Neue Datenerhebung Stichproben für die COVID-19 Forschung

Basierend auf der Kritik zu bestehenden Datenerhebungen zur Prävalenz von COVID-19-Infektionen, schlagen Rainer Schnell, Menno Smid, Horst Müller-Peters und Anke Müller-Peters eine neue Datenerhebung zur Bestimmung des Anteils von Personen in der Gesamtbevölkerung, bei denen eine Infektion nachgewiesen werden kann, vor. Mit dieser Studie könne demnach eine Aussage über Gesamtdeutschland gemacht werden. Im Gegensatz zu allen anderen durchgeführten und geplanten Studien basiere diese auf einer bundesweiten echten Zufallsstichprobe aus Einwohnermelderegistern und berücksichtige auch Alten- und Pflegeheime.

von Rainer Schnell, Menno Smid, Horst Müller-Peters und Anke Müller-Peters

Seroprävalenzsurvey

Das Ziel des Seroprävalenzsurveys ist die Schätzung des Anteils der Personen, die Antikörper zum Nachweis bereits durchgemachter Infektionen besitzen. Die beabsichtigte Methode des Nachweises ist der Roche-Test (Elecsys Anti-SARS-CoV-2-Antikörpertest).

Hauptstichprobe

Zur Ziehung von echten Zufallsstichproben der Gesamtbevölkerung in Deutschland gibt es kaum eine Alternative zu Einwohnermeldestichproben. Die Qualität der Melderegister überwiegt den einzigen Nachteil dieser Stichproben, die lange Vorbereitungszeit, bei weitem.
Vorgeschlagen wird eine Einwohnermeldestichprobe, bei der aus jedem Bundesland eine Stichprobe von Gemeinden zufälllig ausgewählt wird. Innerhalb jedes Bundeslandes erfolgt die Ziehung der Gemeinden proportional zur Einwohnerzahl. Da innerhalb von Gemeinden mit Klumpeneffekten unbekannter Größe gerechnet werden muss, sollte die Zahl der Gemeinden vergleichsweise groß gewählt werden. Wir schlagen insgesamt 300 Gemeinden vor. Innerhalb einer Gemeinde werden jeweils 100 Personen untersucht. Die Einwohnermeldestichprobe garantiert eine räumlich weite Streuung über die Gemeinde, pro Haushalt wird nur eine Person untersucht. Dies vermeidet weitere Klumpungseffekte, die bei anderen Formen der Auswahl und der Durchführung als Haushaltsstichprobe sonst unvermeidlich wären.
Die Größe der Stichprobe hängt von der geschätzten Prävalenz in der Population sowie von der gewünschten Irrtumswahrscheinlichkeit für den Fehler der 1. und den Fehler der 2. Art (– bwz. —) ab. Wählt man diese beiden Fehler wie üblich mit 0.05 und 0.2, dann benötigt man noch die vermutete Größe des Parameters (des Anteilswerts), den man eigentlich schätzen möchte. Nimmt man hierfür ein Prozent an, dann liegt die Größe der Unsicherheit der Schätzung (das Konfidenzintervall) bei naiver Betrachtung bei 0.89–1.11 Prozent. Das ist für die meisten Zwecke ausreichend. Möchte man zu einem späteren Zeitpunkt das Ergebnis der Stichprobe mit dem Ergebnis einer anderen Stichprobe vergleichen, z.B. wenn man eine Zunahme um einen bestimmten Wert nachweisen möchte, dann müssen die statistischen Schwankungen zwischen den Stichproben berücksichtigt werden. Möchte man eine Veränderung um 0.5 Prozent nachweisen, ergeben sich die Stichprobengrößen der Abbildung 1. Nimmt man eine Prävalenz von drei Prozent an und möchte eine Zunahme um 0.5 Prozent nachweisen, werden in jeder Stichprobe mindestens 30.000 untersuchte Personen notwendig. Steigt der Anteil in der Population,

vergrößert sich die notwendige Stichprobengröße. Angesichts der vielen unbekannten Größen erscheint uns eine Stichprobe der genannten Größenordnung unvermeidlich.
Für einen späteren Vergleich der Ergebnisse zu einem anderen Untersuchungszeitpunkt stellt sich die Frage, ob die Untersuchung als ein Längsschnitt oder mehrfache Querschnitte durchgeführt werden sollte. Bei einer Längsschnittuntersuchung werden dieselben Personen erneut untersucht, bei mehreren Querschnitten andere Personen. Zwar sind die Stichprobengrößen für einen Längsschnitt etwas kleiner (siehe Abbildung 2), aber der geringe Gewinn wird durch die Probleme einer erneuten Kontaktierung und vor allem des Aufwands für die untersuchten Personen aufgewogen. Wir empfehlen daher die Durchführung als Querschnittsuntersuchung.

Durchführung

Die Erstellung der Einwohnermelderegisterstichproben nimmt in Deutschland in der Regel mehrere Monate in Anspruch. Angesichts des besonderen öffentlichen Interesses nehmen wir an, dass sich die Stichprobe innerhalb von sechs Wochen in allen ausgewählten Gemeinden ziehen lässt. Erfahrungsgemäß gelingt dies ca. zehn Prozent nicht, daher müssen Ersatzgemeinden bereits zuvor ausgewählt werden. Damit müssen ca. 330 Gemeinden kontaktiert werden.
Die ausgewählten Personen werden angeschrieben und mit Informationen versehen. Dazu gehört auch ein schriftlicher Fragebogen zur Haushaltszusammensetzung, beruflicher Exponierung und potentiellen Vorerkrankungen. Die ausgewählten Personen werden um Rücksendung der bereits adressierten und frankierten Unterlagen gebeten. Die Personen

werden aufgefordert, ihren Hausarzt aufzusuchen und um eine Blutentnahme zu bitten. Für den Fall, dass eine Person keinen Hausarzt besitzt, wurde im Anschreiben ein nahe gelegener Arzt mit Kontaktdaten benannt. Der die Blutprobe entnehmende Arzt übersendet die Blutprobe mit einer Identifikationsnummer an das Zentrallabor. Das Labor berichtet das Ergebnis an den Arzt. Der Arzt wird für seine Tätigkeit gemäß der Gebührenordnung entlohnt, der Patient erhält eine Aufwandsentschädigung.
Wir gehen von gesamten Fallkosten in Höhe von 75 Euro pro Fall aus. Bei einer bundesweiten Stichprobe mit 30.000 Fällen entspräche dies 2.25 Mio Erhebungskosten. Sollte man eine Einschränkung auf ein Bundesland wünschen, so würden wir im Falle von NRW eine Stichprobe von 10.000 Fällen empfehlen. Die Ergebnisse wären dann nur auf NRW verallgemeinerbar, würden aber der großen Heterogenität der 396 Gemeinden in NRW Rechnung tragen. Die Zahl der ausgewählten Gemeinden sollte daher 100 nicht unterschreiten. Die Kosten der Stichprobe lägen dann bei 750.000 Euro.

Altersheime

Altersheime und Pflegeheime gelten als Hotspots für Infektionen. Um einen Überblick über das Infektionsgeschehen zu erhalten, erscheint die Durchführung einer getrennten Erhebung in Altersheimen sinnvoll. Geht man von ca.11.500 Altenheime und Pflegeheime in Deutschland mit ca. 820.000 Personen in vollstationärer Pflege aus, dann entspräche dies zwar lediglich ca. 0.985 Prozent der Bevölkerung, aber einem deutlich größeren Anteil der mutmaßlichen Risikopopulation. 95.4 Prozent der Heimbevölkerung ist im Alter von 60 und mehr.
Da vermutlich Aussagen über Unterschiede zwischen den Ländern beabsichtigt sind, ist eine Schichtung nach Ländern unvermeidlich. Prinzipiell stehen zwei Möglichkeiten zur Ziehung zur Verfügung:
1. Ziehung über Melderegister oder
2. Ziehung über ein Heimverzeichnis.
Die Ziehung über die Melderegister würde keine Änderung des Stichprobenplans erfordern: Befindet sich eine gezogene Person in einem Heim, wird an dieser Anschrift eine Erhebung weiterer Fälle durchgeführt. Nur die Ausgangsperson ist und bleibt Bestandteil der Hauptstichprobe. Die Ausgangsperson und die Zusatzpersonen im Heim bilden die Heimstichprobe. Für die Hauptstichprobe entstehen keine weiteren Klumpeneffekte. Bei einem Bevölkerungsanteil von 0.985 Prozent werden in der Stichprobe im Mittel 295 Heimbewohner erwartet, wobei das 95 Prozent Konfidenzintervall (naiv) bei 254–330 liegt (99 Prozent: 252–342). In jedem Fall würden genügend Heime in die Stichprobe gelangen. Selbst bei Positivrate von 0.5 Prozent wäre das ungünstigste Konfidenzintervall ca. 0.25 Prozent–0.83 Prozent, was immer noch ausreichend erscheint.
Die Ziehung über ein Heimverzeichnis könnte analog der Ziehung im Altenheimsurvey erfolgen. Proportional zu Heimbevölkerung eines Bundeslandes werden Heime proportional zur Größe der Heime gezogen. Pro Heim wird stets die gleiche Zahl von Personen untersucht. Um die Klumpeneffekte und die Belastung des Personals nicht zu groß werden zu lassen, wäre eine Begrenzung der Fallzahl auf 10 Fälle ratsam.
Legt man die Größen vergleichbarer Studien zugrunde wären dies ca. 3200 Personen in 320 Heimen. Bei angenommenen Fallkosten von ca. 65 Euro pro Teilnehmer und 100 Euro Organisationskosten pro Heim ergäben sich Kosten von 208.000 + 32.000 = 240.000 Euro. Angesichts dieser Größenordnung wäre eine solche Studie in hohem Maß wünschenswert.

Datenbereitstellung

Die Daten aus der Befragung und den Laborergebnissen werden zusammengeführt und als anonymisierter Mikrodatensatz aufbereitet und bereitgestellt. Die Veröffentlichung der Analyseergebnisse kann wenige Tage nach Abschluss der Feldarbeit erfolgen.

Laden Sie sich hier den Text mit Literaturangaben und Verweisen als pdf-Datei herunter.

 

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