Holger Geißler, DCORE Umgang mit Panel-Teilnehmern: Höflichkeit würde schon helfen

Holger Geißler (Bild: Alex Schelbert)
Wie soll man auf so etwas reagieren?
Stellen Sie sich bitte folgendes vor: Jemand, den Sie kürzlich kennengelernt haben, den Sie sympathisch gefunden und mit dem Sie Kontaktdaten ausgetauscht haben, ruft Sie eines Vormittags an. Es sei dringend, ob man am Abend telefonieren könne, es gäbe da einige wichtige Fragen, die er gerne mit Ihnen klären würde. Ihre Meinung in einer bestimmten Sache sei ihm sehr wichtig. "Kein Problem" sagen Sie und verabreden sich für ein Telefonat. Pünktlich rufen Sie Ihren Bekannten an. Er meldet sich sofort, fragt Sie ein paar allgemeine Fragen, wie alt Sie eigentlich sind, welchen Schulabschluss Sie haben, in welchem Bundesland Sie wohnen. Danach legt er unvermittelt auf. Sie wundern sich. Sie sind etwas verwirrt, aber vielleicht war sein Akku leer.
Eine Woche später ruft Ihr neuer Bekannter erneut bei Ihnen an. Er erwähnt das letzte Telefonat mit keinem Wort. Er hat ein dringendes Anliegen, möchte ein paar Fragen mit Ihnen klären. Er sagt, er wäre Ihnen sehr dankbar und hätte auch eine Belohnung für sie. Naja, sie sind noch immer etwas verwundert wegen letzter Woche, aber mit der Aussicht auf die Belohnung verabreden Sie sich und geben ihm eine zweite Chance. Pünktlich rufen Sie Ihren Bekannten an. Er stellt Ihnen genau die gleichen Fragen wie in der Woche davor, möchte zusätzlich noch wissen, welche Fernsehsender Sie in der letzten Woche angeschaut haben. Als er Ihre Antwort vernommen hat, legt er abrupt auf. Ohne die versprochene Belohnung auch nur mit einem Wort zu erwähnen.
- Was würden Sie nun tun, wenn ihr Bekannter in der nächsten Woche erneut anruft?
- Würden Sie ihn zur Rede stellen?
- Würden Sie überhaupt noch reagieren?
- Würden Sie sich noch einmal mit ihm auf ein Telefonat verabreden?
Ich würde das nicht tun. Ich würde vielleicht versuchen herauszufinden, ob es ihm noch ganz gut geht und würde ihm empfehlen, sich an jemand anderes zu wenden, mit dem er dieses komische Spielchen spielen kann. Vielleicht würde ich sogar seine Telefonnummer sperren.
Was hat das alles mit Marktforschung zu tun?
Vielleicht fragen Sie sich inzwischen, was dieses zugegebenermaßen etwas skurril anmutende Szenario eigentlich mit Marktforschung zu tun hat. Das möchte ich Ihnen erklären:
Genauso geht ein Online-Access-Panel, in dem ich mich vor ein paar Wochen registriert habe, mit mir um. Versprochen wurden mir tolle Umfragen zum Thema Medien und eine monetäre Belohnung. Was mir seitdem widerfahren ist, folgt exakt dem obigen Ablauf - mit genau zwei Unterschieden: Die Kommunikation findet per E-Mail und nicht telefonisch statt. Und ich habe jeweils kurz nach Eintreffen der Einladung reagiert und nicht erst am Abend.
"0,80 € für Ihre Meinung" heißt es da im Betreff. "Sehr geehrter Herr Geißler, freuen Sie sich: Wir haben Sie für eine neue Umfrage ausgewählt. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass diese Umfrage nur zeitlich begrenzt verfügbar ist. Wir freuen uns schon auf Ihre Antworten und danken für Ihre Teilnahme!" Die ersten drei Male habe ich unmittelbar darauf reagiert, habe etliche allgemeine Fragen beantwortet (Screening-Fragen, immer die Gleichen) und bin dann ohne Incentive oder sonst eine Erklärung rausgeworfen worden. Von den 80 Cent keine Spur. Mein Panel-Konto ist immer noch leer.
Zumindest bedanken könnte man sich
Das Online-Access-Panel, das ich nicht namentlich nennen möchte, weil es meiner Meinung kein Einzelfall ist, ist Mitglied im BVM, DGOF, Esomar und außerdem zertifiziert. Es verstößt, soweit ich das sehe, mit dem oben beschriebenen Verhalten auch gegen keine Marktforschungsrichtlinie, von daher könnte ich das Verhalten auch nicht vor den Rat der deutschen Markt- und Sozialforschung bringen. Dennoch empfinde ich das Verhalten des Panels mir gegenüber als unhöflich. Da hilft auch das vorab in der Mail geschriebene "Danke für Ihre Teilnahme" nicht weiter, dass mir erst jetzt beim Nachlesen der Einladungsmail überhaupt aufgefallen ist.
Das Unternehmen schreibt von sich selbst, es achte auf hohe Qualität und sei technisch innovativ. Auf User Experience, Anstand und Höflichkeit achtet es dagegen offensichtlich nicht. Das ist schade für mich und andere Menschen, die gewillt sind, an Online-Umfragen teilzunehmen. Es ist erstaunlich, dass in Zeiten, wo die ganze Welt von künstlicher Intelligenz, Customer Centricity und UX spricht, es offensichtlich immer noch Online-Panels gibt, die Panelisten genauso wie oben beschrieben behandeln.
Das es auch anders geht, kenne ich noch aus meiner Tätigkeit bei einem anderen großen Panelanbieter (und ich vermute es gibt ähnliche Verfahren bei anderen Anbietern): Hier wird das sogenannte Turbo Sampling eingesetzt, mit dem gewährleistet wird, dass der Befragte immer eine bezahlte Umfrage bekommt. Selbst wenn man aus-gescreent wird, landet man automatisch in einer anderen Umfrage. Solange bis man eine Umfrage bekommt, zu der man passt. Ich dachte, dass ein solches Routing mittlerweile Standard bei allen Panels ist. Leider ist es das nicht.
Aber selbst, wenn man ein solches Routing trotz allem Willen zur Innovation nicht programmiert bekommt, könnte man zumindest eine Screen-Out-Seite einblenden, auf der steht: "Danke für Ihre Teilnahme! Leider gehören sie nicht zu der Zielgruppe, die wir gerade suchen." Und als kleinen Trost bekommt der Screen-Out zumindest ein paar Panelpunkte zugeschrieben. Das wäre zwar nicht technisch innovativ, aber wenigstens höflich.
Braucht es wirklich ein Appell oder sollte das nicht selbstverständlich sein?
Wir sprechen viel von Qualität in der Marktforschung heutzutage. Und das ist richtig so. Dabei sollten wir die Höflichkeit gegenüber Befragten (und alle anderen auch) nicht vergessen. Damit es cooler klingt, könnten wir es auch unter "User Experience" einsortieren und überlegen, wie wir die "Panel-Teilnehmer Experience" verbessern könnten.
Im ICC/Esomar-Kodex heißt es: "Forscher müssen sich stets ethisch korrekt verhalten und alles vermeiden, was einem Forschungsteilnehmer Schaden zufügen oder den Ruf der Markt-, Meinungs- und Sozialforschung beeinträchtigen kann." Die Unhöflichkeit einzelner Marktteilnehmer kann leicht auf die Branche abstrahlen. Das sollten wir bei unserem marktforscherischen Tun und Handeln immer bedenken.
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