategorien oder Markenerlebnissen geknüpft ist, desto schwerer fällt eine Ausweitung der Zeiträume über solche Kategorien. Wir lieben Wiederholungen. Und manch eine Stereotypisierung von Erwartungen, dazu passenden Produkten und Abläufen gehört einfach dazu, macht uns in solchen Situationen einfach (noch) glücklicher. Was wären sonst Weihnachtsmärkte ohne Glühwein, Hochzeitsfeiern ohne Brautkleid, Ostern ohne Ostereier oder Fußballstadien ohne Bier?
Menschen leben Zeiten
… und Zeiten prägen uns Menschen. Solche Zeiten sind Lebensphasen, aber einfach auch nur tradierte Zeiträume und Jahreszeiten. Wiederholungen (insbesondere, wenn diese emotional positiv besetzt sind) schenken uns Sicherheit. Wir können uns aufgrund der bisherigen Erfahrungen und Erlebnisse noch besser auf diese Zeit einlassen.
Wenn es Frühling wird, stellen wir uns relativ schnell und gern um. Insbesondere nach besonders trüben und langen Monaten mit Kälte und Nässe. Wir nehmen intensiver das Zwitschern der Vögel wahr, das Blühen von Magnolien und Löwenzahn und freuen uns, wenn die natürlichen Anzeichen über einzelnen Marken verstärkt werden. Wenn das Leben draußen erblüht, treibt es uns raus aus dem Haus, manch einen hormonell "auf die Pirsch" oder auch nur "rein in den Baumarkt". Im Frühling suchen wir nicht nur für Garten und Balkon Veränderung. Aber in jedem Fall auch für dieses Segment. Nicht umsonst erleben Baumärkte und Gartencenter "Blumen-Hochkultur" und fördern diese Stimmung im Frühjahr durch entsprechende Begleitmaßnahmen.
Schließlich folgt das (kurze) Frühjahr in Zentraleuropa einer warmen Jahreszeit, wo wir gerne "draußen zu Hause" sind. Frei nach dem Motto "Grillmeister aller Länder, vereinigt euch!" brutzelt es überall im Freien, in Gärten und auf Balkonen. Deutschland folgt der Fleischeslust! Und mancherorts fragt sich der eine oder andere "Grillprofi": Wer hat den schönsten (Weber) Grill?
Das Gute am jahreszeitlichen Wechsel in Mitteleuropa: Irgendwann ist alles vorbei - und kommt im nächsten Jahr wieder! Nach Sommer und "goldenem Herbst" folgt eine Phase mit gedämpfter Stimmung, Sehnsucht nach Geborgenheit, schönem Wohnen in den eigenen vier Wänden. Trotz Halloween, Kürbissuppe und Zwiebelkuchen überwiegen in dieser Jahreszeit mit grauen, nasskalten Tagen Bilder von Nebel, Schnupfen und Totenglocken. Aber bereits während dieser grauen Tage und dunklen Nächte wächst die Vorfreude auf Weihnachten, auf Nikoläuse, auf "die Freude unterm Tannenbaum". Auch wenn manchmal das omnipräsente "Kling-Glöckchen-Klingelingeling" nerven mag, spüren wir, dass etwas passiert. Wir können es riechen, sehen und erleben. Es stimmt uns ein. Vielleicht auch nur folklorisch und viel weniger religiös als einst erdacht.
Der Friedhof der Weihnachtsbäume
Das emotional Schöne an Weihnachten ist, dass die Mehrheit von uns bestrebt ist, besonders "nett zu sein". Kaum einer möchte zu Mr. Scrooge mutieren und man hat als Außenstehender das Gefühl, in wenigen Wochen möchte das Gros der Bevölkerung das nachholen, was christlich mit "Gutes tun" umschrieben wird. Begleitet mit einem erhöhten Spendenaufkommen und dem alljährlichen Weihnachtskaufrausch. Nicht nur der Handel reibt sich die Hände – auch wir, denn wir toppen das Gute am Weihnachtsfest durch noch mehr "Gutes", indem wir es uns mit noch mehr (dingliche) "Wärme" einkaufen.
Plötzlich ist alles aus: Abgeschmückt ist wie abgeschminkt! Alles hat ein Ende. Lametta, Rauschgoldengel, Christbaumkugeln und Weihnachtsmänner haben ihren Dienst erfüllt und landen auf den Wühltischen der Nachsaison. Innerhalb weniger Tage degeneriert "Gloria in excelsis deo" zum Ramschartikel. Und der einst wohltuende Duft der Tannennadeln im Wohnzimmer hat ausgedient: die Christbäume finden ihr eigenes Krematorium und laden auf dem Friedhof der Weihnachtsbäume!
Für manch einen Markenartikler ist das nur der Anfang: Nach der Saison ist vor der Saison! Nach Weihnachten folgen Umtausch-Aktionen und Preiskracher, Ski-Heil, Fasching und Karneval oder eben nur KNUT. Für IKEA ist das Ende der Weihnachtsbäume ein Segen für einen Neuanfang! Nicht nur die Bäume sollten ausrangiert werden, sondern auch das Weihnachtsgeld sinnvoll für einen neuen, frischen Design-Anstrich in den eigenen vier Wänden eingesetzt werden. Lebst du schon, oder wohnst du noch?
Doch nicht für jeden Markenartikler führt das Ende einer Saison zu einer Vorfreude auf die nachfolgende. Pralinen, Marzipan, Aachener Printen, Ofenkäse und Hustenbonbons finden nur schwer einen automatischen Zugang in die wärmeren Jahreszeiten.
Am härtesten trifft es den Lebkuchen. Wie die Bratwurst ist auch das Original mit der Stadt Nürnberg seit Jahrhunderten unmissverständlich verknüpft. Der Lebkuchen ist darüber hinaus auch mit Weihnachten, Weihnachtsmärkten und damit über den "Christkindlsmarkt" auch wieder kognitiv mit Nürnberg verankert. Der Lebkuchen ist, wenn man so will, ein Synonym für "traditionelle Weihnachten in Deutschland" geworden. In den Wochen vor Weihnachten lässt sich dies auch durch verschiedene Merchandising-Aktivitäten unterstützen. Viele nostalgisch anmutende Blechdosen für "süße" Geschenke und Sondereditionen lassen das Lebkuchenherz höher schlagen und führen stets zu einer lukrativen Weihnachtssaison. Ab dem 24.12. eines Jahres will aber kaum noch einer im Lande etwas vom Lebkuchenmann wissen. Plötzlich schmeckt "Weihnachten" nicht mehr und somit auch der Lebkuchen. Folge: Die Produktion steht still bis zur nächsten Saison! Eine Wiederauferstehung erfolgt erst wieder im Oktober des nächsten Jahres. Die diversen Lebkuchenherzen an Volksfesten können aufgrund ihrer geringen Nachhaltigkeit nur wenig über den zwischenzeitlichen "Knock-out" hinwegtäuschen.
Nur wer wirklich sucht …
Findet auch Lösungen, um sich von einem möglichen Mühlstein der Saisonalität zu befreien. Wie für alle Dinge gilt auch hier: einfach nur auf der Straße herumzulaufen, stolpert nur selten in den Erfolg. Eine eindeutig erlebbare Marke mit für Konsumenten relevanten Positionierung und prägnanter Markenpersönlichkeit kann ein Schlüssel für neue Wege und Märkte sein (vgl. Abb. 1). Je stärker eine Marke mit einer Saison verbunden und in einer Produktkategorie oder Branche verankert ist, desto schwieriger wird ein Ausbruch. Gelingt es aber, die Marke stärker in ihrer Wahrnehmung zu konkretisieren, dann kann sie sich auch besser weiterentwickeln und vom bestehenden Bild eines Saisonartikels differenzieren.
Abb. 1: Markenaufladung als Chance bei saisonaler Limitierung
Dass sich "Niedergang" auch positiv umdeuten lässt, zeigt der "Fenstersturz der Weihnachtsbäume" von IKEA. Auch ein "Prösterchen" am Morgen galt lange Zeit als verpönt; aber Aperol (und seine Nachahmer) machten es möglich, dass man (oder besser: Frau) sich nicht mehr zu schämen braucht, wenn bereits vormittags auf die Freundschaft und gute Nachbarschaft (mit Alkohol) angestoßen wird. Auch Rougette schmeckt nicht nur im Ofen zur kalten Jahreszeit, sondern auch in der Pfanne - heiß serviert oder auf dem Grill.
"Die Utopien von heute sind die Realität von morgen" lautet ein Zitat von Thomas More. Vor 100 Jahren galt es als undenkbar, dass Frauen Hosen tragen und es doch irgendwie zum guten Ton gehört. Warum nicht auch Kajal für Männer, außerhalb von Piratenfilmen, Theater oder Rockmusik? Warum nicht Milch am Abend oder Bier zum Frühstück? Oder deutsche Bier-Events mit internationaler Beliebtheit nicht nur im Oktober? Oder süße Momente eines Lebkuchen- oder Printen-Herstellers nicht nur zu Weihnachten?
Wer hinterfragt, wird auch Lösungen finden. Dazu verhelfen markenpsychologische Insights, die aktuelle "Verbraucherwahrheiten" verstehen und projektiv nach Möglichkeiten suchen, wie sich Schemata modifizieren lassen und welche Rolle dabei bestimmte Marken spielen müssen. Trivial sind Fragen eines BrandStretch über eine Saison hinaus niemals zu beantworten. Erst recht, wenn Marke, Kategorie und Saison in ihrer Wahrnehmung scheinbar eine unverrückbare Einheit bilden. Nur aber den Mutigen, die ihre potenziellen Kunden tatsächlich verstehen wollen und nach Schlüssel für vermeintliche Problemlösungen suchen, winkt letztlich der Sieg. So war das gestern, so wird es auch morgen sein!
Über den Autor:
Dr. Uwe Lebok ist als CMO und Partner bei K&A BrandResearch verantwortlich für das operative Geschäft.
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