Svenja Prins: "Das Profil der Online-User ist in den meisten forschungsrelevanten Ländern längst aus den Freak- und Trendsetternischen herausgetreten"

Svenja Prins ist Senior Project Director und Member of the Management Board bei H,T,P, Concept. Dort ist die Diplom-Soziologin verantwortlich für Online- und Web 2.0-Entwicklungen. Im Interview mit marktforschung.de beantwortet sie Fragen zur Etablierung des Mediums "Internet" in der Marktforschung und zur Entwicklung damit einhergehender Forschungsmethoden. 

marktforschung.de: Frau Prins, Web 2.0 ist ja ein Begriff, der schon seit geraumer Zeit durch die Medien geht. Die damit im Allgemeinen verbundenen Kommunikationsformen und einschlägigen Plattformen haben sich unlängst etabliert - zumindest in bestimmten Zielgruppen. Welche Bedeutung haben Wikipedia, Facebook, YouTube, StudiVZ, XING und andere aus Ihrer Sicht für die Marktforschung?

Svenja Prins: Wir selbst nutzen diese Plattformen nicht für Marktforschung, maximal indirekt. Wir profitieren davon, dass die selbstverständliche und ausdrucksstarke Nutzung des Internets der breiten Masse zugänglich gemacht wurde und auch in unsere Blogs eingebracht wird.

marktforschung.de: Mit Ihren Fokus-Blogs greifen Sie eine "typische" Web 2.0-Anwendung für die Markt- bzw. Marketingforschung auf. Wo sehen Sie die Vorteile dieser Herangehensweise?

Svenja Prins: Von unserer Website: Erfolgreich im nationalen und internationalen Kontext eingesetzte qualitative Online-Methode, die das Spektrum von offline-Ansätzen effektiv erweitert.

Im interaktiven Dialog oder fokussierten Monolog stellen Zielpersonen ihren persönlichen Kontext in Bildern, Videos und Texten dar. Das kann den Charakter eines Tagebuchs haben, einer Themenexploration oder eines unbeeinflussten Dialogs miteinander und kann von überall und zu jeder Zeit – auch zum Beispiel von Mobiltelefonen - übertragen werden.

Der inspirierende Mehrwert des H,T,P, Concept Bloggings liegt in der Authentizität und Nähe zu Tagesablauf, Umfeld und situativem Meinungsbild aller denkbaren Zielpersonen.

Offline rekrutieren wir Vertreter spezifischer Marketingzielgruppen, die sich für eine definierte Studiendauer dazu bereit erklären, täglich in einen inszenierten Blog einzuloggen und aktuelle Beiträge zu verfassen. So können wir Themenfelder explorieren, Stimuli evaluieren, Usage erheben, Typen profilieren oder Inspiration generieren. Für den Teilnehmer bedeutet das zum Beispiel, den eigenen Alltag zu dokumentieren, erlebte Geschichten zu erzählen, das eigene Umfeld unter einem bestimmten Fokus zu beobachten und mit Anderen zu diskutieren. Einen Moderator gibt es zwar auch im Blog, anders als in einer Fokusgruppe tritt dieser aber nicht als Fragensteller und Diskussionsleiter in Erscheinung. Die Vorteile gegenüber bekannten Offline-Methoden sind deutlich:

  • Anders als in einem offenen Webblog setzen wir Thema und Projektdauer an, so dass wir hiermit themen- und ergebnisorientierter arbeiten als es eine Sekundäranalyse offen verfügbarer Webblogs im Internet zum Beispiel über Datamining tun kann
  • Anders als im Umgang mit frei gepostetem Content im Internet kennen wir das Zielgruppenprofil der Teilnehmer und können eine authentische Relevanz des Themas voraussetzen
  • Die Feldphase kann international parallel durchgeführt werden
  • Die gesamte Erhebungsphase ist transparent einsehbar, so dass nicht nur Endergebnisse sondern auch Entwicklungen beobachtet werden können
  • Wir können räumlich breit gestreute Gruppen miteinander kommunizieren lassen und Teilnehmer mit ganz unterschiedlichem Tagesablauf oder Zeitkonzept einbeziehen
  • Wir können auch hochmobile Zielgruppen integrieren
  • Interaktivität und Leichtigkeit motivieren die Teilnehmer ebenso wie das allmähliche Kennenlernen der anderen Blogger (Community-Building)
  • Teilnehmer können sich individuell und vielseitig ausdrücken: Vom Handyfoto über das Homevideo, vom einfachen Text über einen verlinkten Audiostream oder kopierte Bilder kann jede multimediale Ausdrucksform gewählt und kombiniert werden. Das motiviert die Teilnehmer und reichert das qualitative Analysematerial erheblich an
  • Ohne die physische Präsenz von Moderator oder Gruppenteilnehmern und in der selbst gewählten Umgebung beim Bearbeiten des Blogs wird die intensive Selbstreflexion gefördert, die der qualitativen Wertigkeit der Aussagen und vor allem der Bearbeitung sensibler Themen sehr zu Gute kommt
  • Jederzeit und niederschwellig verfügbar, werden Ereignisse erlebnisnah festgehalten. Dadurch sind die festgehaltenen Stimmungen authentisch und unmittelbar, so dass sich Blogging auch als "minimalinvasive ethnographische Forschungsplattform" empfiehlt

marktforschung.de: Gibt es auf der anderen Seite auch Grenzen?

Svenja Prins: Natürlich gibt es auch Grenzen. Blogging wird genau dann interessant, wenn die Teilnehmer die Chance erhalten, ihre eigene Tonalität und Aussage einzubringen. Wenn sie Themen selbst reflektieren und in der selbst gewählten Diskussion untereinander explorieren.

Eine gut gewählte Startaufgabe oder eine besonders relevant formulierte Einstiegsfrage können eine starke Zugangsmotivation mitgeben. Die zu finden, ist allerdings bei zum Beispiel klassischen Low-Involvement Themen oder geringerer Zielgruppenrelevanz ungleich schwieriger.

Auch bedeutet erfolgreiches Blogging, sich davon frei zu machen, Listen detaillierter und konkreter Fragen abarbeiten zu wollen. Es ist eine besondere Stärke des Blogs, Vieles zu hören und zu lernen, was den subjektiven Kontext aus Konsumentensicht erkennen lässt und deutlich über die Ursprungsidee hinausgeht. Um vom Konsumentenfokus umfassend zu profitieren, sollte man sich allerdings klar darüber sein, dass man mit jeder zusätzlich gestellten Frage durch den Online-Moderator auch das ungeduldige Warten auf eine neue Frage provoziert, das ein freies Beschäftigen und Weiterentwickeln des Themas blockiert.

marktforschung.de: Hat das Internet Ihrer Meinung nach eine entsprechende Durchdringung in der Gesellschaft erreicht, um über dieses Medium zu wirklich validen Aussagen in verschiedensten für Markt- und Marketingforschung relevanten Bereichen zu gelangen?

Svenja Prins: Um das zu beantworten, müsste die Soziodemographie der Onliner sicherlich für jeden Markt gesondert betrachtet werden. Skeptikern gegenüber kann man aber sicher sagen, dass das Profil der Online-User in den meisten forschungsrelevanten Ländern längst aus den Freak- und Trendsetternischen herausgetreten ist und wir zumeist von der Erreichbarkeit des konsumrelevanten Massenmarkts ausgehen können.

Als qualitativ ansetzendes Institut können wir im nationalen und internationalen Kontext das Internet sehr gut für unsere Arbeit nutzen.

Wer sich als Teilnehmer an qualitativer Marketingforschung gewinnen lässt, bringt von Haus aus eine gewisse Offenheit, Neugier, Kommunikationswilligkeit und Konsumbewusstsein mit - Eigenschaften, die ihn auch mit größter Wahrscheinlichkeit schon ins Internet geführt haben.

marktforschung.de: Marktforschung und Internet - gerade unter dem Aspekt "Qualitätssicherung" ein immer wieder kritisch diskutiertes Thema. Wie gehen Sie in Ihren Projekten damit um?

Svenja Prins: Als qualitativ arbeitendes Marketingforschungsinstitut rekrutieren wir Teilnehmer für unsere geschlossenen Projektplattformen klassisch offline. Damit screenen wir nicht nur nach exakten Zielgruppenprofilen, sondern schaffen auch eine Nähe, die dazu motiviert, sich auch über mehrere Tage in einem online Dialog mit anderen Konsumenten auf unseren Forschungsplattformen zu engagieren.

In einigen Fällen nutzen wir allerdings auch die Feldarbeit großer Panelanbieter. Und dabei mussten wir wie jeder Kunde lernen, wie unterschiedlich die Qualität vermeintlich gleicher Angebote in der Praxis sein kann. Wenn Daten in Teilen oder im Ganzen wenig Sinn in der Interpretation zu machen scheinen und Subgruppensplits unplausible Einstellungs- oder Verhaltensmuster widerspiegeln, dann ist es vermutlich Zeit, den Panel-Anbieter zu wechseln.

marktforschung.de: Die deutschen Marktforschungsverbände haben jüngst den "BigBrotherAward" - den so genannten "Oscar für Datenkraken" - erhalten. Nun ging es hierbei zwar um den Datenschutz im Zusammenhang mit Telefoninterviews, aber natürlich spielt dieser Aspekt gerade auch hinsichtlich der Sicherheit von Online-Anwendungen eine immens große Rolle. Wie beurteilen Sie diese Problematik?

Svenja Prins: Eigentlich spielt es keine Rolle, über welche Erhebungsplattform wir sprechen. In der Primärforschung ist es doch immer so, dass sich ein Teilnehmer auf den sensiblen Umgang mit seinen Daten verlassen können muss. Das Institut hat Vorkehrungen gegen Missbrauch zu treffen und lehnt hoffentlich sogenannte Ausnahmen oder Sonderregeln, die den klaren Forderungen des Datenschutzes widersprechen könnten, ab.

Nicht nur, um den Gesetzen genüge zu tun, sondern auch schon, um durch Fairness und Offenheit die Kooperationsbereitschaft eines Teilnehmers zu gewinnen, ist es wichtig, über die Verwendung und Zugänglichkeit der Daten für Andere zu informieren.

Ich sehe nicht, dass die Online-Forschung hier anderen Problemen oder Risiken ausgesetzt sein sollte als zum Beispiel eine telefonische Befragung. Dass ein kompetenter technischer Schutz vor Hackern und Angriffen aus dem Netz besteht, davon gehe ich schon allein der Sicherheit der eigenen Institutsdaten wegen aus.

marktforschung.de: Was muss die Marktforschungsbranche aus Ihrer Sicht an dieser Stelle leisten, um in der Öffentlichkeit positiv bzw. positiver wahrgenommen zu werden?

Svenja Prins: Mit dem Internet und den Technologien des Web 2.0 durchmischen sich Datensammelstellen so sehr, dass für einen User oft weder Absicht noch Urheber und Verwendung klar sind. Hier den jeweiligen Kontext gewissenhaft zu prüfen - versuchen, Daten- und Verbraucherschützer den Surfern eindringlichst zu vermitteln.

Wie auch bei Telefonbefragungen sind es weniger die lauter arbeitenden Marktforschungsinstitute, die Konsumenten unter dem Deckmantel der Meinungserhebung verkaufsfähige Daten zu erschleichen oder Produkte zu vertreiben versuchen.

Als qualitatives Institut stehen wir selbst immer im direkten offline-Kontakt mit unseren Testpersonen. Wer - anders als wir – öffentlich zugängliche Fragebögen oder Foren etc. schaltet, den betrifft es natürlich mehr, sich einem Befragungswilligen gegenüber zu verifizieren und von unlauteren Datenjägern abzugrenzen.

marktforschung.de: Zum Abschluss noch eine in die Zukunft gerichtete Frage: ist die Marktforschung künftig ohne den Einsatz und die Nutzung des Mediums "Internet" überhaupt noch denkbar?

Aber natürlich. Für uns ist das Internet eine Bereicherung, keine Substitution von klassischen Forschungsszenarien. Und ganz sicher ist die Online-Forschung nicht der Königsweg in allen Forschungsfragen.

Oft ist es sogar so, dass wir zur Lösung eines Forschungsauftrags ein modulares Design vorschlagen, das On- und Offline Phasen einsetzt.

Es kann zum Beispiel sehr effektiv und auch für die Teilnehmer sehr interessant sein, sich zunächst im teil-anonymen Raum eines inszenierten Fokus-Blogs mit Anderen auszutauschen. In einer solchen ersten Forschungsphase reflektiert man seine eigene Routine und Interpretation zu einem Thema, bekommt Einblick in die entsprechende Sichtweise Anderer, tauscht sich mit ihnen aus, hinterfragt und definiert dabei den eigenen Standpunkt noch deutlicher und lernt die Facetten anderer Konsumenten real kennen.

Im Anschluss an eine Blogging-Phase die Menschen hinter den Postings zu treffen, kann für die Teilnehmer eine sehr spannende Sache sein, für die Projektleitung ermöglicht eine angeschlossene Live-Diskussionsrunde oder ein Workshop ein sehr effektives Arbeiten an Detailfragen oder Lösungen, zumal auf reichhaltige Grundlagenerkenntnisse aufgebaut werden kann und eine intensive Einarbeitungsphase eine gute Sensibilisierung geleistet hat.

 

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