Crossmedia-Währung "Markenreichweite" Über die Marke raus aus der "Silo-Forschung"

Von Michael Pusler
Durch die jüngst ausgesprochene Forderung nach einer "Multimedia-Reichweite" durch den Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, Dr. Mathias Döpfner, ist das Thema in der Mediabranche wieder in den Fokus gerückt (diskutiert wird hinter verschlossenen Türen darüber bereits seit Jahren). Medien und deren Inhalte funktionieren heute zunehmend nicht mehr über (Exklusiv-)Kanäle, vielmehr gilt "the content is floating". Allenthalben sind die Verlage momentan damit beschäftigt, ihre Printmarken für das digitale Zeitalter zu rüsten (und idealerweise per Apps und IPOD zu kapitalisieren). Was bleibt da zukünftig noch für die Medienforscher der Tageszeitungen oder Publikumszeitschriften, der Radio- oder Fernsehsender oder der Plakatmedien (manche bezeichnen sie auch als Silo-Forscher, die sich nur in ihrer begrenzten Medienumgebung bewegen), die sich teilweise noch bis vor kurzem bei der Untersuchung von Medienrezeption und -wirkung des Nutzers überwiegend auf die eigenen, zumeist einzelne Medienkanäle konzentrierten? Konvergenz der Medien ist ein Fakt, es gilt, sich den Herausforderungen aktiv zu stellen.
Um Mediennutzung und vor allem, um Mediennutzer zu verstehen, ist das Wissen um das Zusammenspiel der Kanäle für die Erklärung von Medienwirkungen (inkl. der darin geschalteten Werbung) spätestens mit dem Ernstnehmen des Internets vor einigen Jahren zur zentralen Untersuchungsaufgabe geworden. Wenn über Themen berichtet wird, ist der Empfänger der Medienbotschaften heute (im Nachhinein) häufig nicht mehr in der Lage zu identifizieren, ob die Botschaft aus dem Fernsehen, der Zeitung oder Zeitschrift, dem Internet oder Radio stammt. Vielleicht gelingt es ihm noch bei IPad oder IPhone, weil das noch relativ junge Applikationen sind, deren Nutzung oft immer noch was Besonderes darstellt. Dem Nutzer ist das letztlich aber auch egal, wo er was für ihn relevantes aufschnappt. Und auch für den Absender gilt: viel entscheidender ist, das die Botschaft den Nutzer (möglichst zahlreich) erreicht. Und gleiches gilt eben auch für Werbung in Medien (wobei hier auch die Qualität, nicht nur die Quantität zählt). Und da ist heute und zukünftig die Medienleistung nicht mehr eine Frage von einzelnen Medienkanälen, sondern insbesondere von aufmerksamkeitsstarken Botschaften aus vertrauenswürdigen Medienmarken. Die Medienmarke muss sich passend aufstellen, die Orchestrierung über die einzelnen Kanäle muss stimmen. Schließlich steht die Medienmarke für ein Leistungsversprechen, das sie sich über Jahre aufgebaut hat (das sieht beim Spiegel sicher etwas anders aus wie bei der Bild, dem Stern oder FOCUS). Und hierfür wiederum sind Reichweiten der Marken in den einzelnen Medienkanälen das Maß der Dinge, um Werbeträgerleistung zu taxieren (insofern ist die Forderung von Herrn Dr. Döpfner sehr berechtigt, wobei lediglich fraglich ist, ob hier die IVW der richtige Adressat ist).
Es gibt bereits jetzt die Möglichkeit, "Reichweiten" eben nicht mehr nur für das Medienangebot innerhalb eines Medienkanals, etwa den Leser pro Ausgabe bei den Zeitschriften abzubilden, sondern eine Markenreichweite (oder sollte man es neudeutsch besser "brand reach" nennen?) zu bestimmen. Hierbei wird das Kontaktvolumen zur Medienmarke in Gänze, über die verschiedenen Kontaktpunkte - einschließlich der Überschneidungen - aggregiert. Erforderlich hierfür ist ein Untersuchungsansatz, der, idealerweise bevölkerungsrepräsentativ, personenbezogene Informationen zu all diesen "Touchpoints" der Mediennutzung möglichst Single Source in einer Untersuchung vereint, wie er z. B. durch eine multithematische Markt-Media-Studie (Typologie der Wünsche, Communication Networks, VerbraucherAnalyse etc.) realisiert werden kann. Ein auch in der Branche diskutierter Panel-Ansatz für eine Basisstudie (sog. "Hub"-Ansatz) erscheint mir aufgrund der Restriktionen im Hinblick auf Stichprobenqualität und verzerrte Teilnahmebereitschaft momentan nicht geeignet. Menschen müssten ständig, z. B. stündlich, Aussagen zu ihrem Mediennutzungsverhalten geben, was nur über Handys, IPhones oder Smartphones machbar wäre. Dabei scheiden solche Personengruppen für eine Stichprobe aber von vorneherein aus, die im Umgang damit nicht vertraut sind. Eine parallele oder alternative Befragung per Tagebuch ist kein gleichwertiger Ersatz, da methodenbedingt andere Ergebnisse zu erwarten sind.
Alternativ könnte auch die Bestimmung der kanalübergreifenden Überschneidungen aus der Single-Source Basiserhebung zur Bestimmung von Modellierungs-Algorithmen für eine Verrechnung von Mediadaten der so genannten Währungsstudien (Media Analyse der ag.ma für Print, AGOF Internet facts für Online, AGF-Panel für TV) dienen. Hier könnte man – pragmatisch und sehr vereinfacht - aus der Summe der kanalbezogenen Einzelreichweiten der Medienangebote rechnerisch einen Abschlagsfaktor der internen Überschneidungen bestimmen und diesen von der besagten Nutzungssumme abziehen.
Es sei hier aber auch angemerkt: auch wenn so (rechnerisch) die Medienangebote neu taxiert werden können, ist damit noch nicht geklärt, ob unter Gesichtspunkten der Media-Kontaktqualität und der Medienwirkung eine hier unterstellte Kontaktparität der Medienkanäle so überhaupt gegeben bzw. zulässig ist. Nimmt man nur die tagesaktuellen Medien in der Media-Analyse der ag.ma, so wird – z. B. was den Zeitbezug angeht – der durchschnittliche Nutzer sehr unterschiedlich bestimmt. So liegt dem Werbeträgerkontakt bei Online die durchschnittliche Woche zugrunde, bei Tageszeitungen ist es der Leser pro Tag, Radio der Hörer pro Stunde und bei TV der Seher pro halbe Stunde. Erst eine konvergente Reichweiten- und Wirkungsforschung kann klären, ob bzw. in wieweit dabei der Markenkontakt z. B. mit einer Zeitung für eine darin geschaltete Anzeige der für Display-Werbung unter dem Online-Absender derselben Marke (idealerweise unter Kontrolle von gleicher Expositionszeit und Anzahl der Nutzer der jeweiligen Angebote) entspricht.
Der eine oder andere wird sich Fragen: vielleicht sind die Medien hierin ja auch überhaupt nicht vergleichbar, vielleicht auch gar nicht daran interessiert. Währungsfragen müssen häufig im "Streit" der Mediengattungen (um Werbegelder) politisch gelöst bzw. beantwortet werden. Ein Armutszeugnis für die Forschungsmethodiker, wird da so manch einer vielleicht denken. Schließlich könnte die Verknüpfung von Reichweiten-(Währungs-) und Wirkungsfragen doch einen Weg aus diesem misslichen Dilemma weisen(?). Auch was die für die Crossmedia-Vergleichbarkeit so wichtigen internen Überschneidungen auf Markenebene angeht (welche Leser nutzen neben dem Titel auch das Online-Angebot etc.), könnte durch die Beschäftigung mit Rezeptionsprozessen wichtige Impulse erfahren. Dies, indem man z.B. Kanalspezifika und Wechselwirkungen auf Wirkungsebene – zu Parametern wie Bekanntheitsaufbau, Imageverbesserung, Wiederkaufbereitschaft, Cross-Selling-Potenziale etc. für geschaltete Markenkommunikation - für Print, Online, TV etc. stärker herausarbeitet.
Eine Diskussion um Markenreichweiten könnte hier zumindest helfen, vielleicht sogar einen Paradigmenwechsel einzuläuten, zumindest aber, eine Brücke zu bauen, um Medienrezeption in der heutigen Medienlandschaft angemessen abzubilden. Und in Zeiten konvergenter Medien wäre eine solche Größe dann vermutlich eine "Multimedia-Reichweite".
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