Kommentar zur Umsatzliste der Marktforschung 2021 Totgesagtes Unkraut aus der Asche lebt länger

„Totgesagte leben länger“, „Phoenix aus der Asche“, „Unkraut vergeht nicht“ – solche Sprichwörter passen dazu, wenn Personen oder Dinge, von denen lange in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr die Rede war, plötzlich wieder lebendig erscheinen. Und irgendwie passen sie auch zur Marktforschungsbranche des Jahres 2021.

„Totgesagte leben länger“, „Phoenix aus der Asche“, „Unkraut vergeht nicht“ – solche Sprichwörter passen irgendwie auch zur Marktforschungsbranche des Jahres 2021. (Bild: Christoph Kottmann)

Nur sechs der Top50-Institute sind 2021 nicht gewachsen

Von den Top50-Instituten sind in 2021 gerade mal sechs Häuser nicht gewachsen. Alle anderen Institute sind zum Teil deutlich gewachsen. Auch dass es viele neue Häuser oder Rückkehrer in der Context-Liste gibt, wie z. B. Bonsai, Rheingold, Quovadis, Point Blank, (r)evolution oder das Spiegel Institut, zeigt, dass 2021 ein gutes Jahr für die Branche war.

2020 sah das noch ganz anders aus. Hier war Wachstum die Ausnahme, Rückgang die Regel. Der Großteil der Unternehmen hatte deutlich an Umsatz eingebüßt. Viele Institute schämten sich ihren Umsatz zu melden, auch wenn durch staatliche Hilfen wie Kurzarbeitergeld die meisten Häuser mit einem blauen Auge durchs erste Pandemie-Jahr gekommen waren.

Der Trend hat sich umgekehrt

Statt erneuten Umsatzverlusten steigen die meisten Institute nun wie „Phoenix aus der Asche“. Bereits lange vor der Corona-Krise gab es Abgesänge auf die Marktforschungsbranche: zu teuer, zu langsam. Doch eine oft totgesagte Branche lebt offensichtlich länger und erscheint gesünder als vor der Pandemie.

Dass die Umsätze wieder zurückkehren würden, war erwartbar. Bereits Ende 2020 mehrten sich die Anzeichen einer steigenden Nachfrage.

Dass aber viele Institute im Jahr 2 der Corona-Pandemie bereits wieder ihr Umsatzniveau von 2019 erreichen, ist überraschend – und erfreulich.

Die Marktforschungsbranche darf jubeln

Wenn es so etwas wie ein kollektives Bewusstsein der Marktforschungsbranche geben sollte, dürfte es jetzt jubeln. Statt Stagnation und bloßen Nachholeffekten deutliches Wachstum, z. B. bei Ipsos, InMoment, Infas, Innofact & Interrogare, aber auch bei GIM, Mindline, Skopos und YouGov. Alle diese Häuser stehen nach zwei schwierigen Jahren besser da als vor der Krise.

Das hat längst nicht jede Branche geschafft. So ist die Beurteilung der Geschäftslage im Dienstleistungssektor des Ifo-Index immer noch schlechter als 2019. Allerdings gibt es auch Branchen wie die Consultingbranche, allen voran die IT-Berater, die auch 2020 gewachsen sind.

Insights für eine durch Corona veränderte Welt

Das hat die Marktforschungsbranche nicht geschafft. Zu groß war der Schock auf der Auftraggeberseite. Budgets für Marktforschung wurden 2020 gekürzt oder gestrichen, große Face-to-Face-Studien wegen Kontaktverboten verschoben, die Teststudios waren lange geschlossen. Digitalisierung und Ausgabenkontrolle vor Insights, die Prioritäten waren klar gesetzt.

Die Welt war 2021 eine andere als in 2019. Die Pandemie - und ihre damit verbundenen Einschränkungen - hat Konsumgewohnheiten verändert, die deutsche Gesellschaft in Impfbefürworter und -gegner gespalten.

Wann haben Unternehmen jemals mehr Insights und Erkenntnisse über den veränderten Corona-Menschen gebraucht als im letzten Jahr? Wann war die Unsicherheit auf Auftraggeberseite größer, weil das „gute alte Bauchgefühl“ vieler Entscheider nicht mehr funktioniert?

Haben die Institute die Krise nutzen können?

Ja, auch in der Marktforschungsbranche gab es einen Digitalisierungsschub. Allen voran in der qualitativen Online-Forschung. Remote-Work gehört mittlerweile zum Standard, die ganz Sparsamen unter den Instituten haben bereits ihre Büroflächen verkleinert.

Andere Projekte, wie z. B. die groß angekündigte ADM-Meta-Studie zur Erforschung von mode-spezifischen Verzerrungen, mussten auf Eis gelegt werden. Auch ohne diese Erkenntnisse hat die deutsche Demoskopie eine beeindruckende Performance bei der Bundestagswahl im September gezeigt, nach dem die Vorhersagen im Juni in Sachsen-Anhalt noch viel Luft nach oben hatten. Das zeigt, dass die Frage, wie Repräsentativität in einer immer diverseren Erhebungslandschaft sichergestellt werden kann, noch nicht beantwortet ist.

Wo sind die Gamechanger?

Künstliche Intelligenz sollte der nächste Gamechanger für die Branche sein. Auch wenn man immer öfter liest, dass „KI inside“ in irgendwelchen Tools ist, gibt es bislang noch wenig revolutionäre Anwendungen für die deutsche Marktforschung. Der Ansatz des Start-up-Pitch-Gewinners Aimpower, Werbe-Pretests ohne Befragte durchzuführen, könnte dazu gehören. InColor von quantilope scheint eine sinnvolle Weiterentwicklung für die Bearbeitung von O-Tönen zu sein. Gfknewron ist das KI-Pferd, auf das die GfK setzt und schließt stattdessen den in die Jahre gekommenen Testmarkt in Haßloch.

Ist die Branche für den „War for talents“ gerüstet?

Die wenigen in Haßloch freigesetzten Mitarbeiter helfen der Branche dagegen weit weniger als die Kollegen, die durch die Schließungen der Kantar-Standorte in Bielefeld und Hamburg in die Branche gespült wurden. Viele haben sich renommierten Instituten angeschlossen.

Der Durst nach mehr Personal, der gerade bei vielen Instituten herrscht, konnte damit aber nicht gestillt werden.

So ist der „War for talents“ jetzt auch bei den Marktforschern angekommen, da mittlerweile auch andere Branchen wie UX, CX oder auch das Consulting Absolventen aus sozialwissenschaftlichen Studiengänge gerne nehmen. In diesem Kampf zu bestehen, wird eine große Herausforderung für die Branche.

Erst langsam entdecken einzelne Institute Maßnahmen im Employer-Branding jenseits vom Schalten von Stellenanzeigen.

Das löst aber nicht das Problem, dass die Branche der Markt- und Meinungsforschung immer noch wenig Glanz ausstrahlt, von Begriffen wie Sexyness ganz zu schweigen. Hier wäre eine branchenweite verbandsübergreifende Initiative zu wünschen, die dann aber auch besser funktionieren müsste als die Initiative Markt- und Sozialforschung e. V..

Ach, die gibt es auch noch?

 

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