Thomas Müller, Geschäftsführer, Die PR-Berater zur "Akte Marktforschung" "Missstände sollten nicht unter den Teppich gekehrt, sondern beseitigt werden"

Thomas Mülller, Geschäftsführer bei Die PR-Berater beschäftigt sich professionell mit dem Image von Unternehmen und Marken. Im Interview mit marktforschung.de übt er harsche Kritik an der Reaktion der Verbände in Bezug auf die "Akte Marktforschung".

Thomas Müller, Die PR-Berater © Thomas Müller

Thomas Müller, Die PR-Berater © Thomas Müller

marktforschung.de: Herr Müller, der Skandal rund um die "Akte Marktforschung" nimmt kein Ende. Steht die deutsche Marktforschung vor einem Scheideweg?

Thomas Müller: Der Skandal um die "Akte Marktforschung" besitzt aus unserer Sicht zwei Dimensionen. Zum einen betrifft es die tatsächlichen beziehungsweise die vorgeworfenen Missetaten der Branche. Zum anderen geht es um das komplette Versagen der Verbände, mit dieser Krise umzugehen. Letzteres ist eine echte "Akte des Versagens", die aktuell anhält: Erstens waren die Reaktionszeiten der Akteure mangelhaft. Zweitens äußern sich die Vertreter der Branche bisher zu den Vorwürfen irgendwo zwischen untröstlich bis empört, je nachdem, ob es um echte Vorwürfe oder falsche Behauptungen geht. Aber das ist kein professioneller Umgang mit einer solchen Berichterstattung. Aussagen von SPIEGEL ONLINE zu akzeptieren, wie "die Dokumente belegen, dass eine ganze Reihe der 50 größten Institute in Deutschland zumindest teilweise mit unsauberen Methoden arbeiten", ist geradezu sträflich. Darüber hinaus fehlen bis heute sinnvolle Vorschläge, mit den aufgeführten Missständen umzugehen. Zu glauben, man könne das aussitzen, und es sei bisher ja auch alles gut gegangen, ist geradezu naiv. Die Glaubwürdigkeit der Marktforschung erodiert zunehmend. Das mag aktuell keine Folgen zeigen, wie Vertreter der Branche betonen. Trotz des Skandals seien die Auftragsbücher ja voll. Der langfristige Schaden ist derzeit aber nicht absehbar. Erstens werden sich Entscheider in Unternehmen zukünftig genau überlegen, welche Ressourcen sie in Marktforschung stecken. Zweitens schwindet das Vertrauen bei Verbrauchern, sich an Ergebnissen der Marktforschung zu orientieren. Und drittens starten talentierte Nachwuchskräfte ihre Karriere selten in Branchen, die einen schlechten Ruf besitzen.

marktforschung.de: Welche Schritte sollten Marktforschungsunternehmen einleiten, um das erschütterte Vertrauen der Kunden wiederzugewinnen?

Thomas Müller: Missstände sollten nicht unter den Teppich gekehrt, sondern beseitigt werden. Daher sollten Firmen ein härteres Vorgehen gegen schwarze Schafen und eine wirklich unabhängige Beschwerdestelle gegenüber ihren Verbänden einfordern. Außerdem empfehlen wir, eine umfangreiche Transparenz über die Methoden zu ermöglichen. Die bisher postulierten Qualitätskriterien, nämlich die Mitgliedschaft bei AMD und BVM, kann man getrost für tot erklären. Tatsächliche Qualitätsstandards sollten durch externe, unabhängige Experten überprüfbar sein. So sollte eine ISO-Normen-Zertifizierung für alle Akteure gelten, vom Meinungsforschungsinstitut bis zu den beauftragten Feldinstituten. 

marktforschung.de: Ist der Ruf erst ruiniert… Wie lange dauert es, bis die Reputation eines Unternehmens wieder einigermaßen hergestellt ist? Ist das noch einem solchen Skandal überhaupt noch möglich?

Thomas Müller: Die betroffenen Unternehmen, ACE und CSI International, haben diesen Reputationsschaden letztendlich nicht überlebt. Also lautet die Frage eher, wie lange dauert es, bis der Kollateralschaden für die Branche behoben ist. Unserer Ansicht nach kann das noch Jahre dauern, denn außer Lippenbekenntnissen scheint es derzeit keine sinnvolle Turn-Around-Strategie zu geben. Im Gegenteil: Hört man in die Verbände hinein, gewinnt man den Eindruck, die Entscheider denken, sie hätten alles richtig gemacht. Man wundert sich! Glauben die Verbandsvertreter das wirklich oder wollen sie sich nur um ihre Verantwortung drücken?

marktforschung.de: Wie sollten die Verbände mit schwarzen Schafen umgehen?

Thomas Müller: Der Rat der Marktforschung sollte als Instanz der Selbstkontrolle schwarze Schafe der Branche deutlich öffentlich rügen. Doch bisher wird selten ermahnt, meistens gar nicht.* Warum? Ist es die Angst vor Regressforderungen der Gerügten oder will man nicht als Nestbeschmutzer gelten? Was auch immer die Motive sein mögen, der Rat der Marktforschung wirkt in der Öffentlichkeit wie ein zahnloser Tiger. Das schwächt die Reputation der deutschen Marktforschung. Wir schlagen vor, dass die Verbände mit unabhängigen Partnern eine eigene "Whistle-Blower-Anlaufstelle" einrichten. Den Informanten sollte Quellenschutz und gegebenenfalls Rechtsschutz angeboten werden. Ein klares Regelwerk dahinter kann die Vorwürfe und den Sachstand dazu kategorisieren und mit entsprechenden Sanktionen verbinden. 

marktforschung.de: Welchen Ratschlag geben Sie der Branche mit auf den Weg?

Thomas Müller: Jede Krise ist auch eine Chance der Neuorientierung. Neben dem aktuellen Skandal steht die Branche vor einem grundsätzlichen Umbruch. Im Rahmen der Digitalisierung drängen neue Player auf den Markt. Außerdem wird der Wettbewerb um talentierte Nachwuchskräfte immer stärker. Die Verbände und ihre Mitgliedsunternehmen sollten ihre Kräfte bündeln, um ihr Image zu verbessern. Es wird nicht damit getan sein, jetzt halbherzig das ein oder andere "Pflästerchen" zu zücken. Es bedarf grundsätzlicher Veränderungen und einer aktiven PR-Arbeit. Beides ist notwendig! Die Verbände müssen sich weiterentwickeln bei den Themen Transparenz und Qualitätsverbesserung und dies offensiv nach außen tragen.

marktforschung.de: Vielen Dank!

*Anmerkung der Redaktion: Der Rat der Marktforschung hat nach der erneuten Berichterstattung von  SPIEGEL ONLINE am 19.04.2018 seine Beschwerdeordnung geändert.

 

Diskutieren Sie mit!     

  1. Ingo Sander am 26.04.2018
    Die Beschwerdeordnung des Rats der Marktforschung wurde bereits einen Tag VOR der neuen Veröffentlichung durch Spiegel Online auf einer bereits länger im Vorfeld terminierten und vorbereiteten Sitzung der Träger des Rats geändert! Die Öffentlichkeit wurde am Tag darauf (19.4.) informiert, zufällig zeitgleich mit der Veröffentlichung des Spiegel Online.

    Die Anmerkung der Redaktion erweckt leider (vermutlich aber ungewollt) den Eindruck, als wäre die Änderung erst aufgrund der neuen Spiegelveröffentlichung erfolgt.

    Ich finde es auch nicht richtig, dass gesagt wird, die Branche nähme dies nicht ernst und würde nichts tun. Das ist nicht der Fall. Vielmehr zeigt auch die erneute Berichterstattung des Spiegel Online, dass die vielen anderslautenden, positiven Erfahrungen von Branchenkennern dort nicht zu Wort kommen, sondern weitere Einzelfälle mit Extremmeinungen zur Mehrheitsmeinung und zum Normalfall erklärt werden. Die aktuell erfolgenden Konsequenzen und Aktivitäten in den Verbänden, Instituten und Unternehmen und im Rat werden leider gar nicht thematisiert. Der Spiegel hätte hier auch die Chance gehabt, eine Erfolgsstory zu reporten (was sein Artikel an Aktivitäten bewirkt hat), hat sich aber leider für die andere Richtung (weiter draufhauen) entschieden.

    Die Verbände haben es schwer, gegen diese Art der tendenziösen (und selbst mit gravierenden journalistischen Qualitätsmängeln behafteten) Berichterstattung anzukommen (und ja, schneller handeln und mehr und besser kommunizieren wäre immer gut). Und ja, natürlich schadet die Spiegel Berichterstattung natürlich dem Ansehen und Status der gesamten Branche und weitere Anstrengungen sind notwendig. Ich fürchte aber, dass dies die Berichterstattung des Spiegel Online in keiner Weise ändern wird, egal was man tut. Deshalb verstehe ich, dass man hofft, dass der Spiegel irgendwann sein Interesse an dem verhältnismäßig kleinen Thema Marktforschung verliert und sich noch "lukrativeren" Opfern zuwendet.

    Schade, dass der hier zu Wort kommende Experte auch noch weiter in die gleiche Kerbe wie der Spiegel schlägt!

    MfG

    Ingo Sander
  2. Bernd Wachter am 26.04.2018
    Hier macht ein PR-Berater, der bei den Marktforschungsverbänden nicht zum Zuge kam, PR in eigener Sache. Nahezu alles, was gesagt wird, entbehrt jeglicher Grundlage. ADM und BVM haben - im Übrigen abgestimmt aufeinander - innerhalb weniger Stunden nach Erscheinen der Spiegel-Akte reagiert, ebenso die Verbände gemeinsam im Rahmen ihrer Weinheimer Gespräche. Herr Müller gibt vor, in die Verbände hineingehört zu haben. Tatsächlich? Beim ADM ist das jedenfalls nicht der Fall. Nahezu alle Maßnahmen, die Herr Müller vorschlägt, sind bereits in der ein oder anderen Form auf den Weg gebracht. Dazu bedarf es "einer einer aktiven PR-Arbeit", wie er schreibt - ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
    Im Übrigen kann man aus gutem Grund auch anders handeln, als Herr Müller das für nötig erachtet, ohne dabei "komplett zu versagen".
    Schade, man kann Kritik auch konstruktiver üben, ohne belehrend-besserwisserisch zu wirken ...

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf marktforschung.de